Kein Krieg bedeutet noch lange keinen Frieden
Der Mord an dem philippinischen Menschenrechtler Jerry Loyola sollte Angst und Schrecken verbreiten. Doch sein Traum vom Frieden lebt weiter.
Aktualisiert: 29.01.2024
Lesedauer:
Mindanao ist die zweitgrößte Inselgruppe im Süden der Philippinen. Auch wenn die letzte militärische Auseinandersetzung 2019 mit der Gründung der staatlich anerkannten Bangsamoro Autonomen Region Muslimisches Mindanao (BARMM) beendet wurde, ist der Friede immer noch labil. Attentate werden verübt, nicht nur, um unliebsame Personen zu beseitigen, sondern auch, um gezielt eine Atmosphäre der Angst und der Bedrohung zu verbreiten.
Jerry Loyola, genannt „Boyet“, hatte keine Chance als er, am Nachmittag des 11. Januars, auf dem National Highway Sitio Bagong Silang, San Vicente, in Makilala, Cotabato unterwegs war. Gegen 17.00 Uhr näherte sich ihm ein Motorrad mit Unbekannten, die ihn vor den Augen der entsetzten Passanten gezielt erschossen. In den Nächten davor hatten die Dorfbewohner immer wieder unbekannte motorisierte Männer bemerkt, die in ihr Dorf eindringen wollten. Jedes Mal konnten sie die Unbekannten aufhalten, nicht jedoch das Attentat auf Boyet in aller Öffentlichkeit verhindern. Er war in der Stadtverwaltung von Makilala im Referat für indigene Gemeinden beschäftigt. Leidenschaftlich setzte sich der gläubige Christ für die Rechte der Indigenen und für eine nachhaltige Landwirtschaft ein. Er war ein nachdrücklicher Vermittler von Allianzen und Partnerschaften in der Friedensarbeit zwischen Christen, Muslimen und Indigenen.
Kennenlernen konnte ihn auch noch Sebastian Bugl, Leiter der Abteilung Weltkirche der Erzdiözese München und Freising bei einem Exposure Programm, das der ehemalige Missio-Referent Dieter Zabel im November letzten Jahres in Mindanao zusammen mit Jocelyn „Ging“ Aquiatan, Leiterin von ICON-SP organisiert hatte. Seit 2009 unterstützen die Erzdiözese München und Freising, aber auch das Bistum Eichstätt, Missio München und andere ICON-SP (Intercultural Organisations Network on Solidarity and Peace), die einzige im Süden Mindanaos noch verbliebene Menschenrechtsorganisation.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Für den ersten Tag des Exposure Programms hatte Jocelyn Aquiatan alle Organisationen des Netzwerkes eingeladen, ihre Arbeit vorzustellen. Emotional sichtlich bewegt berichtete Boyet von dem Schicksal der indigenen Flüchtlinge in seiner Heimat. Nachdem das Militär sie von ihrem angestammten Land vertrieben hatte, fristeten sie ihr Dasein 36 Jahre lang in ärmlichen Hütten auf einem Friedhof und entlang eines Kanals und verdingten sich hauptsächlich als Tagelöhner auf den anliegenden Reisfeldern eines Großgrundbesitzers. Durch Boyets hartnäckige Bemühungen und das Engagement von ICON-SP konnte schließlich ein Umsiedlungsort mit kostenlosen Grundstücken und Häusern für 82 durch den Krieg vertriebene Familien in San Vicente, Makilala, geschaffen werden. Das neue „Kasunayan Peace Village“ wurde über den Bischof von Kidapawan, Jose Colin M. Bagaforo, von CARITAS Philippinen finanziert. ICON-SP begleitet die Dorfbewohner mit friedensfördernden Maßnahmen und einem Umweltprogramm.
Menschenrechtler als Terror-Sympathisanten diffamiert
Boyets Ermordung trifft in aller Härte nicht nur seine Familie, sondern auch die Partnerorganisationen, sagt Jocelyn „Ging“ Aquiatan. Sie sorgt sich um die 15 Mitarbeitenden von ICON-SP, die ständig in Außeneinsätzen in der Region unterwegs sind, aber auch ganz konkret um ihre Familie. „Ich kenne den Preis, den ich bezahle“, sagt sie und spielt dabei auf das in ihrer Region sehr gefürchtete „red tagging“ an, was so viel bedeutet wie „brandmarken“. Da sich ICON-SP vor allem um Arme, Marginalisierte und die Rechte indigener Gemeinschaften einsetzt, wird ihr und ihren Mitarbeiter:innen unterstellt, der kommunistischen Rebellengruppe NPA (New People’s Army) nahezustehen. „Wer bei ICON-SP arbeitet, hat keine Chance mehr auf eine reguläre Beschäftigung, z.B. in einer Schule“, sagt sie.
Gemeinsam mit den für den Frieden Demonstrierenden pflanzten sie rund 40 Bäume auf dem Gelände der Methodistenkirche. Beim anschließenden Forum im Kidapawan College Notre Dame verpflichteten sich alle Teilnehmenden durch ihre Unterschrift auf einer Leinwand, dem Frieden zu dienen. Auch die deutschen Gäste des Exposureprogramms unterschrieben diese Vereinbarung. „Wir sind tief erschüttert über den Tod von Jerry „Boyet“ Loyola“, sagen Sebastian Bugl und Dieter Zabel; „Wir werden alles in unserer Macht Mögliche tun, um ICON-SP und die ihr angeschlossenen Organisationen bei ihrer so wichtigen Arbeit für den Frieden zwischen Christen, Muslimen und den Indigenen im Süden Mindanaos zu unterstützen“.
Boyet hatte auch aktiv an den Planungen zur letzten Friedenswoche in Mindanao im Dezember 2023 mitgewirkt. An ihr nahmen Christen, Muslime und Indigene teil. An dem 3 km langen Friedensmarsch durch die Stadt Kidapawan beteiligten sich aber auch Militär-Kadetten des örtlichen Militärs.
Boyets Traum lebt weiter
Die Polizei hat die Ermittlungen im Falle von Boyet aufgenommen. Ob die Täter gefasst werden, bleibt offen. Und wenn man sie findet, dann hat man noch lange nicht ihre Auftraggeber. Ein Strafprozess kann sich über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte hinweg ziehen. So wie im Falle des italienischen Paters Fausto Tentorio von PIME, der am 17. Oktober 2011 in Arakan gewaltsam ums Leben kam. Auch er hatte sich für die indigene Bevölkerung eingesetzt sowie für den Umweltschutz und gegen die Bergbauvorhaben internationaler Konzerne in den angestammten Gebieten der Indigenen gekämpft.
Die Übersiedlung weiterer 52 Familien in ein neues Dorf sowie Boyets lang gehegter Traum von einer indigenen Gemeinschaft in der die eigene Kultur in einer „School of Living Tradition“, „Schule der gelebten Tradition“, gelehrt wird, müssen jetzt andere für ihn weiterführen. Mit den Mitgliedern des Netzwerks von ICON-SP jedoch bleibt die Hoffnung, dass die Friedensarbeit in Mindanao im Süden der Philippinen fortgesetzt wird.