Anpacken statt auswandern
Freising ‐ Die Zahl junger Menschen, die den Westbalkan verlassen, bleibt weiter hoch. In der Heimat fehlt es an Perspektiven. Die örtliche Kirche versucht das zu ändern: Sie unterstützt jene, die bleiben.
Aktualisiert: 26.05.2023
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Drei Länder, ähnliche Probleme: Im Kosovo, in Albanien und in Bosnien und Herzegowina herrschen Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Perspektiven. Die Folge: Massenhafte Migration, die Familien auseinanderreißt und ganze Landstriche entvölkert. Renovabis fördert auf dem Westbalkan eine Reihe von Projekten, die helfen, junge Menschen besser zu qualifizieren, damit sie die Chance haben, sich in ihrer Heimat eine Existenz aufzubauen statt ins Ausland abzuwandern. Das beginnt mit Schulausbildung, wird fortgesetzt mit der Berufsausbildung und Jobvermittlung, häufig auch durch Start-up-Hilfe und Workshops sowie vielen Fortbildungen. Peter Beyer (Text) und Achim Pohl (Fotos) haben drei solcher Projekte besucht.
Bildung als Grundlage: Die Don Bosco Schule in Pristina (Kosovo)
Abklatschen, Schulterklopfen, Händeschütteln, Ghettofaust. So begrüßt Don Dominik Querimi, Leiter der Don Bosco Schule in Pristina, seine 1100 Schülerinnen und Schüler jeden Morgen. Qualifizierte Wissensvermittlung und familiäre, wertschätzende Atmosphäre haben der Bildungsstätte einen herausragenden Ruf beschert. „An anderen Schulen geht es viel anonymer zu“, sagt der Elftklässler Lekë Berisha. „Außerdem ist es hier viel sauberer!“ Als Katholik ist er im Kosovo Vertreter einer kleinen Minderheit. Probleme oder auch nur Grüppchenbildung deswegen kennt er in der muslimisch geprägten Schulgemeinschaft nicht. Mit Hilfe von Renovabis konnte 2018 ein zusätzliches Schulgebäude errichtet werden – seitdem drücken hier auch Erstklässler die Schulbank.
„Das staatliche Schulsystem ist schlecht“, berichtet Don Dominik. In dem von massenhafter Migration gebeutelten Kosovo ist gute Ausbildung aber extrem wichtig, denn sie eröffnet Chancen. Auch darum bilden sich am Tor der Schule bei jeder Anmeldung zum neuen Schuljahr schon am Vortag lange Schlangen. „Wir nehmen die Kinder strikt nach Reihenfolge der Anmeldung auf, nie aus Gefälligkeit“, betont der Salesianer. In einem Land, in dem Vetternwirtschaft tief verwurzelt ist, ist dies außergewöhnlich. Viele der Schulabgänger möchten das Land dennoch verlassen. Aber sie haben eine gute Grundlage und kommen vielleicht einges Tages wieder.
Jobvermittlung und Start-up-Hilfe: Das Förderprogramm „YourJob“ in Shkodra (Albanien)
Arbeit statt Apathie: Mit dieser Devise geht Julian Jana (40) ans Werk. Der Koordinator des von Renovabis unterstützten Programms „YourJob“ macht 15- bis 29-Jährige fit für den Arbeitsmarkt. Dafür sucht Jana die Jugendlichen auf, lotet ihre Stärken aus und vermittelt ihnen bezahlte Praktikumsplätze.
Gefördert werden auch Jungunternehmerinnen und -unternehmer und solche, die es werden wollen. Zum Beispiel Mati Zaguni: Der 27-Jährige kam beim Besuch im italienischen Pistoia – ein Großteil seiner Familie lebt dort – auf eine Geschäftsidee: Ihm fiel die große Nachfrage nach Zierpflanzen auf. Weil er einen grünen Daumen hat, entschloss sich Mati, diese in seinem Heimatdorf Dajc selbst anzupflanzen. Zunächst pachtete er in den fruchtbaren Auen des Flusses Buna Land. „Viel Arbeit, denn die Felder waren verwildert, weil ihre Besitzer ausgewandert waren“, erinnert sich Mati.
Was dem Jungunternehmer fehlte, war Startkapital. Aufgrund seines fundierten Business-Plans stellte ihm „YourJob“ Mittel zur Verfügung. Damit konnte er zwei Treibhäuser samt Bewässerungsanlagen errichten, in denen je 35.000 Jungpflanzen wachsen und gedeihen können. Abnehmer für seine Pflanzen findet Mati in der Region, aber auch in Nachbarländern. Gezielte Bestellungen der gewünschten Sorte bringen ihm Planungssicherheit.
Inzwischen hat Mati vor, einen Lieferwagen anzuschaffen, um auf Anfragen von Kunden kurzfristig reagieren zu können und etwa nach Holland zu fahren, um Jungpflanzen nachzukaufen. Dass er mitunter 12 Stunden am Tag arbeitet, stört den vor Energie sprühenden Mann nicht: „Hier bin ich mein eigener Herr!“. Doch nun scheint die Zeit gekommen, sich Verstärkung zu holen. „Ich brauche noch einen Mati“, scherzt er, bevor er eine weitere Pflanze an eine Rankhilfe bindet.
Inzwischen hat Mati auch Mitarbeiterinnnen, die ihm zur Hand gehen. Dadurch bietet er auch Anderen neue Perspektiven.
Zukunft vor Ort: Die Programme des Jugendzentrums Sarajevo (Bosnien und Herzegowina)
In Bosnien prägen Landflucht und Migration den Alltag vieler Menschen. Bewusst zum Bleiben entschieden hat sich Kristian Ivanović aus Tolisa im Nordosten des Landes. „Meine Eltern arbeiten schon ihr ganzes Leben hier auf dem Feld. Da kann ich nicht einfach die Koffer packen und abhauen“, sagt der 17-Jährige in den zerschlissenen Jeans und stemmt die Hände in die Hüften.
Seit 2018 baut die Familie Äpfel an, darunter Sorten wie Gala und Granny Smith. Renovabis förderte die Anschaffung einer luftdichten Tür zum Kühlraum. Darin kann die Familie nun bis zu 25 Tonnen Obst lagern, bis die Preise anziehen – zuweilen gibt es nur umgerechnet 20 Cent pro Kilo Äpfel. Kristian nutzt zudem die Weiterbildungsangebote, die vom Osteuropa-Hilfswerk Renovabis unterstützt werden. So eignet er sich bei landwirtschaftlichen Workshops, die das Jugendzentrum Sarajevo in seiner Region veranstaltet, das nötige Wissen über Obstschnitt oder die Formation von Bäumen an.
Auch Rückschläge stecken die emsigen Apfelbauern weg: 2019 zerstörte Hagel Tausende in Blüte stehende Bäumchen. Die Ivanovićs krempelten die Ärmel hoch – und heute schützen Netze die Plantage, selbst gefertigt von einer kleinen Kooperative. Die Familie hat Verwandte in der Region, fühlt sich ihr verbunden, liebt die Arbeit im Garten und auf dem Feld – und bleibt deshalb ihrem Heimatdorf treu.
Renovabis