Zu Besuch bei der Partnerkirche in Ecuador
München/Quito ‐ Ein Besuch in schwierigen Zeiten: Vom 9. bis 17. April 2024 reiste eine Delegation um Kardinal Reinhard Marx nach Ecuador – auch um ein Zeichen der Solidarität mit dem von Gewalt erschütterten südamerikanischen Land zu senden.
Aktualisiert: 16.05.2024
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Es war schon dunkel, als der Kleinbus auf dem Weg von Santo Domingo de los Tsáchilas nach Latacunga in der Nähe der Gemeinde Palo Quemado an einer Wegabzweigung hält. Eine indigene Frau, der Pfarrer von Palo Quemado und zwei weitere Männer, von denen einer die Szenerie filmte, stiegen ein. Dieses kurze Treffen mit der achtköpfigen Delegation um Kardinal Marx, den Diözesanratsvorsitzenden Armin Schalk und Diözesanjugendseelsorgerin Johanna Gressung war von Monsignore Geovanny Paz, dem Bischof von Latacunga, arrangiert worden. Latacunga war die letzte Station der 9-tägigen Partnerschaftsreise. Erst kürzlich wurde das Dorf Palo Quemado von Polizei und Militär mit Waffengewalt eingeschüchtert, um die Zustimmung für den Abbau von Gold, Silber, Kupfer und Zink durch die Bergbaugesellschaft La Plata S.A., zu erzwingen.
Die Sprecherin der Indigenen berichtete der Reisegruppe über das Busmikrofon von der Entzweiung innerhalb der Familien, von der Verschmutzung des Wassers und von der Beschneidung des Rechts auf Selbstbestimmung der indigenen Völker. Zwölf Jahre bereits befindet sich dieses Dorf, das Zuckerrohr für den Export nach Europa anbaut, im Kampf gegen den illegalen Bergbau – illegal deshalb, weil die verfassungsmäßigen Rechte, insbesondere das Recht auf „Umweltkonsultation“ und das Recht auf freie, vorherige und informierte Befragung der betroffenen Bürger nicht gewahrt werden. Die Vorgänger-Regierungen hatten diese Bergbaukonzession ohne die Zustimmung der Bevölkerung von Palo Quemado erteilt. Im Januar dieses Jahres verlängerte die jetzige Regierung die Laufzeit der Konzession bis 2049, erneut ohne die betroffenen indigenen Völker in die Entscheidung mit einzubeziehen. Am 11. März 2024 wurde bekannt, dass dem Unternehmen nahestehende Personen 72 Bauern und Indigene wegen Terrorismusverdachts angezeigt hatten. Auch der Pfarrer von Palo Quemado, eine der vier Personen im Bus, gilt jetzt als Terrorist.
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Markus Linsler, der Koordinator der weltkirchlichen Partnerschaft auf ecuadorianischer Seite, stellte im Vorfeld ein intensives Programm mit vielen Begegnungen auf und begleitete die Gäste mit seinem Team auf der Reise: Quito – Esmeraldas – Santo Domingo de los Tsáchilas – Latacunga – Quito. Insgesamt 750 km, einmal an die Pazifikküste und wieder hoch hinauf auf knapp 3000 m ü. M. ins ecuadorianische Hochland. Am Dienstag nach dem Weißen Sonntag also, machte sich die Delegation mit dem Flugzeug auf den Weg von München nach Quito.
Fünf der acht Reisenden waren zum ersten Mal in Lateinamerika. Kardinal Marx, der zum vierten Mal Ecuador besuchte, stellte die Delegation bei vielen Begegnungen vor: Armin Schalk, Diözesanratsvorsitzender, Christoph Wittmann, bayerischer und Münchner Kolping-Präses, Thomas Belitzer, Landjugendpfarrer und erzbischöflicher Zeremoniar, Robert Daiser, Kaplan und Ehemaliger des Internationalen Freiwilligendienstes und Sebastian Bugl, Leiter der Abteilung Weltkirche und Koordinator der Partnerschaft mit Ecuador, die ihm seit Amtsbeginn ein Herzensanliegen ist. Des Weiteren waren dabei Dr. Johannes Lohwasser, Büroleiter des Kardinals, und Johanna Gressung, die als Diözesanjugendseelsorgerin die erste Frau und die erste Laiin in diesem Amt ist. Kardinal Marx betonte, dass er diese Wahl als Kardinal sehr unterstützt hat. Die Reaktion bei den anwesenden Frauen war stets Begeisterung und Ermutigung.
„Gemeinsames Haus“ nur für Eliten?
Bereits am dritten Tag spürte die Münchner Gruppe Betroffenheit in der akademischen Veranstaltung mit dem Titel „Laudato Si: Herausforderungen und Verpflichtung“ in der päpstlichen Universität in Quito. Die spirituelle Sprecherin der über 20 indigenen Nationalitäten Ecuadors, Avelina Andrea Rogel Cajas, auch „Mama Avelina“ genannt, berichtete vor vollem Auditorium, dass die schönen Worte vom „Dialog“ (Enzyklika Fratelli Tutti) und „gemeinsamen Haus“ (Enzyklika Laudato Sí) nicht in konkrete Taten umgesetzt werden. Im Gegenteil, der Dialog und das gemeinsame Haus scheinen nur Eliten vorbehalten zu sein.
Im Vortrag zuvor hatte Kardinal Marx gewarnt, die Geopolitik könne wieder mehr „in eine Interessenspolitik nationalistischer Art, befeuert von Ideologien und falsch verstandenen Religionen“ verwandeln. Wenn das geschehe, so der Erzbischof von München und Freising, „dann können wir unser Thema Weltklima und gemeinsames Haus schnell vergessen“. Die Ökologie sei für die Kirche zu einer zentralen Frage der Sozialethik und der Anthropologie geworden. Kardinal Marx ermutigt: „Wir dürfen, gerade weil die Situation schwieriger geworden ist als zum Erscheinungsdatum von Laudato si, nicht aufgeben. Wir müssen weiter aktiv bleiben, Verbindung mit anderen Akteuren suchen, unsere Sprache immer wieder überprüfen, ob sie den anderen erreicht oder ob sie selbstreferenziell ist. Und wirklich uns weiter in diesem großen Ziel des gemeinsamen Hauses engagieren. Wir dürfen nicht nachlassen.“
Der Abbau von Rohstoffen durch Bergbau und Ölförderung und der damit verbundene ökosoziale Schaden waren nicht die einzigen Themen auf der Reise durch Ecuador. In Quito, wo die Delegation unter anderem aktuelle und ehemalige Freiwillige traf, bekam sie eine Einführung in die politische, wirtschaftliche und soziale Situation Ecuadors durch Botschafter Dr. Philipp Schauer. Der anschließende mehrstündige Austausch zwischen Kardinal Marx und den Bischöfen Ecuadors bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz war von einer intensiven und geschwisterlichen Atmosphäre geprägt. Anschließend ging die Reise weiter nach Esmeraldas, einem Küstenort in der Nähe der kolumbianischen Grenze – und einem Hotspot der Drogenkriminalität.
Angespannte Lage
In den deutschen Medien wurde im Januar 2024 über die Eskalation der Lage in Ecuador nach den Ausbrüchen zweier Bandenchefs aus Gefängnissen berichtet: Unruhen in vielen Gefängnissen, auch in Esmeraldas, Geiselnahme in einem Fernsehstudio vor laufender Kamera, zahlreiche Entführungen und Angriffe auf Zivilisten bis zur Ermordung eines ermittelnden Staatsanwalts. Als Reaktion rief Präsident Noboa den Ausnahmezustand aus und erklärte per Dekret den „internen bewaffneten Konflikt“, um der 22 kriminellen Banden, die zu terroristischen Organisationen erklärt wurden, Herr zu werden.
Zwei Tage, nachdem der Ausnahmezustand ausgelaufen war, sah die diözesane Delegation wenig Polizei- und Militärpräsenz, weder in Quito noch in Esmeraldas. Die Situation habe sich momentan beruhigt, bestätigten verschiedene Gesprächspartnerinnen und -partner. So war auch ein Besuch auf der Insel Muisne südlich von Esmeraldas möglich, wo die Delegationsreisenden mit Musik und Tanz in einer vom Erdbeben im Jahr 2016 zerstörten und auch mit Geldern aus der Erzdiözese München und Freising wieder aufgebauten katholischen Schule empfangen wurden. Besonders die Gemeinschaft der ehrenamtlichen Mitarbeitenden der örtlichen Caritas, mit den Kindern, die sich als „Caritas Junior“ organisiert haben, faszinierte: Sie trugen einen Caritas-Hymnus vor, zeigten sich als Gemeinschaft. In der Gruppe bekommen die Kinder schon von klein auf mit, was es bedeutet, sich für die Schwächsten der Gesellschaft einzusetzen. Das war besonders auch in der Corona-Pandemie wichtig – und das Engagement ist zu der Zeit sehr gewachsen.
Zurück in Esmeraldas lernte die Reisegruppe dann die Bandbreite der Sozialpastoral und der charismatischen Bewegungen kennen; auch letztere unternehmen soziale und ökologische Aktionen und sind in die diözesane Struktur eingebunden. Für Armin Schalk sind das „beeindruckende Projekte, die mich bestärken, dass die Partnerschaft mit Ecuador weiterentwickelt werden sollte“.
Beeindruckende spirituelle Bandbreite
In der Kathedrale feierte man anschließend einen Gottesdienst besonderer Art: Die afro-ecuadorianische Geschichte der Stadt erfordert auch eine spezielle Afro-Pastoral und Liturgie. Die mächtigen Afro-Klänge und -Rhythmen gepaart mit den sich dazu bewegenden jungen Tänzerinnen und Tänzern in traditionellem Kleid wechselten sich mit ruhigen und besinnlichen Teilen der Liturgie ab. Am nächsten Morgen erlebten die Münchner eine gänzlich andere, ebenso eindrückliche und berührende Messe im Kloster von Trappistinnen, einem kontemplativen Orden am Rande der Stadt Esmeraldas.
Über Santo Domingo de los Tsáchilas und einem gastfreundschaftlichen Kurzbesuch beim Schweizer Bischof Bertram Wick und der dortigen Kathedrale, erreichte die Reisegesellschaft nach einigen Stunden Fahrt wieder die Hochebene und die Stadt Latacunga südlich von Quito, auf 2.860 Meter über dem Meeresspiegel gelegen. Auch dort kam der illegale Bergbau ausländischer Konzerne zur Sprache. Der katholische Sender „Radio Latacunga“ ist seit Jahrzehnten die Stimme des Volkes. Mit Hilfe von Mitteln aus dem Erzbistum München und Freising konnten so verschiedene ökosoziale Themen im Kontext von Laudato Sí und dem aktuellen Konflikt der Indigenen gegen die Bergbau-Konzerne öffentlich gemacht werden. Die dramatische Situation in Palo Quemado wurde ebenfalls mit Interviews und Filmbeiträgen über Social Media und das Radio thematisiert. Nach einem Radio-Interview von Mons. Geovanny Paz mit Kardinal Marx ging die Reise zusammen mit dem Bischof über die Stadt Pujili zur Pfarrei San Vicente Ferrer de Panzaleo, um dort mit der dortigen Landgemeinde Gottesdienst zu feiern.
Anschließend ging es über die Panamericana wieder nach Quito zurück, der höchsten Hauptstadt der Welt. Die letzte Nacht verbrachte die Gruppe im Casa Kolping, wo man nach einem freundschaftlichen Treffen beim Nuntius Andrés Carrascosa und vor dem Aufbruch zum Flughafen nochmal von der Kolping-Küche verwöhnt wurde.
Immer wieder betonte Kardinal Marx während der Reise die Notwendigkeit, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen: Eine weltkirchliche Partnerschaft lasse sich nicht nur durch Mails, Dokumente und Videokonferenzen führen. Beeindruckt von den vielen interessanten Begegnungen und Erlebnissen, verließ die Delegation Ecuador mit dem Gefühl, dass man bestärkt die Aufgaben im Erzbistum München und Freising wahrnehmen und sich gleichzeitig tief verbunden fühlen kann mit einer Kirche, die sich im Einsatz für entrechtete und marginalisierte Menschen auch Gefahren aussetzt. Diese Kirche will die Erzdiözese München und Freising auch weiterhin unterstützen. Fratelli Tutti betont die Geschwisterlichkeit unter den Menschen. Diese konnten die Reisenden in den neun Tagen dankbar im Herzen erspüren.
Sebastian Bugl leitet die Abteilung Weltkirche und den Fachbereich Internationale Partnerschaftsarbeit des Erzbischöflichen Ordinariats München.