Völkermordprozess gegen General in Guatemala geplatzt
Guatemala-Stadt ‐ Schwerer Rückschlag für die juristische Aufarbeitung der brutalen Gewalt gegen die indigene Bevölkerung in Guatemala: Ein auch international verfolgtes Verfahren wird unmittelbar vor der Urteilsverkündung gekippt.
Aktualisiert: 05.12.2024
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Die Vorwürfe wiegen schwer: General Manuel Benedicto Lucas Garcia soll in den ersten drei Monaten des Jahres 1982 in drei Gemeinden in der guatemaltekischen Region El Quiche für die Ermordung von mehr als 1.400 Maya-Ixiles verantwortlich gewesen sein. Wegen der Aufarbeitung der Verbrechen stand der inzwischen pensionierte Militär seit Monaten in Guatemala-Stadt vor Gericht. Bei ihrem Abschlussplädoyer forderten die Ankläger jüngst mehr als 2.800 Jahre Haft für den Tatverdächtigen wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gewaltsamer Verschleppung.
Unmittelbar vor Urteilsverkündung gab es nun aber eine überraschende Wende. Denn nun hat laut Angaben des Menschenrechtszentrums des Erzbistums Guatemala-Stadt ein Berufungsgericht angeordnet, den Völkermordprozess gegen Lucas Garcia mit neuen Richtern zu besetzen und neu aufzurollen. Damit ist die bisherige Ermittlungsarbeit hinfällig, der Prozess muss von vorne beginnen.
Bei den Opfervertretern ist das Entsetzen über die neueste Entwicklung groß: „Die Opfer des Völkermords mussten jahrzehntelang warten, um endlich ein Urteil zu bekommen. Der Prozess, der im April 2024 begann, hat alle rechtlich-legalen Vorgaben eingehalten“, sagt Nery Rodenas, Geschäftsführer des Menschenrechtsbüros des Erzbistums von Guatemala, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf Anfrage. „Wir sind besorgt und zutiefst erschüttert, dass eine Kammer mit Richtern, die eng mit den korrupten Machteliten in Guatemala in Verbindung stehen, eine solche Entscheidung getroffen hat.“
Die Überlebenden, die vielen Opfer des Völkermords an den Maya Ixil hätten in all den vergangenen Jahrzehnten so viele Widerstände überwunden, um die Schuldigen vor Gericht zu bekommen. „Wir waren einem Urteil so nahe. Es fehlten nur noch die Abschlusserklärungen des Angeklagten und der Nebenkläger. Das ist nicht fair, es gibt keine rechtliche Grundlage, um den ganzen Prozess zu verwerfen“, sagte Rodenas.
Die für Menschenrechtsfragen zuständige Staatsanwaltschaft hatte zuvor in den 99 Verhandlungstagen nicht weniger als 1.367 Beweise vorlegt, darunter 75 Zeugenaussagen und 55 Sachverständigengutachten, um die Schuld des Angeklagten nachzuweisen, der zum Tatzeitpunkt dem Oberkommando des Heeres angehörte.
„Es war eine wahre Tortur für die Familien der mehr als 1.400 Toten, die seit fast 25 Jahren darauf warten, die Verantwortlichen vor die zuständigen Gerichte zu bringen“, sagte Eleodoro Osorio Sanchez, Präsident und Rechtsvertreter der Vereinigung für Gerechtigkeit und Versöhnung, in einer ersten Reaktion. „Viele Menschen sind während der Zeit bereits verstorben, und die Überlebenden müssen nun feststellen, dass das Rechtssystem in Guatemala nicht für das Maya-Volk da ist, sondern nur für eine kleine Gruppe von Menschen, die die Bevölkerung seit Jahrzehnten in einem Klima der Korruption und Straflosigkeit gefangen hält“, so Sanchez.
Die Opfervertreter erheben schwere Vorwürfe gegen die umstrittene Generalstaatsanwältin Consuelo Porras, die versucht haben soll, Einfluss auf das Verfahren zu nehmen. So wurden zuständige Staatsanwälte kurz vor Prozessende entlassen oder stellvertretende Staatsanwälte für Menschenrechte, die den Fall unterstützten, in andere Abteilungen versetzt. Die USA hatten in der Vergangenheit Sanktionen gegen Porras wegen des Vorwurfs der Korruption verhängt.
Der Bürgerkrieg in Guatemala zählt zu den brutalsten Konflikten in der Geschichte Lateinamerikas. Er dauerte 36 Jahre und endete am 29. Dezember 1996 mit dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen der rechtsgerichteten Regierung und der Rebellenvereinigung URNG. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Menschen getötet, 83 Prozent davon Angehörige der indigenen Maya-Bevölkerung. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Unterdrückung. Hintergrund des Konflikts waren Versuche einer Landreform Anfang der 50er-Jahre, die nach 1954 durch einen Putsch und ein US-gestütztes Regime unterdrückt wurden.