Historische Mauerreste der frühchristlichen "Unterwasserkirche" am Iznik-See am 8. März 2025 in Iznik (Türkei).
Der See, die Kirche und das Konzil

Forscher suchen nach Hinweisen auf erste ökumenische Versammlung

Iznik  ‐ Vor 1.700 Jahren trafen sich mehr als 300 Bischöfe im antiken Nizäa, dem heutigen türkischen Iznik, zum ersten Ökumenischen Konzil. Der Ort ist bis heute unklar. Kann eine byzantinische Kirchenruine Aufschluss geben?

Erstellt: 29.03.2025
Aktualisiert: 27.03.2025
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Von Andrea Krogmann (KNA)

Stadtmauern, Moscheen und die Überreste von fast einem Dutzend Kirchen: Izniks reiche Geschichte durch hellenistische, römische, byzantinische, seldschukische und osmanische Zeit begleitet den Besucher auf Schritt und Tritt. In der christlichen Welt hat die Stadt rund 140 Kilometer südöstlich von Istanbul unter ihrem antiken Namen Nizäa Geschichte gemacht – als Gastgeber von gleich zwei der sieben ökumenischen Konzilien.

Während die Hagia-Sophia-Kirche im historischen Stadtzentrum und heutige Orhan-Moschee als Ort des zweiten nizänischen Konzils von 787 bekannt ist, bleibt es bis heute ein Mysterium, wo genau in der Stadt 325 die Väter des ersten Ökumenischen Konzils ihre fundamentalen theologischen Weichen stellten. Forschungen türkischer Archäologen der Universität Bursa versprechen Einsichten.

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Die Überraschung kam aus der Luft: 2014 erhielt der Leiter der Archäologischen Abteilung der Uludag-Universität in Bursa, Mustafa Sahin, Luftaufnahmen des Ascanius-Sees. So hieß das Gewässer, als Iznik noch Nizäa war. Auf ihnen erkennbar, etwa zwei Meter unter Wasser und rund 30 Meter vom Ufer entfernt: die Umrisse einer dreischiffigen Basilika. Die geostete Apsis legte schnell nahe, dass es sich um ein christliches Gotteshaus handelt und brachte der Ruine die Namen „Unterwasserbasilika“ und „versunkene Kirche“.

In den elf Jahren seit ihrem Fund ist der Seespiegel gefallen. Trockenen Fußes führt Mustafa Sahin zu den historischen Mauerresten, die aus dem Wasser ragen. Der Archäologe nimmt der Hoffnung den Wind aus den Segeln: Die Kirche, dessen Ruinen er seit 2015 erforscht, müsse aus der Zeit nach 390 stammen, wie Münzen belegten, die in Gräbern unter der Bema-Wand gefunden wurden. Konzilskirche könne die Basilika demnach schon mal nicht gewesen sein.

Das Aber in Sahins Stimme wiegt schwer. Zu gut passt die Lage des Funds zu Hinweisen zum Sitzungsort der Konzilsväter, die sich in historischen Quellen finden. Der Archäologe führt Konzilsteilnehmer Eusebius von Caesarea, den britischen Pilger und späteren Bischof von Eichstätt Willibald, ein Fresko der Sixtinischen Kapelle und Reisenotizen eines weiteren angelsächsischen Geistlichen ins Feld. Zusammengefasst: Die Konzilsväter tagten in einem Palast des Kaisers Konstantin außerhalb der Stadtmauern mit Panorama auf den See.

Wurde die Kirche Opfer eines Erdbebens?

Wo genau dieser Palast gestanden hat, auch das ist bis heute nicht geklärt. Zwar markiert ein Schild ein paar hundert Meter nördlich am Seeufer ein paar Ruinen als „Senatspalast“. Das aber wird von verschiedenen türkischen Nizäa-Fachleuten bezweifelt. Eher, so sagen sie, könnte es sich um Teile des antiken Hafens handeln. Wer baue schon seinen Palast außerhalb der Stadtmauern, lautet ihr Hauptargument – auch wenn es in der Geschichte genügend Beispiele dafür gibt.

Die Stadtmauer ist wichtiges Argument auch Sahins – wenn auch in gegenteiliger Weise: „Die Kirche im See ist die größte Kirche Izniks dieser Zeit. Mit 800 Quadratmeter Fläche übertrifft sie die 600 Quadratmeter große Hagia-Sophia-Kirche, die deutlich später gebaut wurde. Eine solche Basilika würde man innerhalb der Stadtmauern erwarten.“ Es sei denn, es gibt einen Grund – wie etwa den Platz, an dem sich über 300 Bischöfe und ihr Gefolge für das erste Ökumenische Konzil trafen.

I. Konzil von Nizäa (ab 325).
Bild: © KNA-Bild

I. Konzil von Nizäa (ab 325).

Die Basilika, glauben Sahin und sein Team, wurde im Gedenken an das wichtige Kirchentreffen erbaut, und zwar in der Theorie der Forscher auf einem älteren Martyrion, das das Grab des heiligen Neophytos markierte. Dieser habe der Legende nach außerhalb der Stadtmauern und in Seenähe den Märtyrertod gefunden – ein weiteres Match mit dem Fundort der versunkenen Kirche. Dafür spräche auch der Bestattungsplatz, den man um die Basilika gefunden habe. Die Beisetzung in der Nähe von Heiligen- und Märtyrergräbern sei bei den frühen Christen beliebt gewesen.

Dabei bleibt es nicht. An der Stätte gefundene Marmor- und Säulenreste müssen laut dem Team vor ihrer Wiederverwendung zu einem griechischen Gebäude gehört haben. „Meine Theorie ist, dass hier ein Apollo-Tempel aus dem 2. Jahrhundert gestanden hat, von dem wir aus Quellen wissen, der aber bisher nicht gefunden wurde. Kaiser Konstantin war ein großer Fan von Apollo, den er mit dem Sol invictus gleichsetzte“, so Sahin. Stimmt seine Theorie, markiert die Unterwasserbasilika als „Konzilsdenkmal“ quasi einen heidnischen Tempel, ein frühchristliches Märtyrergrab, die Umgebung des kaiserlichen Palasts und des Tagungsorts von Nizäa I.

740 zerstörte ein Erdbeben nach Annahme des Archäologen die Kirche. Ein Zusammenspiel aus weiteren Erdbeben, darunter das letzte große von 1065, und dem Anstieg des Wasserpegels ließ ihre Überreste im See versinken. Warum aber rief Kaiser Konstantin überhaupt die Bischöfe in die kleine Stadt Nizäa? Die künftige kaiserliche Residenzstadt Konstantinopel, das heutig Istanbul, war noch nicht fertig, als das erste Konzil tagte, Nizäa deutlich näher an der damaligen Reichshauptstadt Nicomedia (heute Izmit) gelegen, für die mehrheitlich aus Asien anreisenden Bischöfe leichter zu erreichen und als Bischofssitz mit kaiserlichem Palast mit der entsprechenden Infrastruktur versehen.

Mustafa Sahin, Ausgrabungsleiter und Archäologe von der Universität Bursa, am Iznik-See am 8. März 2025 in Iznik (Türkei).
Bild: © Andrea Krogmann/KNA

Mustafa Sahin, Ausgrabungsleiter und Archäologe von der Universität Bursa, am Iznik-See am 8. März 2025 in Iznik (Türkei).

Für Sahin gibt es ein weit einfacheres Argument: „Es gab zu dieser Zeit eine große christliche Gemeinde, was nicht nur archäologische Funde mit christlichen Namen, sondern auch die Christenbriefe des römischen Statthalters der Provinz, Plinius des Jüngeren, belegen.“ Darin bat Plinius zu Beginn des 2. Jahrhunderts Kaiser Trajan um Rat bei der richtigen Bestrafung der Anhänger der seinerzeit noch verbotenen christlichen Lehre.

Am See hat die diesjährige Grabungssaison noch nicht begonnen. Zu kalt seien die Wassertemperaturen für die Forscher, die oft stundenlang unter der Oberfläche arbeiteten, erklärt Mustafa Sahin. Unterdessen werden Notgrabungen für den trockengefallenen Uferstreifen vorbereitet. Hier sollen in den kommenden Monaten ein Besucherzentrum und ein Freiluftmuseum entstehen, erklärt Unterwasserarchäologe Sedat Kus, einer der Doktoranden in Mustafa Sahins Team. Eine projizierte 3-D-Rekonstruktion soll dem Vorstellungsvermögen der Besucher helfen. Für die Neugierigen soll ein Steg bis über die Ruinen führen, ein Gebetsbereich spirituellen Bedürfnisse stillen.

Das Museum soll bis zum Konzilsjubiläum am 26. Mai fertig werden. Ob der ehrgeizige Plan gelingt, ist freilich mindestens so ungewiss wie die Teilnahme des wichtigsten katholischen Gasts an der Feier: Seit dem 14. Februar liegt Papst Franziskus mit einer schweren Lungenerkrankung in der römischen Gemelli-Klinik.

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