Afrikanische Friedensinitiative in Kiew und Moskau

Afrika dreht den Spieß um. Über Jahrzehnte vermittelten postkoloniale Europäer in afrikanischen Konflikten. Nun reisen Staatschefs aus Afrika in die Ukraine und nach Russland, um zur Beilegung des Kriegs beizutragen.

Erstellt: 16.06.2023
Aktualisiert: 19.06.2023
Lesedauer: 
Von Markus Schönherr (KNA)

Eine afrikanische Friedensinitiative will im Krieg zwischen Russland und der Ukraine vermitteln. Am Freitag sollen afrikanische Staatschefs in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen; für Samstag ist eine Visite bei Wladimir Putin in Moskau geplant. Von einem historischen Moment sprach am Donnerstagabend der südafrikanische Regierungssprecher Vincent Magwenya in Warschau: „Es ist das erste Mal, dass der Kontinent zusammenkommt, um zu versuchen, eine Lösung für einen Konflikt außerhalb Afrikas zu finden.“

Im Mai hatte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa die Friedensmission nach Telefonaten mit Selenskyj und Putin erstmals verkündet. „An oberster Stelle steht der Versuch, eine friedliche Lösung für den zerstörerischen Konflikt in der Ukraine zu finden. Er kostet Menschenleben und hat auch Folgen für den afrikanischen Kontinent“, so Ramaphosa.

Gemeinsam mit den Präsidenten Senegals, Sambias und der Komoren traf er am Donnerstag in Polen ein, von wo es per Zug nach Kiew weiterging. Die Präsidenten der Republik Kongo, Ugandas und Ägyptens, die ebenfalls Teil der Initiative sind, schickten Vertreter. Wie die südafrikanische Onlinezeitung „Daily Maverick“ berichtet, versuchte der kongolesische Staatschef Denis Sassou-Nguesso, seine Amtskollegen von einer Terminverschiebung zu überzeugen; er halte die Mission angesichts der ukrainischen Gegenoffensive gegen die russischen Besatzer für zu gefährlich.

Für Aufsehen sorgte unterdessen ein Zwischenfall am Warschauer Flughafen, bei dem polnische Sicherheitskräfte den südafrikanischen Präsidentenschützern die Einreise verweigerten. Ramaphosas Sicherheitschef sprach von Rassismus der Behörden.

Ziel der Friedensmission ist laut Südafrikas Präsident, eine afrikanische Perspektive zu den verschiedenen derzeit laufenden Konfliktvermittlungen beizutragen. Experten aus Afrika und dem Westen begrüßten die Initiative. „Wenn afrikanische Anführer sich als Schlichter anbieten, sollte man das durchaus ernst nehmen. Viele von ihnen haben Erfahrung bei der Konfliktbewältigung gesammelt, die nun im Ukraine-Russland-Konflikt zur Anwendung kommen könnte“, sagte Politologe Steven Gruzd vom Südafrikanischen Institut für Internationale Angelegenheiten (SAIIA).

Von einer einzigartigen Möglichkeit für die afrikanischen Vermittler sprach am Donnerstag die Denkfabrik Atlantic Council. Sie könnten Teil der Lösung für ein globales Problem werden, um „nicht länger als Kollateralopfer am Rande der Geopolitik abzuwarten“.

Sorge äußerten Beobachter über Südafrikas Rolle bei den Gesprächen. Zwar war es dem Schwellenstaat gegen Ende der Apartheid 1994 gelungen, einen Bürgerkrieg abzuwenden und die Südafrikaner in die Demokratie zu führen. Doch zuletzt sorgten die Regierenden in Pretoria durch ihren russlandfreundlichen Kurs für Schlagzeilen, unter anderem mit einem gemeinsamen Militärmanöver zu Jahresbeginn. Ramaphosas Regierung beansprucht Neutralität.

Einige Experten sehen den Besuch bei Putin am Samstag auch als Versuch, diesen von der Teilnahme am bevorstehenden BRICS-Gipfel abzubringen. Die Staatschefs Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas werden im August in Johannesburg erwartet. Südafrika wäre als Partner des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) verpflichtet, Putin festzunehmen. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor.

KNA

Mehr zum Thema