„Outsider“ Milei gegen das „Establishment“

Argentinien wählt am Sonntag einen neuen Präsidenten

Buenos Aires  ‐ In Argentinien schickt sich ein selbsternannter „Anarcho-Kapitalist“ an, die etablierten politischen Lager zu schlagen. Der Papst warnt derweil in einem Interview vor „messianischen Clowns“.

Erstellt: 19.10.2023
Aktualisiert: 18.10.2023
Lesedauer: 

Die politische Ausgangslage in Argentinien ist wie geschaffen für einen „Außenseiter“: eine völlig außer Kontrolle geratene Währung, die unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag noch einmal ordentlich abstürzt, eine Armutsrate von über 40 Prozent, dazu handfeste Korruptionsskandale rund um Politiker der etablierten Parteien. Inmitten dieser Gemengelage greift der selbsternannte „Anarcho-Kapitalist“ Javier Milei nach der Macht.

In sechs der jüngsten sieben Umfragen vor dem Wahltag liegt Milei leicht vor dem Kandidaten des peronistischen Regierungslagers, Sergio Massa. Die beiden würden so in eine Stichwahl am 19. November einziehen. Keine Umfrage sagt einen Sieg Mileis im ersten Durchgang voraus, für den der Kandidat der radikal-marktliberalen „La Libertad Avanza“ auf mindestens 40 Prozent und einen deutlichen Vorsprung kommen müsste.

Konkurrent Massa ist derzeit Wirtschafts- und Finanzminister des noch amtierenden Präsidenten Alberto Fernandez, der aber wegen katastrophaler Umfragewerte und fehlender Unterstützung nicht für eine zweite Amtszeit kandidiert.

Polemik mit Papst Franziskus

Die große Verliererin wäre in diesem Szenario die Vertreterin des klassischen konservativen Lagers: Patricia Bullrich wäre laut diesen Umfragen aus dem Rennen, repräsentiert aber immer noch zwischen 20 und 30 Prozent des Wählerpotenzials, das dann in einer Stichwahl den Ausschlag geben könnte. Kurzum: Das Rennen ist völlig offen. Auch ein Scheitern Mileis auf den letzten Metern ist nicht auszuschließen.

Mileis Zustimmung speist sich vor allem aus einer tief enttäuschten, weil perspektivlosen Jugend, die in den vergangenen Jahren nichts anders erlebt hat als eine Dauer-Wirtschaftskrise mit hoher Inflation und großer Armut. Die Milei-Anhänger machen dafür das politische Establishment verantwortlich: Die überwiegend linksgerichteten Peronisten und die Konservativen wechselten sich zuletzt an der Macht ab, die Krise aber blieb.

Milei setzt auf eine Dollarisierung des Landes, vergleicht den argentinischen Peso mit Exkrementen und will den Staatsapparat radikal verkleinern. Experten sehen das allerdings skeptisch, eine Umstellung auf den Dollar sei kurzfristig gar nicht möglich.

Milei bricht Tabus, greift Papst Franziskus frontal an, wirft ihm eine Nähe zum Sozialismus vor, weil er Folter, Mord und Repression der blutigen Linksdiktaturen in Lateinamerika nicht klar verurteile. Gleichzeitig aber verharmlost und zweifelt Milei das Ausmaß von Mord und Folter der rechtsextremen argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) an, was vielen Menschen im Land Angst macht.

Papst poltert zurück

Ohne den radikalen Präsidentschaftskandidaten namentlich zu nennen, warnte der Papst in einem wenige Tage vor der Wahl ausgestrahlten Interview vor „messianischen Clowns“, die schnelle Lösungen versprechen würden: „Manchmal klammern sich Jungen und Mädchen an Wunder, an eine messianische Lösung der Dinge.“ Aber es gebe nur einen Messias. Andere Fälle erinnerten ihn eher an die Geschichte des Rattenfängers von Hameln.

Die „New York Times“ kommentierte in dieser Woche, die Verbalattacken gegen den Papst könnten Milei schaden und einige Wähler davon abhalten, das Kreuz beim Außenseiter zu machen. Am Sonntagabend ist die Zeit der Spekulationen vorbei. Dann wird sich zeigen, ob der Sieger der Vorwahlen auch bei den eigentlichen Präsidentschaftswahlen die meisten Stimmen sammeln kann.

Von Tobias Käufer (KNA)

Mehr zum Thema