Symbolbild Menschenhandel/Menschenrechte
Frisch geehrte Aktivistin schildert Kampf gegen Menschenhandel

„Heute kann man einen Sklaven für wenige Hundert Euro bekommen“

Eichstätt  ‐ Auch in Europa werden bis heute Menschen verkauft und missbraucht, als wären sie eine handelbare Ware. Die rumänische Psychologin Iana Matei geht dagegen vor – und erhielt für ihr Engagement nun eine wichtige Auszeichnung.

Erstellt: 30.06.2023
Aktualisiert: 30.06.2023
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Jüngst hat sie eine der höchstdotierten Menschenrechtsauszeichnungen Deutschlands erhalten: Die rumänische Psychologin Iana Matei (64) ist Trägerin des mit rund 30.000 Euro dotierten Eichstätter Shalompreises 2023. Verliehen hat den Preis der Arbeitskreis für Gerechtigkeit und Frieden an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Matei habe mit ihrer Organisation „Reaching Out Romania“ seit 1999 etwa 750 Kinder und Jugendliche aus Menschenhändler-Fängen befreit, so die Initiatoren. Im Interview spricht Matei über den Unterschied zwischen Sklaverei früher und heute sowie über eine wilde Rettungsaktion.

Frage: Frau Matei, Menschenhandel – was heißt das konkret?

Matei: Es geht um nichts anderes als Sklaverei. Da werden Menschen – Kinder und Jugendliche – verkauft, damit sie der sexuellen Ausbeutung und als billigste Arbeitskräfte dienen können. Über sie wird komplett fremdbestimmt: Wann sie was essen dürfen, wie sie sich anziehen, mit wem sie welche Art von Körperkontakt haben – all das entscheiden andere. Das ist Sklaverei im 21. Jahrhundert, mitten in Europa. Der einzige Unterschied zu früheren Zeiten: Einst war ein Sklave teuer, umgerechnet vielleicht 10.000 Euro, entsprechend pfleglich ist sein Herr mit ihm umgegangen. Heute kann man einen Sklaven für wenige Hundert Euro bekommen.

Frage: Wie funktioniert dieses Geschäft?

Matei: Ich komme aus Rumänien. Dort gibt es, wie in anderen Teilen Osteuropas, sehr, sehr arme Menschen. Viele versuchen, Arbeit im Westen zu bekommen. Ihre Kinder lassen sie dann oft bei Verwandten zurück. Nun mögen diese selbst Nachwuchs oder zu den ihnen Anvertrauten keinen engen Draht haben. Die zurückgelassenen Kinder fühlen sich also vernachlässigt. Das macht es Menschenhändlern leicht, sie anzusprechen und ihnen Märchen von der schönsten Zukunft zu erzählen, die angeblich auf sie warten würde, wenn sie nur mit ihnen kämen. Außerdem gibt es Eltern, die ihre eigenen Kinder verkaufen.

Frage: Was machen die Menschenhändler mit ihren Opfern?

Matei: Sie werden mit Gewalt, Drogen oder Todesdrohungen gegen ihre Familien gefügig gemacht. Dann verschachern die Händler sie an andere Kriminelle, die sie wiederum Dritten zur Ausbeutung anbieten: Pädophilen zum Beispiel, oder auf dem Bau. Dahinter steht ein mafiöses Netzwerk, eine ganze Untergrundökonomie. Die Kinder und Jugendlichen werden quer durch Europa gebracht. Auch in Deutschland landen sie auf dem Strich oder zum Betteln. Der Menschenhandel ist also längst nicht nur ein Problem des vermeintlich rückständigen Ostens. Er ist genauso ein Problem Westeuropas.

Psychologin Iana Matei am 26. Juni 2023 in Eichstätt.
Bild: © Christopher Beschnitt/KNA

Frage: Wie sind Sie zur Aktivistin dagegen geworden?

Matei: Ich war vor bald 25 Jahren im staatlichen Auftrag auf der Straße unterwegs, um Prostituierten Winterkleidung zu bringen. Dabei stand ich plötzlich vor einer 14- und einer 15-Jährigen. Ich war erschüttert. Bald darauf auch darüber, dass ich keine Hilfsprogramme für diese Mädchen fand. Also musste ich selbst eines gründen.

Frage: Was ist mit der Polizei?

Matei: Die arbeitet von neun Uhr morgens bis nachmittags um fünf. Ein Notruf kommt aber auch mal nachts. Außerdem misstrauen viele Menschenhandelsbetroffene der Justiz, besonders, wenn sie durch Männer repräsentiert wird. Dieses Misstrauen ist nicht ganz unberechtigt, es gibt durchaus Verquickungen zwischen Justiz und organisiertem Verbrechen.

Frage: Was tun Sie, wenn Sie einen Hilferuf erhalten?

Matei: Ich versuche, die Betroffene aus ihrer Gefangenschaft herauszuholen. Das muss im Einzelfall gut geplant sein. Einmal ging es um ein Mädchen, das alle paar Wochen Geld auf der Bank abholen musste. In die Bank ging sie stets allein, ihr Aufpasser wartete draußen im Auto. Dasselbe habe ich dann auch gemacht, damit das Mädchen nach dem Geldabholen direkt bei mir einsteigen konnte. Das hat auch geklappt. Allerdings stand ich direkt hinter dem Aufpasser. Ich bin wie wild einfach losgedüst – in einer Stadt, die ich gar nicht kannte. Zum Glück konnte mich das Mädchen gut navigieren. Und zum Glück hatte ich das schnellere Auto.

„Das ist Sklaverei im 21. Jahrhundert, mitten in Europa.“

—  Zitat: Iana Matei

Frage: Klingt nicht ungefährlich, was Sie da tun.

Matei: Mir ist noch nie etwas passiert, und ich bin nicht gerade zimperlich.

Frage: Sie sprechen immer von Mädchen.

Matei: Ja, meistens sind es Mädchen, die vom Menschenhandel betroffen sind. Es gibt auch Jungen, die sexuell ausgebeutet werden. Das ist allerdings ein noch viel größeres gesellschaftliches Tabu als die Sexsklaverei von Mädchen.

Frage: Wie helfen Sie den Geretteten?

Matei: Wir bieten ihnen Unterkunft und Verpflegung, Schule und Gesellschaft – eben ein normales familiäres Zuhause, das sie zuvor allerdings nicht hatten. Natürlich arbeiten wir die Schicksale auch psychotherapeutisch auf. Außerdem versuchen wir, die Neigungen und Talente der Mädchen zu entdecken und zu stärken, damit sie eine Perspektive für ihr Leben entwickeln können.

Frage: Was fordern Sie politisch im Kampf gegen Menschenhandel?

Matei: Die Grundursachen wie Armut und mangelnde Bildung müssen bekämpft werden. Und es braucht viel härtere Strafen gegen Menschenhändler. In manchen Ländern Europas kommen sie unter Umständen mit ein bisschen Bußgeld davon. Lächerlich!

Frage: Sie stehen kurz vorm Rentenalter. Werden Sie Ihre Arbeit bald auf- und Ihr hartes Leben damit abgeben?

Matei: Hartes Leben? Die Schicksale, mit denen ich zu tun habe, die sind hart. Ich selbst habe ein schönes Leben. Ich rette doch Menschen aus der Sklaverei. Und das mache ich weiter, solange ich kann und es nötig ist.

Von Christopher Beschnitt (KNA)

KNA

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