Brasiliens Amazonasgebiet leidet unter historischer Dürre
Rio de Janeiro ‐ In dem einzigartigen Waldgebiet des Amazonas trocknen einst mächtige Flüsse aus. Experten befürchten, dass Extremwetter in der Region zunehmen werden – und warnen vor weiteren Rodungen.
Aktualisiert: 26.10.2023
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Brasiliens Amazonaswald erlebt derzeit einen der dramatischsten Momente seiner Geschichte. Eine Rekorddürre lässt die sonst gigantischen Flüsse austrocknen, die gleichzeitig die oft einzigen Transportwege in dem unzugänglichen Gebiet sind. Das Wetterphänomen El Niño und die ungewöhnliche Erwärmung des Nordatlantiks, illegale Abholzungen sowie Brandrodungen tragen zum ausbleibenden Regen bei.
Die sinkenden Wasserspiegel haben nun sogar prähistorische Schnitzereien von Gesichtern mit unterschiedlichen Ausdrücken zum Vorschein gebracht. Der Ursprung der in der Region der Urwaldmetropole Manaus entdeckten Schnitzereien ist unklar; ihr Alter wird auf 1.000 bis 2.000 Jahre geschätzt. Schon die starke Dürre von 2010 legte Teile der Schnitzereien frei; doch die aktuelle Trockenheit übertrifft selbst die von 2010 und 2005.
Der Zugang zum wirtschaftlichen Zentrum Amazoniens muss freigebaggert werden
In Manaus ist der Rio Negro mit unter 13 Metern auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Messungen im Jahr 1902. Erst vor zwei Jahren hatte der Fluss dort mit über 30 Metern den höchsten je gemessenen Stand erreicht. Wie in anderen Regionen der Welt ist also auch hier die Zunahme von Extremwetterphänomenen zu beobachten.
Manaus ist in Brasilien der wichtigste Hafen und damit ein zentraler Knotenpunkt des amazonischen Flusssystems. Der an der Stadt vorbeifließende Rio Negro ist der zweitgrößte Zufluss des Amazonasstroms, der nur wenige Kilometer südlich die Stadt ostwärts passiert. Manaus mit ihrer Zona Franca, einem steuerbefreiten Industriepool, ist das ökonomische Herz Amazoniens. Um die Fahrrinnen des Rio Negro für den für Menschen und die Wirtschaft lebenswichtigen Schiffsverkehr offen zu halten, sind bereits Flussbagger am Werk.
Der Teilstaat Amazonas mit der Hauptstadt Manaus ist die am massivsten betroffene Region. Dort wurde in fast allen Gemeinden im September der Notstand ausgerufen. Mehr als 600.000 Personen sollen vom Wassermangel betroffen sein. Aber auch in anderen Regionen des Urwalds sind aufgrund fallender Pegel Flussgemeinden isoliert. Kirchen und Organisationen der Zivilgesellschaft haben zu Spenden aufgerufen, während die Regierung Nothilfen für die Region bereitstellt.
Präsident Lula: Planet wehrt sich
„Der Planet wehrt sich gegen die Menschheit“, kommentierte Brasiliens Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva. Sorge bereite ihm auch, dass zur gleichen Zeit Südbrasilien von Rekordregen heimgesucht wird. Seit Beginn seiner dritten Amtszeit im Januar setzt sich der linke Präsident für internationale Initiativen zum Schutz des Regenwaldes ein.
In Südbrasilien hatte es zuletzt Überschwemmungen gegeben. Bereits 2021 war es zu einem ähnlichen Wettergegensatz in beiden Regionen gekommen. Während in der Amazonasregion damals Rekordregen gemessen wurde, wurden die südlicher gelegenen Regionen Brasiliens und Argentiniens von einer Extremdürre heimgesucht. Für Experten ein Anzeichen, dass sich die Luftzirkulation zwischen den beiden Regionen verändert.
El Niño, sprich die Aufheizung des Oberflächenwassers des Pazifiks, bedeutet in diesem und voraussichtlich im nächsten Jahr mehr Trockenheit in Nordbrasilien, sprich der Amazonasregion. Dazu komme eine außergewöhnliche Aufheizung des Atlantiks. So hatte der brasilianische Winter zwischen Juni und September im ganzen Land Rekordtemperaturen von über 40 Grad gebracht; ein weiteres Indiz für die Klimakrise, wie Experten glauben.
Globaler Kipppunkt
Wissenschaftler warnen seit Jahren davor, dass sich in Amazonien die Regen- und Trockenzeiten zusehends verschieben. Eigentlich sollte die Regenzeit in diesem Oktober beginnen. Wenn den Rodungen nicht bald Einhalt geboten werde, drohten Brasiliens Amazonasregion irreparable Schäden, erklärt Professor Antonio Donato Nobre, der wichtigste brasilianische Spezialist für Urwald-Ökologie.
Im östlichen Amazonasgebiet sieht Nobre bereits seit einigen Jahren erste Anzeichen dafür, dass dort ein „Tipping Point“ erreicht wurde, sprich: eine irreversible Situation. „Immense Gebiete zeigen dort Anzeichen einer Versteppung. Wir stehen am Beginn dieses Prozesses, der sich durch eine Beschleunigung der Abholzung und der Zerstörung der Wälder ebenfalls beschleunigt.“ Den „Tipping Point“ für Amazonien verorten Wissenschaftler bei einem Zerstörungsgrad der ursprünglichen Amazonaswaldfläche von 20 bis 30 Prozent. Die derzeitige Quote liege bei rund 19 Prozent.