Schadi Halloul am 12. November 2023 in Jisch (Israel) an der Grenze zwischen Israel und Libanon.
An der israelisch-libanesischen Grenze spitzt sich die Lage zu

Zwischen den Fronten

Tefen/Mi'ilya/Jisch  ‐ Im Süden Israels herrscht Krieg. Davor fürchtet man sich auch an der Nordgrenze des Landes zum Libanon. Auch ohne ausgewachsenen Krieg fühlen sich die Menschen dort bedroht – beiderseits der Grenze.

Erstellt: 19.11.2023
Aktualisiert: 17.11.2023
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Von Andrea Krogmann (KNA)

Die Lage an der israelischen Nordgrenze zum Libanon hat sich seit dem Wochenende verschärft. Israels Armee sei bestrebt, die Eskalation nicht „die Schwelle eines Krieges“ überschreiten zu lassen, betont Armeesprecher Daniel Hagari. Die Menschen, die in der israelischen Grenzregion leben, fühlen sich von der libanesischen Terrororganisation Hisbollah existenziell bedroht. Manche, darunter auch Bewohner christlicher Dörfer, wünschen sich ein härteres Vorgehen Israels gegen die schiitische Bedrohung. Auf libanesischer Seite fliehen unterdessen immer mehr Menschen vor den israelischen Gegenschlägen.

Das Fenster von Sarit Zehavis Einsatzraum öffnet den Blick über die grünen Hügel Obergaliläas, das zu den schönsten Regionen Israels zählt. Zehavi, eine jüdische Israelin, ist Gründerin und Leiterin des spendenfinanzierten Alma-Forschungs- und Bildungszentrum in Tefen. Die unbeständige Nordgrenze Israels und die Sicherheitsherausforderungen sind seit 2011 ihr tägliches Geschäft. Wenn Zehavi über die gegenwärtigen Bedrohungen aus dem Libanon spricht, ist die Militärgeheimdienstexpertin aber auch „Anwohnerin und Mutter“. „Wir Zivilisten in Nordisrael haben schon jetzt das Gefühl, im Krieg zu sein“, sagt sie; „vielleicht nicht in gleichem Ausmaß wie im Süden, aber wir stehen unter täglichen Angriffen.“

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Nach dem, was am 7. Oktober im Süden passiert sei, empfinde der Norden existenzielle Angst. Der Masterplan, sagt Zehavi, „wurde in Teheran entworfen, nicht in Gaza“. Die Hisbollah sei vorbereitet, dasselbe zu tun. Ein Propagandavideo der Terrororganisation, ein paar Jahre alt, zeichnet einen Plan der Invasion nach Israel, der dem Angriff der Hamas am Gazastreifen beängstigend ähnelt.

„Irgendwann stand die Entscheidung, die Hamas auf gleiche Weise vorzubereiten, und dann die Entscheidung, dass die Hamas zuerst angreift“, so die Alma-Leiterin. 60.000 Israelis entlang der israelischen Nordgrenze wurden evakuiert, sagt sie. Was, wenn Israel zu einem Waffenstillstand mit Gaza kommt und die Hisbollah ihre Angriffe fortsetzt?

Hoffnung in Mi'ilya

Yousef Assaf aus dem Melkiten-Dorf Mi'ilya eine Auto-Viertelstunde weiter nördlich hat nicht wirklich Angst vor einem Krieg der Hisbollah. „Die werden nicht einsteigen, und auch der Iran nicht“, meint er. Grundsätzlich ist der 50-Jährige, der selbst in der israelischen Armee gedient hat, ein Befürworter einer harten Reaktion. Der gegenwärtige Krieg koste zwar „einen hohen Preis, wird uns aber auf Jahre Ruhe bringen“. Auch von den Feldern rund um Mi'ilya greift Israels Armee Ziele im Libanon an. Immer wieder sind Explosionen zu hören; manche so stark, dass bei den Assafs die Fenster wackeln.

Der Christ ist mit ganzem Herzen Israeli. Die Beziehungen mit allen Nachbarn seien gut, außer den Muslimen, sagt er. Eigentlich kommt seine Familie wie fast alle hier aus Syrien. Dass auch seine Familie Land verloren hat, darüber spricht er nicht so gern. „Was würden mir Tausende Dunum in Syrien helfen, wenn ich ohne Essen dastünde? Hier habe ich einen starken Staat, Arbeit, Krankenversicherung, und es geht mir gut.“ Dass ihnen nicht nur genommen wurde, sondern sie auch empfangen haben, „hilft beim Vergessen“.

Das Dorf mit den verwinkelten Straßen und der Kreuzfahrerburg, von der man einen schönen Blick über die Landschaft hat, ist wie ausgestorben. „Für einen Sonntagnachmittag ganz normal“, sagt Yousef Assaf. Es sei leichter, eine Greencard für die USA zu bekommen, als in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden; entsprechend sicher fühlten sich die Menschen auch. Als Beweis dient ihm die nicht verschlossene Haustür. Damit das so bleibt, ist Assaf für die Idee eines Großisrael vom Mittelmeer bis zum Jordan-Fluss; eine Idee, die sonst eher von rechtsnational-jüdischen Kreisen vertreten wird. Dann, glaubt er, werden auch Christen zurück in den Nahen Osten kommen.

Viele wollen weg

Eine halbe Stunde Fahrt weiter östlich liegt Jisch. Die Mehrheit seiner Bewohner sind Maroniten; Nachfahren jener Christen, die am 13. November 1948 ihr Dorf Baram auf Geheiß der israelischen Armee verlassen haben, im Glauben, dass sie bald wiederkehren. Jisch liegt noch näher an der libanesischen Grenze, kaum mehr als vier Kilometer entfernt. Obwohl es ein regnerischer Tag ist, zeichnen sich in der Ferne die schemenhaften Umrisse des Libanongebirges und des Hermon ab, des höchsten Berges der Region, im Grenzgebiet zwischen Libanon, Syrien und den von Israel besetzten Golanhöhen. Die Grenzmauer und die Dörfer Yaroun und Maroun al-Ras sind gut erkennbar.

„Maroun al-Ras ist für die Hisbollah strategisch enorm wichtig. Von hier kontrolliert sie all unsere Orte hier. Im Osten geht der Blick bis in das Huka-Tal, im Westen bis zum Mittelmeer“, sagt Schadi Halloul (Artikelbild). De facto habe Hisbollah den Libanon bereits geteilt, im von ihr dominierten Süden gelte das libanesische Gesetz wenig, habe die libanesische Armee nichts zu sagen.

„Die Leute in Jisch wollen weg“, sagt der Maronit. Auch er denke darüber nach, im Ausland zu investieren. Wer wolle schon in ein Gebiet investieren, das unter permanenter Bedrohung der Hisbollah stehe. Unterbrochen werden seine Worte von heftigem Artilleriebeschuss. Israel reagiert damit auf Panzerabwehrraketen der Hisbollah, die an diesem Tag mindestens einen Zivilisten töteten und zwölf weitere Zivilisten und Soldaten verletzten. Vom Friedhof in Jisch verfolgen Halloul und noch ein paar Bewohner die israelischen Einschläge im libanesischen Yaroun.

Christen sind schon vorher geflohen

Auch auf libanesischer Seite der Grenze leben Christen. Deir Mimas, knapp drei Kilometer Luftlinie vom israelischen Metula entfernt, und andere Dörfer in der Umgebung seien unter Beschuss gekommen, berichtet der zuständige Seelsorger, der Franziskaner Toufic Bou Merhi. Andere christliche Dörfer in Grenznähe, darunter Rmeisch, Ain Eben oder eben Yaroun, seien inzwischen fast leer, ihre christlichen Bewohner nach Beirut geflohen.

Blick am 12. November 2023 von Jisch (Israel) aus, über die Grenze zwischen Israel und Libanon sowie den Berg Hermon im Grenzgebiet zwischen Syrien, Libanon und den von Israel besetzten Golanhöhen.
Bild: © Andrea Krogmann/KNA

Blick am 12. November 2023 von Jisch (Israel) aus, über die Grenze zwischen Israel und Libanon sowie den Berg Hermon im Grenzgebiet zwischen Syrien, Libanon und den von Israel besetzten Golanhöhen.

Etwa 60 bis 70 Prozent der Christen in dem Gebiet, „vor dem Krieg rund 50.000 bis 60.000“, seien inzwischen geflohen; mehrheitlich nach Beirut, bestätigt Michel Constantin, Regionaldirektor der „Päpstlichen Mission“ für Libanon, Syrien, Irak und Ägypten. Für die, die die Grenzregion nicht verlassen konnten oder wollten, plant das päpstliche Nahost-Hilfswerk eine erste Hilfslieferung, 1.600 Familien sollen mit Grundnahrungsmitteln für einen Monat versorgt werden. Auch die christlichen Schulen in der Region werden in den kommenden Monaten Unterstützung brauchen, sagt er.

Noch habe der Krieg nicht begonnen, sagt Constantin, der sich nach der ersten Rede von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah erleichtert zeigte. Man bereite sich aber auf eine mögliche Eskalation vor. Dass in der gegenwärtigen Gemengelage kleine Zwischenfälle das Kriegsrisiko anheizen könnten, weiß man auch auf libanesischer Seite der Grenze. Israel wird hart auf jede Provokation der Hisbollah reagieren, formuliert Halloul.

Viele Christen hätten die Region lange vorher verlassen, sagt er. Mit dem Krieg habe der Druck zusätzlich zugenommen. „Schon jetzt nutzt die Hisbollah die Christen als menschliche Schutzschilde, nehmen ihre Häuser weg und drängen sie zum Verlassen der Dörfer.“ Der Kontakt zwischen den Maroniten in Jisch und Familienangehörigen auf libanesischer Seite läuft über Familienmitglieder in den USA, erklärt Halloul. Ein direkter Kontakt sei zu gefährlich; zu hoch das Risiko, dass die libanesischen Christen der Spionage bezichtigt würden.

Unklare Lage

Michel Constantin dementiert Berichte über Vertreibungen von Christen durch die Hisbollah. Dass die schiitische Miliz christliche Häuser dauerhaft übernehmen wolle, hält er für unwahrscheinlich. „Hisbollah braucht die Christen“ – um zu zeigen, dass sie nicht so extremistisch sei, wie ihr vorgeworfen wird.

Die Befürchtung, dass Hisbollah-Kämpfer auch leerstehende christliche und sunnitische Häuser im Grenzgebiet zu Stellungen ausbauen könnten, hat auch Heiko Wimmen schon gehört. Als Projektdirektor der sich für die Lösung internationaler Konflikte einsetzenden Organisation „International Crisis Group“ in Beirut beobachtet er Syrien, den Irak und den Libanon. Militärstrategisch sei dies plausibel; als Beobachter jedoch „in keiner Weise zu rechtfertigen, wenn eine Organisation wie die Hisbollah zivile Einrichtungen“ als Stellung nutze. Druck hingegen müsse die Hisbollah in Grenznähe kaum ausüben, damit die Menschen ihre Häuser verlassen. Dafür sorge schon die schlechte Sicherheitslage. „Wer gehen kann, ist schon gegangen“, so Wimmen.

In Mi'ilya und Jisch sind die meisten noch geblieben. Was sich von den früheren Runden der Gewalt mit dem Libanon unterscheide, sei die Unsicherheit. „Wir wissen nicht, ob das jetzt ein Krieg ist oder wie sich die Lage in den nächsten fünf Minuten entwickeln wird“, sagt Schukri Joubran. Einen anderen Ort, an den der Maronit mit seiner Familie gehen könnte, habe er nicht. „Hier in Jisch sind wir geboren – und, wie man so schön sagt: Hier werden wir sterben.“

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