Rückschläge für den Friedensprozess in Kolumbien
Bogotá D.C. ‐ In Kolumbien versucht der linksgerichtete Präsident, den bewaffneten Konflikt im Land auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Doch es tauchen immer mehr Hindernisse auf.
Aktualisiert: 17.01.2023
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Vielleicht kann ja Papst Franziskus helfen: Am Wochenende empfing das Kirchenoberhaupt Veronica Alcocer, die Ehefrau des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro und so etwas wie die Geheimwaffe des linksgerichteten Staatschefs. Thema der Unterredung soll auch das wichtigste Projekt von Petros Präsidentschaft gewesen sein: „paz total“, der totale Frieden, soll den jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt in dem südamerikanischen Land endlich beenden.
Doch das international mit viel Wohlwollen begleitete Projekt erlebt derzeit einige herbe Rückschläge. In Kolumbien wird weiterhin fast alle zwei Tage ein Sozialaktivist getötet, alle drei Tage stirbt ein Soldat oder Polizist. Dazu gibt es Streit zwischen der Justiz und der Regierung über die Aufhebung von Haftbefehlen gegen rechtsextreme Clanchefs.
Hinzu kommen hausgemachte Probleme. Petro hatte über den Jahreswechsel mit einem Twitter-Beitrag einen vermeintlich bemerkenswerten Verhandlungserfolg vermeldet. Der ehemalige Guerillero und Ex-Bürgermeister von Bogota kündigte einen Waffenstillstand mit mehreren bewaffneten Gruppen an. Auch mit der ELN-Guerilla. Der „totale Frieden“ werde Realität, kommentierte der euphorisierte Petro.
Zerschlagenes Porzellan
Kirche und UN, die eigentlich die Friedensgespräche als Beobachter begleiten sollen, gratulierten umgehend – offenbar ohne sich bei der anderen Seite zu informieren. Denn die Ernüchterung folgte prompt: Der ELN dementierte eine Einigung mit Petro. Der sah sich gezwungen, Militäroperationen gegen die Guerillagruppe wieder freizugeben. Wenig später schickte Petro eine klare Botschaft an den ELN. Das selbsternannte Nationale Befreiungsheer (ELN) müsse sich entscheiden, welchen Weg er gehe, den von Padre Camilo Torres oder den von Pablo Escobar. Also entweder den der sozialen Gerechtigkeit, wie ihn der katholische Priester und Befreiungstheologe predigte, oder den Weg des Drogenhandels, wie ihn der legendäre Chef des Medellin-Kartells einschlug.
Die ELN wurde 1964 von Studenten, katholischen Radikalen und linken Intellektuellen aus Protest gegen die Armut der Kleinbauern gegründet. Eine ihrer Ikonen war ebendieser Petro Torres, der 1966 bei Kämpfen mit Regierungstruppen ums Leben kam. Es war nach kolumbianischen Quellen sein erster Kampfeinsatz überhaupt. Das Verhältnis von Marxismus und Christentum kommentierte Torres einst mit dem Satz: „Warum sollen wir streiten, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wenn wir beide wissen, dass Hunger tödlich ist?“
In diesen Tagen wollen die ELN und die Regierung die Gespräche nun wieder aufnehmen. Es gilt, das zerschlagene Porzellan wieder zusammenzukehren und eine gemeinsame Vertrauensbasis zu finden. Dabei helfen will ein anderes prominentes Gesicht. Rodrigo Londoño, auch bekannt unter seinem Kampfnamen „Timochenko“, bot seine Vermittlung an. Londoño war jahrelang der Chef der inzwischen befriedeten FARC-Guerilla und könnte seine Erfahrungen aus den 2016 mit einem Friedensvertrag abgeschlossenen Verhandlungen mit der damaligen Regierung von Präsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos einfließen lassen. Wenn man ihn den lässt.
Derweil bleibt der Kirche nur, an alle Seiten zu appellieren, sich weiter um Frieden zu bemühen, den Boden zu bereiten. Der für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zuständige Geistliche und frühere Caritas-Direktor Hector Fabio Henao, der die Gespräche intensiv beobachtet, rief alle Beteiligten zum Dialog auf. Das Jahr 2023 solle zum Jahr des Friedens werden. Bislang ist das erst einmal ein frommer Wunsch. KNA