Ein Jahr ohne Mugabe in Simbabwe
Simbabwe ‐ Im Supermarkt leere Regale, Apotheken ohne Medikamente, stundenlanges Anstehen um ein paar Liter Benzin. So sieht in Simbabwe der „Neuanfang“ aus. Damit hatte beim Sturz des Diktators vor einem Jahr niemand gerechnet.
Aktualisiert: 22.11.2022
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Im Supermarkt leere Regale, Apotheken ohne Medikamente, stundenlanges Anstehen um ein paar Liter Benzin. So sieht in Simbabwe der „Neuanfang“ aus. Damit hatte beim Sturz des Diktators vor einem Jahr niemand gerechnet.
„Ich verspreche, dem Inhaber auf Verlangen zwei Dollar auszuzahlen“ – dieser Satz bestimmt derzeit die Leben von 17 Millionen Simbabwern. Gedruckt steht er auf der offiziellen Währung des südafrikanischen Landes: Schuldscheinen. Vor einem Jahr begann in Simbabwe mit dem Sturz von Diktator Robert Mugabe eine neue politische Zeitrechnung. Die Probleme sind geblieben.
„In Simbabwe bejubeln immer noch viele den versprochenen Neuanfang, aber sie verlieren kein Wort darüber, dass die gesamte Mugabe-Infrastruktur geblieben ist“, sagt Justice Malala, einer der angesehensten Politologen im südlichen Afrika. Simbabwe steht nach 37 Jahren Mugabe-Diktatur am Scheideweg.
Vor genau einem Jahr waren durch die Straßen der Hauptstadt Harare die Panzer gerollt. Binnen einer Woche zwang die Armee Mugabe zum Rücktritt und erklärte die Regierungszeit des autoritären Greises für beendet. Zugleich sollte der Machtwechsel einen Schlussstrich unter Menschenrechtsvergehen und wirtschaftlichen Stillstand ziehen. Die Arbeitslosigkeit in der verarmten „Kornkammer Afrikas“ schwankt zwischen 80 und 90 Prozent.
Im Juli fanden erstmals Präsidentschaftswahlen ohne Mugabe statt; dessen umstrittener Nachfolger Emmerson Mnangagwa wurde zum Sieger erklärt. Der Politiker mit dem Spitznamen „Krokodil“ versprach der Nation einen „Neuanfang“. Doch kaum vier Monate danach befindet sich Simbabwe fest im Griff der Wirtschaftskrise. Im Oktober schlossen mehrere Fastfood-Restaurants und Supermärkte, da jede Stunde Öffnung wirtschaftliche Verluste bedeutete.
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Die Simbabwer fühlten sich an die Hyperinflation von 2008 erinnert. Nach dem Kollaps des Simbabwe-Dollars wurde der US-Dollar zum offiziellen Zahlungsmittel. Sein Wechselgeld an der Supermarktkasse durfte man damals selbst auswählen: einen Lutscher, eine Handvoll Kaugummis oder einen handgeschriebenen Schuldschein über ein paar Cent. Auch jetzt ist Mangel an harter Währung.
Eigentlich sollten Schuldscheine („Bond notes“) und elektronisches Geld den US-Dollar im Kurs 1:1 ersetzen. Trauen will dieser Währung aber niemand so recht. Am Schwarzmarkt erhält man für einen US-Dollar bis zu zehn „Bond notes“. Das führte zu teils irrwitzigen Preisen im Supermarkt: Knapp 100 Dollar für einen Sack Hundefutter oder 55 Dollar für ein Kilo Billigkäse. Krankenhausärzte und Lehrer gingen nun auf die Straße. Sie verlangten von der Regierung, mit „richtigem Geld“ bezahlt zu werden.
Steven Gruzd ist Experte für Regierungsführung am Südafrikanischen Institut für Internationale Angelegenheiten (SAIIA). Er nennt die Hoffnung auf einen „simbabwischen Frühling“ voreilig: „Nachdem das Volk den Fall eines Autokraten ausreichend gefeiert hat, erkennt es nun, dass die Probleme tief in Struktur und System sitzen. Sie gehen weit über eine Einzelperson hinaus.“
Auch was Menschenrechte und freie Meinungsäußerung angeht, sorgte Mnangagwa in seinem ersten Amtsjahr für Stirnrunzeln. Nach den Wahlen, die laut der Opposition von Betrug bestimmt waren, brachen in Harare Proteste aus. Soldaten töteten unbewaffnete Demonstranten. Zumindest setzte der neue Präsident eine Untersuchungskommission ein, die herausfinden soll, wie es zu dem Blutbad kam. Solche Signale lassen viele Simbabwer und internationale Beobachter hoffen. Derzeit versucht die Regierung etwa auch, 40 Millionen US-Dollar aufzutreiben; damit sollen weiße Farmer entschädigt werden, die Mugabes Regime von ihrem Land vertrieben hat.
Doch Regierungskritiker bleiben skeptisch. Für Aufsehen sorgte zuletzt Oppositionsführer Nelson Chamisa mit der Behauptung, nur knapp einer Entführung durch den Geheimdienst entgangen zu sein. Auch Politologe Gruzd sieht in Simbabwe ein Bild wie in vielen anderen Staaten Afrikas, in denen eine repressive, korrupte Elite die nächste ablöst: „Nicht selten ist es ein Parteigenosse, der an die Macht kommt und sich derselben Gesetze und Praktiken bedient wie der alte Herrscher.“
Von Markus Schönherr (KNA)
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