Gerettete Lebensmittel, Symbolbild Foodsharing
Müllvermeidung und Entlastung für den Geldbeutel

Die Retter der Lebensmittel

Sankt Augustin  ‐ Von Überraschungstüten, Orangennetzen und Tierverteilern: Wie Umweltschützer Lebensmittel vor dem Müll bewahren. Und womit sie dabei zu kämpfen haben.

Erstellt: 29.10.2024
Aktualisiert: 10.10.2024
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Von Lisa Maria Plesker (KNA)

In der Fastenzeit machen sich viele Menschen Gedanken um Ernährung, Verschwendung und Verzicht – für Lebensmittelretterin Tamara Behnke steht das Thema das ganze Jahr auf der Tagesordnung. Zusammen mit 30 Gleichgesinnten rettet die Sozialpädagogin Nahrungsmittel, die sonst im Müll landen würden. Um den Eigenbedarf geht es dem ehrenamtlichen Foodsharing-Team nur am Rande, wie Behnke der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Sankt Augustin erklärt: „Wir sind in erster Linie eine Umweltorganisation und wollen Lebensmittel davor bewahren, umsonst produziert, gelagert, transportiert worden zu sein.“

Laut Statistischem Bundesamt sind 2021 EU-weit 4,2 Millionen Tonnen Lebensmittel aus dem Handel im Müll gelandet. Auch die Initiative „Too good to go“ versucht gegen die Verschwendung anzukämpfen: Mittels einer App entdecken Interessierte Läden und Restaurants in ihrer Nähe, in denen sie bei Ladenschluss sogenannte Überraschungstüten mit übrig gebliebenen Lebensmitteln kaufen können – zu einem deutlich günstigeren Preis.

„Als vor ein paar Jahren Vertreter von ‚Too good to go‘ auf mich zukamen, dachte ich, das ist eine sehr gute Sache: Ich schmeiße nicht so viel weg und die Leute freuen sich darüber – gerade die, die einen etwas schmaleren Geldbeutel haben“, erinnert sich Constance Dorfinger. Die Geschäftsführerin der gleichnamigen Bäckerei in Sankt Augustin bei Bonn bietet seit etwa fünf Jahren abends bis zu zehn sogenannte Überraschungstüten an. Und die seien heiß begehrt: „Wir haben teilweise sogar Kunden, die sich bei uns beschweren, wenn sie keine Tüte abkriegen.“

Beim Foodsharing retten Ehrenamtliche oft große Produktmengen von einem Supermarkt, die dann weiterverteilt werden müssen. In Städten funktioniert das über verschiedene Verteilergruppen in den Stadtteilen. In einem Ortsteil informiert beispielsweise das Rettungsteam rund 180 Abholer per Messenger, wann es gerettete Lebensmittel gibt. Kostenfrei – lediglich für zuvor von den Lebensmittelrettern hinterlegtes Pfand müssen sie aufkommen.

Auch die Bäckerei Dorfinger macht beim Foodsharing mit – an Tagen, an denen die Planung schwieriger ist, wie Weihnachten, Silvester oder Karneval. Außerdem gibt es eine Zusammenarbeit mit der seit Jahrzehnten in Deutschland etablierten Tafel: Zweimal in der Woche holen Tafel-Mitarbeitende Lebensmittel vom Vortag ab. Der Dreiklang aus Tafel, Foodsharing und „Too good to go“ hat sich für Dorfinger bewährt. Erst nach ‚Too good to go‘ und der Tafel kommen die Foodsharer zum Einsatz: „Wir sind am Ende der ganzen Kette“, erklärt Behnke.

Auch für manche Supermärkte attraktiv

Selbst wenn bei einigen Nutznießern der Umweltgedanke nicht im Vordergrund steht, ist Foodsharing für Supermärkte gleich doppelt attraktiv: „Wir übernehmen die Mülltrennung“, erklärt Behnke. Die Umweltschützer reißen etwa Orangennetze auf und befördern verdorbene Früchte in den Müll, während sie die noch essbaren in Kisten sortieren. So verringern sie die Müllgebühren der Unternehmen und ersparen ihnen Arbeitskosten.

Die Lebensmittelretterinnen berichten von einem guten Miteinander zwischen den Initiativen. Ebenso kann Barbara Helmich von der Tafel in Sankt Augustin keinen Konflikt zwischen den diversen Lebensmittelrettern erkennen. Problematisch ist dagegen laut Behnke die Erwartungshaltung einzelner Lebensmittel-Abholer. Manche seien ausschließlich darauf aus, Kostenloses zu ihrem Vorteil einzusammeln: „Die sehen dann: Ach nee, da ist ja nichts mehr Schönes dabei, dann gehe ich wieder.“ Andere dagegen würden den sonst ungeliebten Rosenkohl mitnehmen – und als Anlass sehen, neue Rezepte auszuprobieren.

Auch Dorfinger kritisiert, manche „Too good to go“-Kunden motiviere nicht die Rettung von Lebensmitteln, sondern die Möglichkeit, etwas Günstiges abzugreifen. Denn die Überraschungstüte mit Lebensmitteln, die regulär neun Euro kosten würden, verkauft sie für drei Euro.

In den vergangenen zwei Jahren beobachtet Dorfinger nach eigenen Worten eine gesellschaftliche Verschiebung: Der finanzielle Aspekt werde bei vielen „Too good to go“-Kunden wichtiger. Es ärgere sie, wenn Kunden sich beschweren, weil zu wenige Tüten angeboten würden: „Das ist sehr anstrengend.“ Deshalb denke sie mittelfristig über alternative Angebote nach.

Für den Fall, dass nicht alles verteilt werden kann oder ein Salat doch nicht mehr genießbar ist, hat Behnke ergänzend einen Tierverteiler eingerichtet. Dorfinger handhabt das ähnlich: Backwaren, die selbst nach der langen Rettungs-Kette übrig bleiben, gibt sie als Tierfutter an befreundete Landwirte.

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