Nery Rodenas, Geschäftsführer des Menschenrechtsbüros des Erzbistums Guatemala-Stadt
Kirche in Guatemala zur Menschenrechtslage kurz vor der Wahl

„Eine Präsidentin Zury Rios wäre eine Gefahr für die Demokratie“

Guatemala Stadt ‐ In zwei Wochen wählt Guatemala ein neues Staatsoberhaupt. Hoffnungen auf das Amt macht sich auch die Tochter eines blutrünstigen Diktators. Nery Rodenas, Leiter des Menschenrechtsbüros des Erzbistums Guatemala, macht vor allem deren Umfeld Sorgen.

Erstellt: 12.06.2023
Aktualisiert: 09.06.2023
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Am 25. Juni wählt Guatemala eine Nachfolge für Präsident Alejandro Giammattei, der wegen einer Amtszeitbegrenzung nicht erneut antreten darf. Inzwischen ist das Kandidatenfeld juristisch ausgedünnt worden. Als leichte Favoritin geht Diktatorentochter Zury Rios (55) ins Rennen, deren Vater Efrain Rios Montt („Schlächter der Indios“, 1926-2018, Regierungszeit 1982/83) für die Ermordung Zehntausender Indigener verantwortlich ist. Nery Rodenas, Geschäftsführer des 1990 gegründeten Menschenrechtsbüros des Erzbistums Guatemala-Stadt (ODHAG), zeigt sich im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) besorgt.

Frage: Herr Rodenas, wie sehen Sie die Lage in Guatemala gut zwei Wochen vor den Präsidentenwahlen?

Nery Rodenas: Guatemala verwandelt sich wie andere Länder Mittelamerikas allmählich in eine Diktatur; in eine Scheindemokratie, die keine wirkliche Demokratie ist. Denn die Menschenrechte werden nicht in vollem Umfang geachtet.

Frage: Woran machen Sie das fest?

Rodenas: Zum Beispiel daran, dass nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahlen zugelassen wurden. Das erweckt den Eindruck mangelnder Ausgewogenheit, mangelnder Unparteilichkeit. Die Regeln werden zugunsten einiger ganz bestimmter Kandidaten abgeändert. Deshalb werden wir als mögliche Gewinner Personen haben, die mit dem organisierten Verbrechen, mit dem Drogenhandel, mit Verpflichtungen gegenüber politischen Sektoren, gegenüber ganz bestimmten Wirtschaftssektoren verbunden sind. Der Verfall des demokratischen Systems wird sich fortsetzen.

Frage: Zury Rios, Tochter des ehemaligen Diktators Efrain Rios Montt, der für die Ermordung Tausender Indigener verantwortlich ist, hat gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen. Ist sie eine Gefahr für die Demokratie?

Rodenas: Sie kann nichts dafür, wer ihr Vater ist. Aber das Problem ist, dass jene, die derzeit mit ihr in Verbindung stehen, Personen sind, die antidemokratische Aktionen durchgeführt haben. Personen, die mit der Stiftung gegen Terrorismus in Verbindung stehen. Personen, die mit Militärs in Verbindung stehen, die für Menschenrechtsverletzungen stehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie im Fall eines Wahlsiegs die Menschenrechte schwächen wird. Sie hat sich in der Vergangenheit rassistisch geäußert und ist intolerant gegenüber Andersdenkenden. Sie repräsentiert die ultrakonservativen, rückschrittlichen Sektoren Guatemalas, und ich denke, sie ist eine Gefahr für die Demokratie.

Frage: In Ihrem Nachbarland El Salvador ist Präsident Naybib Bukele wegen seines harten Kurses gegen die Mara-Banden sehr populär, deren Mitglieder er zu Tausenden ins Gefängnis wirft. Sehen Sie auf Guatemala ein ähnliches Szenario zukommen?

Rodenas: Die Figur Nayib Bukele stellt tatsächlich eine Bedrohung für die Demokratie in Zentralamerika dar; allein schon aufgrund der Tatsache, dass er gegen die Verfassung verstößt, die eine Wiederwahl verbietet, und er trotzdem antreten will. Es wird viel über Kriminalitätsbekämpfung geredet – aber wir sehen auch offen Menschenrechtsverletzungen, etwa des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Viele Diktaturen in der Welt haben so begonnen: mit Handlungen, die dem Volk sympathisch sind. Später aber werden die Menschenrechte eingeschränkt; der Versuch, an der Macht zu bleiben, mündet in Diktaturen. Das sehen wir ja auch in Nicaragua oder Venezuela. Diktaturen, ob rechts oder links, haben die gleichen Einstellungen, Einschränkungen der Grundrechte und populistischen Handlungen gegenüber dem Volk.

Frage: In Mittelamerika spielt auch das Thema Migration eine große Rolle. Warum verlassen so viele Menschen Guatemala in Richtung USA?

Rodenas: Guatemala bietet seinen Bürgern keine Chancen. Menschen wandern aus, weil sie wirtschaftliche Bedürfnisse haben; weil es in diesem Land keine Arbeitsmöglichkeiten gibt, keine Studienmöglichkeiten, keine Möglichkeiten, sich zu verbessern. Menschen wandern auch aus, weil es Gewalt, Verfolgung, Erpressung gibt. Und Menschen wandern aus, weil sie mit ihren Familien wiedervereint werden wollen.

Vielleicht haben wir ein höheres Bruttoinlandsprodukt als andere Länder – aber das betrifft nur einige wenige Menschen, die eine Entwicklungschance, eine bessere Lebensqualität haben. Aber die Mehrheit Guatemalas, die armen Menschen, haben keine Chance, eine Arbeit zu bekommen. Wer Arbeit bekommt, wird sehr schlecht bezahlt, und so suchen sie in anderen Ländern nach Arbeit.

Die Fragen stellte Tobias Käufer

KNA

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