Wie die sozial-ökologische Transformation in Afrika gesehen wird
München ‐ Bei einem Treffen am vergangenen Mittwoch haben sich Bischöfe und Expert*innen aus Afrika und Deutschland über sozial-ökologische Transformation ausgetauscht. Im Interview erklärt der Ökonom und Philosoph Prof. Dr. Johannes Wallacher, welche Bedeutung dabei die interkulturelle Perspektive hatte - und was der kirchliche Beitrag zum sozial-ökologischen Wandel sein kann.
Aktualisiert: 16.03.2023
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Bischöfe und Expert*innen aus Afrika und Deutschland haben sich bei einem internen Treffen über notwendige Maßnahmen zur sozial-ökologischen Transformation ausgetauscht. Dabei ging es auch um die Frage, was die Kirche zu diesem Prozess beitragen kann. Eine Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz war Ausgangspunkt des Gesprächs. Professor Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie München, hat als Leiter der Gruppe die Studie wesentlich mit verfasst und war einer der Referenten des Treffens. Im Interview erklärt er, welche Bedeutung die interkulturelle Perspektive für die Arbeit der Sachverständigengruppe hat - und was der kirchliche Beitrag zum sozial-ökologischen Wandel sein kann.
Frage: Herr Professor Wallacher, Sie haben mit afrikanischen Bischöfen und Experten über sozial-ökologische Transformation gesprochen. Ganz kurz: Warum dieser Austausch? Worum ging es konkret?
Professor Dr. Dr. Johannes Wallacher: Ganz konkret war es uns wichtig, Perspektiven des Südens, aus Afrika, zu erhalten. Die Sicht der afrikanischen Partner wollten wir eigentlich schon vor der Fertigstellung der Studie zum Gelingen der sozial-ökologischen Transformation der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik der Deutschen Bischofskonferenz einholen. Es hat dann coronabedingt und aus organisatorischen Gründen nicht geklappt, dies vor Abschluss der Studie zu realisieren. Insofern haben wir dies nun nachgeholt, um eben diese Perspektiven und Einschätzungen einzuholen und damit jenen Impuls, den wir mit der Studie setzen, auch nochmal in einer interkulturellen Perspektive zu erweitern. Zudem wollten wir sehen, wo wir in der Weiterarbeit der Sachverständigengruppe spezifische afrikanische Perspektiven einbringen können.
Frage: Ist die sozial-ökologische Transformation in Afrika überhaupt ein Thema?
Wallacher: Nicht unter diesem Stichwort. Ich glaube, es ist wichtig zu sehen: Dort ist die Umweltkrise bereits Realität, kein abstraktes Zukunftsproblem, sondern alltägliche Herausforderung. Hinzu kommen Armutsprobleme, insbesondere jetzt auch unter den pandemischen Bedingungen. Wir haben in vielen Ländern erhebliche Wirtschaftsprobleme.
Wenn wir die ökologische Dimension anschauen: Wir sprechen hier über die notwendigen Investitionen in den Umbau zu den erneuerbaren Energien, ein Thema, das dort momentan noch nur ansatzweise diskutiert wird – auch weil die Technologien und Finanzierungsmöglichkeiten zum Einstieg in ein erneuerbares Energiesystem – um ein Beispiel zu nennen – bislang fehlen, obwohl dort die klimatischen Voraussetzungen in vielen Regionen offensichtlich besonders günstig sind.
Frage: Vergleicht man Europa mit Afrika, ist bei uns der Verbrauch von Umweltressourcen pro Kopf um ein Vielfaches höher. Was folgt daraus aus Sicht der afrikanischen Workshop-Teilnehmenden?
Wallacher: Dieses Thema wurde bei dem Treffen angesprochen, nicht nur von Seiten der afrikanischen Expert*innen, sondern auch von unserer Seite. Die signifikante Asymmetrie von ungleicher Verursachung und Betroffenheit ist ein fundamentales Problem globaler Gerechtigkeit. Das war sehr bewusst auch Grundlage der Fragen, die wir diskutiert haben. In Afrika erkennt man an, dass es bei uns ein notwendiges Umsteuern gibt. Die große Frage dort ist aber: Wie kann Afrika davon profitieren? Wie kann man einen afrikanischen Weg finden, der bei der Errichtung von Infrastruktur für Energie oder den Städtebau nicht die Fehler wiederholt, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, sondern gleich nachhaltige Entwicklungspfade einschlägt?
Beispiele, die genannt wurden: Könnten wir die Stadtentwicklung in Afrika als Pilotprojekt nicht nur für Afrika, sondern für die ganze Welt gestalten? Oder wie könnten wir jetzt die vielfach vorhandenen besseren Voraussetzungen für erneuerbare Energien, Stichwort Sonne, in Afrika so nutzen, dass das Potenzial realisiert werden kann für eine Energieversorgung, die Afrika nicht von fossiler Energie abhängig macht, durch Kohlekraftwerke zum Beispiel.
Frage: Bei dem Treffen wurde auch darüber gesprochen, welche Rolle die Kirche in einem Prozess der sozial-ökologischen Transformation einnehmen könnte. Geht es dabei nicht eher um technische, politische und wirtschaftliche Fragen? Was kann die Kirche hier überhaupt beitragen?
Wallacher: Das war ein großer Themenpunkt. Es waren vor allem auf deutscher Seite wirkliche Fachwissenschaftler dabei, die durchaus auch im säkularen Bereich führend in diesen Bereichen sind. Die haben sich die Frage gestellt, was ein spezifischer Beitrag der Kirche sein kann.
Einerseits geht es nicht ohne technische Lösungen und geeignete ökonomische Instrumente, Stichwort Bepreisung von CO2 und Umweltverbrauch. Aber diese sind immer nur eine notwendige und keineswegs hinreichende Voraussetzung. Wir brauchen auch einen Kulturwandel. Nachhaltige Entwicklung ist eine kulturelle Frage, eine Veränderung des Mindsets, individuell wie gesellschaftlich. Da kann die Kirche, dieser Referenzpunkt wurde immer wieder genannt, mit der Enzyklika Laudato si' wirklich einen wichtigen Beitrag durch ihr umfassendes, ganzheitliches Vorgehen leisten.
Das geht, indem man integriert die ökologischen und sozialen Fragen nennt und den ganzen Menschen in seinem Beziehungsgeflecht zu sich selbst, in der sozialen Dimension zu anderen Menschen, zur Umwelt oder Mitwelt, aber auch in der Perspektive der Transzendenz und damit auch in dem, was uns unverfügbar ist, wahrnimmt. Die Frage, wie dieses Potenzial eines ganzheitlichen Vorgehens und Menschenbildes eingebracht werden kann, machte einen großen Teil der Diskussionen aus.
Frage: Wie haben die afrikanischen Kirchenvertreter Ihre Studie aufgenommen? Wo legen sie Schwerpunkte? Gab es da auch unterschiedliche Ansichten?
Wallacher: Ich würde nicht sagen, dass die Ansichten divergieren; wir sind vielmehr von unterschiedlichen Enden gestartet. In der Studie (der Sachverständigengruppe) wird ja betont, dass wir dieses kulturelle Framing brauchen, dass wir auch Aspekte der Suffizienz brauchen, einer Kultur der Genügsamkeit, einer Gemeinwohlorientierung, aber gleichzeitig auch technologischen Fortschritt und ökonomische Anreizmechanismen. Und das ist ein Punkt, der aus unserer Betrachtungsweise nochmal stärker vorgebracht wurde, wo aber zum Schluss in den Dialogen Verständnis gewachsen ist, dass es beides braucht: Effizienz und Suffizienz. Das eine wird ohne das andere nicht gelingen. Deswegen ist es falsch, die beiden Alternativen aufzumachen, einerseits ein technisch-ökonomisches Paradigma als Allheilmittel zu sehen, andererseits in einer Frage des Verzichts die Lösung aller Probleme zu sehen. Wir müssen beides – und das ist ein spezifischer kirchlicher Beitrag – zusammenbringen, damit die sozial-ökologische Transformation hier in Deutschland, aber auch weltweit gelingen kann.
Frage: Was nehmen Sie von diesem Austausch mit?
Wallacher: Es war neu und sehr bereichernd, die ganz konkreten Fragen vor Ort und auch die Vielfalt der Probleme in Afrika zu sehen. Afrika ist ein riesiger Kontinent und wir haben in Afrika sehr unterschiedliche Herausforderungen. Das hat uns vor allen Dingen Bishop MacWilliam aus Algerien gezeigt. Die Christen dort befinden sich in einer kirchlichen Situation, die eine Minderheitensituation ist, wo die Mitglieder der katholischen Kirche eher Einwanderer sind. Das ist eine ganz andere Situation als in vielen anderen Ländern Subsahara-Afrikas, wo die Kirche durchaus eine gewichtige Stellung hat und sie auch ganz andere Bevölkerungsschichten mitrepräsentiert. Wir haben aber auch geographisch große Unterschiede. Wir haben Regionen, zum Beispiel in Subsahara-Afrika, die ganz anders vom Klimawandel betroffen sind als andere Teile des Kontinents. Um diese Vielfalt zu erleben und Antworten darauf geben zu können, dass es einerseits ein allgemeines Umdenken, allgemeine Lösungskonzepte braucht, diese dann aber nochmals lokal angepasst und entsprechend den Menschen vor Ort durchgeführt werden müssen, war sicherlich ein wichtiger Punkt.
Frage: In der Studie wird auch das Thema „Nahrungsmittelproduktion“ angesprochen…
Wallacher: Wir haben uns sehr intensiv auf die Frage der Ernährungssicherung als einem zentralen Feld verständigt, das in Zeiten des Klimawandels immer drängender wird, auch weil Land sehr knapp wird, auch angesichts der zunehmenden Konkurrenzen der Nutzung landwirtschaftlicher Anbauflächen. Es wurde die Frage gestellt, warum so viel Land in Afrika nicht für Nahrungsmittel, sondern für Futtermittel für die Tierproduktion genutzt wird. Wir haben aber auch die Frage von unsicheren Eigentumsrechten an Ländereien erörtert; all das sind ganz wichtige Themen.
Ein anderes Beispiel, das ich sehr interessant fand: In Afrika wäre es doch spannend, für die Energieversorgung die Sonne noch viel mehr zu nutzen und nicht über Kohlekraftwerke zu diskutieren – die derzeit eine naheliegende Lösung sind, weil Kohle immer noch sehr billig ist, ihre Nutzung aber höchst fragwürdige soziale und ökologische Folgewirkungen hat. Der Aufbau dezentraler erneuerbarer Energiesysteme verlangt jedoch erheblich höhere institutionelle Voraussetzungen an politisches Handeln und Strukturen und ist damit auch eine Frage der politischen Governance, die für viele afrikanische Länder derzeit eine große Herausforderung darstellt.
Der Dialog war so ermutigend, dass wir versuchen wollen, bei Folgeprojekten die afrikanische Expertise von vorneherein in die Erarbeitung von Studien mit einzubauen. Die Bereitschaft dazu ist vorhanden und dies ist ein erstes konkretes Ergebnis des Dialogs, der zukünftig hoffentlich verstärkt wird.
Frage: Wird es weitere Treffen geben?
Wallacher: Das hoffen wir. Das gemeinsame Treffen hat gezeigt, wie wichtig es ist, von unterschiedlichen Perspektiven her gemeinsam an den gleichen Problemen zu arbeiten. Das entspricht auch genau dem Geiste der Enzyklika Laudato si‘, wo es heißt, die Probleme sind so dramatisch, dass wir es uns auch gar nicht erlauben können, irgendeine Form des Wissens außer Acht zu lassen. Das gilt auch für das Wissen von vor Ort. Um mit einem konkreten Beispiel zu schließen: Das Wissen über traditionelle Pflanzen, die möglicherweise resistenter gegen veränderte Klimabedingungen sind.
Herr Professor Wallacher, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellte Damian Raiser (weltkirche.de)
Mitarbeit: Dr. Heike Rumbach-Thome (DBK)
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