Üben für den Ernstfall: Wie Militärseelsorger Soldaten helfen
Berlin/Zweibrücken ‐ Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine bereitet sich nicht nur die Nato, sondern auch die deutsche Militärseelsorge auf einen potenziellen Ernstfall vor. Mit Verdrängung komme man nicht weiter, sagen die Experten.
Aktualisiert: 11.09.2024
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Militärseelsorger Markus Konrad will es genau wissen: Wie es sich anfühlt, an die eigenen Grenzen zu gehen. Wie man persönliche Angst überwinden kann. „Ich habe schon an einem Leistungsmarsch von Soldaten teilgenommen und bin auch schon mit einem Fallschirm von einem zwölf Meter hohen Sprungturm gesprungen“, erzählt der katholische Geistliche, der im rheinland-pfälzischen Zweibrücken das Fallschirmjägerregiment mit 1.200 Soldaten begleitet.
Er mache das, um seinen Schützlingen und ihren Problemen möglichst nahe zu kommen. „Meine Anfangserfahrung soll eine Brücke zu den Soldaten sein. Die Hemmschwelle soll so niedrig werden, dass es ihnen leicht fällt, mir anzuvertrauen, was sie belastet.“
In der Zeitenwende wird Militärseelsorge immer wichtiger. Die beiden christlichen Kirchen wollen deshalb „eine Art geistlichen Operationsplan“ entwickeln, berichtet der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg. „Wir müssen auf den Ernstfall, den Angriff auf einen Nato-Mitgliedstaat, vorbereitet sein, auch wenn er hoffentlich nie eintrifft.“ Eingebunden in die seelische Präventionsarbeit sei neben dem Bundesverteidigungsministerium auch die Katastrophenhilfe mit ihren Notfallseelsorgern sowie die Gemeinden vor Ort, ebenso das Militärrabbinat.
Dabei gehe es darum zu überlegen, wie Seelsorge in so einem „extremen Krisenfall“ konkret aussehen könne, so Felmberg. „Wo werden die Militärgeistlichen benötigt, wo sind sie im Weg? Was ist zu tun, wenn es zu einer großen Zahl von Verletzten und Toten kommt? Wie kann man eine Todesnachricht überbringen?“
Die Militärgeistlichen selbst nähmen zur Zeit verstärkt an Übungen teil, um herauszufinden, wo sie im Fall des Falles gebraucht würden. „Ich erlebe die Bundeswehrsoldaten seit der Zeitenwende deutlich angespannter, weil sie intensiver üben müssen“, so Felmberg. Dies liege daran, dass die Übungen „realitätsbezogener“ seien. „Die Soldaten spüren jetzt stärker, dass ihr Beruf ein scharfes Ende hat.“
Viel Interesse am Berufsfeld
Auch Konrad geht, um seine Schützlinge besser zu verstehen, mit auf Übungen, war kürzlich mit der Bundeswehr in Rumänien und Ungarn. Dabei sieht er es auch als seine Aufgabe an, die steigende Risikobehaftung des Soldatenberufs behutsam anzusprechen. „Mit Verdrängungstaktiken kommt man in der Zeitenwende nicht weiter.“ Er schätze an den Soldaten, dass sie „sehr direkt und schnell auf den Punkt kommen. Es kommt oft zu tiefgreifenden Gesprächen - auch über Verwundung und Tod.“
Felmberg betont, dass die Seelsorger den Soldaten Verschwiegenheit garantieren, bei dem, was sie auf dem Herzen haben. Themen seien etwa der grundsätzliche Umgang „mit der Situation Krieg“ aber auch familiäre Belastungen. Dabei sei die Seelsorge offen für alle Soldaten – gleich ob sie religiös oder konfessionell gebunden seien oder nicht.
Grundsätzlich wünsche er sich mehr Militärseelsorger für die Bundeswehr, sagt der Geistliche. Bisher sei das Angebot „recht übersichtlich“. Demnach gibt es zur Zeit 104 evangelische Militärseelsorger, etwa 80 katholische sowie zehn Rabbiner. Über einen „weiteren Aufwuchs“ sei er mit dem Bundesverteidigungsministerium im Gespräch.
Nachwuchssorgen hat Felmberg nicht: Viele der evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer seien zur Zeit daran interessiert, Militärseelsorger zu werden. „Sie sagen mir, dass sie den Soldaten zur Seite stehen wollen“, sagt Felmberg. „Der christliche Glaube ist etwas, was der Seele Ruhe geben kann.“
Pfarrer Konrad hat sich zum Ziel gesetzt, ein Ohr für die Alltagslast der Soldaten zu haben. Dazu gehört, wie die Familie mit der Situation zurecht kommt. „Soldaten müssen manchmal innerhalb von sehr kurzer Zeit an ihren Dienstort abreisen. Für Verabschiedungen bleibt da nicht immer Zeit. Es ist aber wichtig, dass sie den Kopf frei haben. Sonst sind sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen.“
Auch beim „geistlichen Operationsplan“ sind die Angehörigen Thema. „Wir haben natürlich viel Erfahrung mit Auslandseinsätzen. Aber jetzt geht es um andere Fragestellungen – etwa, ob man die Familie mit nach Litauen nehmen will, und was das bedeutet, wenn man nur wenige Kilometer von der NATO-Ostflanke stationiert ist“, sagt Felmberg.