Dekanin Erzberger: Studienjahr ist nach 50 Jahren noch Avantgarde
Jerusalem ‐ Das Theologische Studienjahr in Jerusalem wird 50. Die Zahl der Absolventen hat die Tausendermarke bereits überschritten.
Aktualisiert: 04.04.2024
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Zum 50-jährigen Jubiläum des Theologischen Studienjahres Jerusalem, das seit 1973 rund 1.200 katholische und evangelische Theologen auf Ökumene und Bibelkunde spezialisiert hat, äußert sich dessen Dekanin Johanna Erzberger im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die aus Darmstadt stammende Altestamentlerin ist seit 2019 Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls, benannt nach dem früheren Dormitio-Abt, der das Jerusalemer Studienjahr ins Leben gerufen hatte.
Frage: Frau Professor Erzberger, das Studienjahr bekam den Ruf einer Elite-Ausbildungsstätte, einer Avantgarde in der wissenschaftlichen Theologie. Gilt das auch heute noch, nach 50 Jahren?
Erzberger: Das gilt meiner Meinung nach auch heute. Nach wie vor liegt das Durchschnittsniveau der Studierenden im Studienjahr deutlich über dem einer vergleichbar großen Gruppe an einer normalen Universität. Das ist sicher auch einer der Gründe, warum es überhaupt kein Problem ist, Dozierende zu finden, die bereit sind, hierher zu kommen und ohne Honorar einwöchige Blockveranstaltungen abzuhalten. Auch die Motivation und Qualifikation der Studierenden ist überdurchschnittlich hoch: Sie mussten sich gründlich auf Jerusalem vorbereiten und durch ein hochkompetitives Auswahlverfahren gehen.
Frage: Was macht denn diese Ausbildung, vor allem die Ökumene und Bibelkunde in Jerusalem so einzigartig?
Erzberger: Die enge Verbindung von Archäologie und Bibel. Man ist am Ort des biblischen Geschehens. Und man kann zugleich einen kritischen Blick auf die Verbindung von Bibel und Archäologie werfen. Man lernt zu hinterfragen, wie sehr aktuelle politische Diskussionen hier in die Archäologie hineinspielen. Die biblischen Texte und die historischen Hintergründe werden von verschiedenen Religionsgemeinschaften und Gruppen unterschiedlich ausgelegt und mitunter auch benutzt.
Frage: Wie ist das Standing des Studienjahres im akademischen Lehrbetrieb, bei den Universitäten und Fakultäten im deutschsprachigen Raum?
Erzberger: Ohne Frage hoch. Man muss an deutschen Fakultäten nicht erklären, was das Studienjahr ist. Wir haben praktisch überall Absolventen unter den Studierenden wie unter den Lehrenden. Und der Prozentsatz der Absolventen, die anschließend in den wissenschaftlichen Betrieb gehen, ist hoch. Aus meinem eigenen Studienjahr: Von unserer Gruppe von 21 besetzen heute 6 akademische Lehrstühle als Professoren.
Frage: Das 50. Studienjahr hat hautnah den Terror-Überfall der Hamas und den darauffolgenden Gaza-Krieg erlebt. Welche Auswirkungen hatte das auf den Lehrbetrieb?
Erzberger: Wir waren am 7. Oktober auf unserer Negev-Exkursion in der Wüste, weitab vom Geschehen, und haben in Abstimmung beschlossen, die Wanderung fortzusetzen. Dann verständigten wir uns mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD und der deutschen Botschaft darauf, das Studienjahr in Jerusalem fortzuführen, so lange das eben möglich ist.
Aber es hatte natürlich Auswirkungen. Zunächst auf die Stimmung der Studierenden - die wir ganz gut einfangen konnten. Die Gruppe ist dadurch sehr dicht zusammengewachsen. - In den ersten Wochen nach dem 7. Oktober mussten wir weitgehend auf Exkursionen verzichten; viele konnten wir nachholen. Endgültig verzichtet mussten wir auf Orte unmittelbar an der Grenze zum Libanon und auf einige Ziele in den Autonomiegebieten.
Das zweite Problem war, dass infolge der Reisewarnungen etliche Dozenten von ihren deutschsprachigen Universitäten keine Dienstreisegenehmigung bekommen haben. Wir haben sie weitgehend durch einheimische Dozierende ersetzt. - Fünf Studierende sind ausgereist. Sie haben sich dann in Wien getroffen und uns zugeschaltet. Letztlich sind wir aber mit einer sehr geringen Zahl von Zoom-Veranstaltungen ausgekommen.
Frage: Das Studienjahr hat sich kontinuierlich weiterentwickelt: zum Judentum, zum Islam hin.
Erzberger: Der christlich-jüdische Bezug war von Anfang an da. Allerdings hat er sich inhaltlich verschoben. Anfangs hatten wir vor allem jüdische Gesprächspartner aus dem deutschen Raum, die die Schoah überlebt hatten, etwa Schalom Ben-Chorin. Mittlerweile sind unsere meisten Gesprächspartner im Land aufgewachsen, oder sie entstammen der jüngeren jüdischen Generation im deutschsprachigen Raum.
Der muslimisch-christliche Dialog hat für die Studierenden heute tatsächlich eine andere Relevanz, weil der Islam in Deutschland heute eine andere Rolle spielt. Er hat damit noch mal ein anderes Gewicht bekommen.
Frage: Inwieweit beschäftigt die aktuelle Nahost-Zeitgeschichte die Studierenden und die Studienjahre?
Erzberger: Das war von Jahr zu Jahr anders. Wir haben hier eine Kooperation mit dem israelischen wie mit dem palästinensischen Kontext. Es gab Studienjahre, wo sich einzelne Studenten mehr mit der einen oder der anderen Seite identifizierten. Aber im Prinzip macht es die Grundausrichtung des Studienjahres unmöglich, sich ganz auf einer Seite zu verorten.
Frage: Und die Linien zwischen den Konfessionen?
Erzberger: ... werden nach meiner Einschätzung immer weniger wichtig. Die Bruchlinien quer durch die Konfessionen sind heute sehr viel stärker.
Frage: Die Anforderungen sind hoch, die Auswahlkriterien streng. Aber es sinkt die Zahl der Theologiestudenten und damit der möglichen Kandidaten. Wollen Sie das Anforderungsniveau senken?
Erzberger: Das Anforderungsniveau zu senken, ist nach meiner Ansicht keine Option. Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder geht man über den deutschen Sprachraum hinaus, oder man nimmt die Fokussierung auf Theologie-Studierende zurück. Und man versucht noch mal stärker, unter den Theologie-Studierenden zu werben. Da sind auch der österreichische und der Schweizer Raum wichtig. Dort haben wir derzeit keinen Stipendiengeber wie den DAAD. Die österreichischen Grabesritter finanzieren jährlich ein Stipendium. Wenn es mehr Stipendien gäbe, würden sicher mehr Leute kommen.
Frage: Welche Rolle spielt das spirituelle, das geistliche Element für das Studienjahr? Sie leben ja neben einem Benediktinerkloster.
Erzberger: Die enge Anbindung an die Dormitio-Abtei prägt das Studienjahr ganz gewaltig. Das benediktinische Stundengebet wurde von allen Studienjahren mit unterschiedlicher Teilnahmefrequenz besucht und hat die Leute in jedem Fall geprägt. Wir haben immer auch eine enge Anbindung an die Evangelische Erlöserkirche. Aber wir ermutigen die Studierenden, darüber hinaus auch den Kontakt zu anderen Kirchen und Konfessionen zu suchen und wahrzunehmen.
Dieses Studienjahr war eng mit der englischsprachigen Gemeinde der Erlöserkirche verbunden. Aber viele unserer Leute haben auch orthodoxe Kirchen und Gottesdienste besucht. Und die Melkiten sind immer eine Anlaufstelle unserer Studierenden. In diesem Jahr hat eine Gruppe von uns regelmäßig mit den Armeniern Fußball gespielt.