Ecuador unter Schock
Quito ‐ Ein Attentat im südamerikanischen Ecuador überschattet den aktuellen Wahlkampf. Noch ist unklar, wer und was hinter dem Mord an Fernando Villavicencio steckt. Das ganze Land steht unter Schock.
Aktualisiert: 28.08.2023
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Fernando Villavicencio bahnt sich in Quito umringt von Personenschützern seinen Weg zum Auto. Ein paar Anhänger rufen seinen Namen. Der ecuadorianische Präsidentschaftskandidat wirkt angespannt. Als er einsteigt, fallen plötzlich Schüsse. Alle Rettungsversuche sind vergebens. „Wir waren nur wenige Meter von ihm entfernt. Als wir gingen, fielen 40 Schüsse. Wir haben soeben die Bestätigung erhalten, dass er gestorben ist. Es ist ein unbeschreiblicher Schmerz für die Familie“, wird Galo Valencia, ein Onkel des Toten, in lokalen Medien zitiert. Der 59-jährige Politiker hinterlässt eine Frau und drei Kinder. In den sozialen Netzwerken kursieren Videos von dem Attentat. Schüsse und Schreie sind zu hören, die Situation wirkt chaotisch.
Andrea Gonzalez, die zusammen mit Villavicencio als Vizepräsidentin kandidierte, reagierte erschüttert: „Mein tapferer Fer, ich habe keine Worte. In Alausi wird eine Straße nach dir benannt werden, das und noch viel mehr. Sie haben uns unseren tapferen Präsidenten weggenommen. Ich bin am Boden zerstört. Ecuador hat es nicht verdient, dich auf diese Weise zu verlieren“, schrieb Gonzales via Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter).
Laut einigen Umfragen lag Villavicencio auf Rang zwei und hatte gute Chancen, im ersten Wahlgang am 20. August eine mögliche Stichwahl zu erreichen. Andere Umfragen sahen ihn dagegen abgeschlagen im hinteren Feld. Der Politiker galt als Kritiker des linken Lagers um Ex-Präsident Rafael Correa. In der Vergangenheit hatte er als Investigativ-Journalist über Korruption im Erdölsektor berichtet. Das Thema Erdöl ist auch bei den Wahlen in Ecuador von Bedeutung. Die Menschen sollen abstimmen, ob im Naturschutzgebiet Yasuni Erdöl gefördert werden soll oder nicht.
Wie immer bei solchen Attentaten verbieten sich voreilige Schuldzuweisungen. Eine Gruppe namens „Los Lobos“ reklamierte in einem im Internet verbreiteten Video die Tat für sich. Der Clip zeigt vermummte Männer mit Maschinenpistolen. Ein Sprecher warf Villavicencio vor, Versprechen gebrochen zu haben. Ob die Gruppe tatsächlich für den Mord verantwortlich ist, blieb zunächst unklar.
Stunden vor seinem Tod soll Fernando Villavicencio Medienberichten zufolge gesagt haben, Ecuador sei „eine Geisel der Kokainmafia, des illegalen Bergbaus und der Korruption“. In einem Interview des Senders CNN sagte er im Mai: „Heute wird Ecuador von Jalisco Nueva Generacion, dem Sinaloa-Kartell und von der albanischen Mafia beherrscht.“ Wie in anderen Ländern Lateinamerikas sei es undenkbar, dass der Drogenhandel ohne Duldung der politisch Mächtigen einen solchen Einfluss erlangen könne.
Ecuador wird seit Monaten von einer Welle der Gewalt erschüttert. Für weltweites Entsetzen sorgten mehrere Massaker und Aufstände in den Gefängnissen des Landes, bei denen Hunderte Menschen ums Leben kamen. Großstädte wie Guayaquil oder Quito leiden unter Bandenkriminalität. Hinzu kommen politische Unruhen. Dem konservativen Präsidenten Guillermo Lasso, gegen dessen Umfeld es Korruptionsvorwürfe gibt, entglitt erst das Vertrauen des Wahlvolkes, dann auch die Macht. In einem letzten Akt löste er im Mai das Parlament auf und ordnete Neuwahlen an. Er selbst tritt nicht mehr an.