Polens Regierung stellt sich vor Johannes Paul II.
Warschau ‐ Eine TV-Doku beschuldigt den früheren Papst aus Polen, als Erzbischof Missbrauch vertuscht zu haben. Das ruft Regierung und Opposition auf den Plan. Linke Politiker fordern ein Ende des „Kults“ um Johannes Paul II.
Aktualisiert: 16.03.2023
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Mit Eifer stürzen sich die in Polen regierenden Nationalkonservativen in die, wie sie sagen, „Verteidigung unseres geliebten Papstes“. Gemeint ist Landsmann Johannes Paul II. Er führte von 1978 bis 2005 die katholische Kirche und trug besonders mit patriotischen Aufrufen bei Besuchen in seiner Heimat Polen zum Ende des dortigen kommunistischen Regimes 1989 bei. In dieser Woche jedoch strahlte der polnische Privatsender TVN24 eine Doku darüber aus, wie milde Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakau vor seiner Papstwahl mit drei Priestern umgegangen sei, die Kinder sexuell missbraucht haben sollen.
Obwohl das spätere Kirchenoberhaupt von den Anschuldigungen gegen die Geistlichen gewusst habe, habe er sie weiter in Pfarreien arbeiten lassen. Für den Pfarrer Boleslaw Sadus schrieb Johannes Paul II. laut dem TV-Bericht gar ein Empfehlungsschreiben an den damaligen Wiener Kardinal Franz König, um ihn in eine österreichische Kirchengemeinde schicken zu können. Über die Vorwürfe gegen den Priester habe er König nicht informiert. Fazit der Doku, für die der Journalist Marcin Gutowski mehr als zwei Jahre recherchierte: Als Erzbischof kümmerte sich Wojtyla hauptsächlich darum, den Ruf der Kirche zu wahren, nicht aber um die Missbrauchsopfer.
Für die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) scheint der Streit um den von vielen Polen verehrten Johannes Paul II. gelegen zu kommen. Nun könne sie sich schützend vor den früheren Papst stellen und damit Wähler für die Parlamentswahl im Herbst mobilisieren, meinen Kommentatoren. Schon 2019 hätten die Nationalkonservativen die Wahl gewonnen, weil es ihnen gelungen sei, „die Rolle des Verteidigers des Polentums und des Glaubens zu spielen“, während andere auf „billigen Antiklerikalismus“ gesetzt hätten, warnte etwa der oppositionsnahe Publizist Tomasz Lis.
Schon jetzt steht fest, dass es demnächst eine Parlamentsdebatte über Johannes Paul II. geben wird. Die PiS schrieb nämlich einen Resolutionsentwurf, deren Schlüsselsatz lautet: „Der Sejm der Republik Polen verurteilt entschieden die mediale schändliche Hetzjagd, die weitgehend auf Materialien des Gewaltapparates der Volksrepublik Polen basiert und gegen den großen polnischen Papst gerichtet ist, den heiligen Johannes Paul II.“ Es werde versucht, ihn mit Vorwürfen zu kompromittieren, „die selbst die Kommunisten nicht zu nutzen wagten“. Damit stellten sich „die Autoren außerhalb des zivilisatorischen Kreises, zu dem Polen seit 1989 gehört“.
Die Regierungspartei würdigt den früheren Papst in dem Text als „Symbol der Wiedererlangung der Unabhängigkeit und der Befreiung Polens aus der russischen Einflusszone“. Sie verspricht: „Wir werden nicht zulassen, dass das Bild jenes Menschen zerstört wird, den die gesamte freie Welt als Säule des Sieges über das Imperium des Bösen anerkennt.“
Wie sich der rechtsliberale Oppositionsführer Donald Tusk dazu positioniert, ist noch unklar. Er äußert sich seit Tagen nicht zu dem Thema. Der linke Europaabgeordnete Robert Biedron twitterte am Donnerstag hingegen drei Zeichnungen von Johannes Paul II. Darauf hält sich der frühere Papst Augen, Ohren oder Mund zu. Dazu schrieb Biedron: „Es ist höchste Zeit für die sündige Kirche zu beichten.“ Seine Parteikollegin und Sejm-Abgeordnete Joanna Scheuring Wielgus betonte: „Seit vielen, vielen Jahren sprechen wir davon, dass auch Johannes Paul II. für das Leid mitverantwortlich ist, das Jungen und Mädchen, unschuldige Kinder, erfahren haben.“ Dafür gebe es Beweise.
Regierungschef Mateusz Morawiecki brachte die Anschuldigungen gegen den Papst aus Polen hingegen mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in Verbindung. In einem aufwendig produzierten Zweieinhalb-Minuten-Video zu den „Attacken“ auf Johannes Paul II., das mit dramatischer Musik unterlegt ist, sagte er: „Heute tobt der Krieg nicht nur außerhalb unserer östlichen Grenze. Leider gibt es Kreise, die versuchen, bei uns in Polen keinen militärischen, aber einen Zivilisationskrieg auszulösen.“ Der Papst werde von Leuten angegriffen, so der Ministerpräsident, die statt Tradition, Kultur und Normalität eine Revolution wollten, „die das bisherige Leben der Mehrheit der Gesellschaft auf den Kopf stellt“.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, drückte sich zwar diplomatischer aus, verurteilte die Vorwürfe gegen Johannes Paul II. aber ebenfalls. Vor dem Hintergrund, dass es sich um „einen der bedeutendsten Päpste und einen der größten Polen“ handele, seien „die Versuche schockierend, seine Person und sein Werk unter dem Vorwand der Sorge um die Wahrheit und das Gute zu diskreditieren“, erklärte er am Donnerstag schriftlich.
Konkret ging er nicht auf die Vorwürfe gegen Johannes Paul II. ein. Gadecki beschuldigte die Urheber, Wojtyla „in einer voreingenommenen, oft ahistorischen Weise und ohne Kenntnis des Kontexts“ bewertet zu haben. Sie hätten Dokumente des kommunistischen Geheimdienstes als zuverlässige Quellen eingestuft.
Der Jesuit Krzysztof Madel reagierte mit Entsetzen auf Gadeckis Erklärung. Er appellierte auf Twitter an den Episkopats-Vorsitzenden: „Denken Sie an die Opfer von Priestern, die von Bischöfen versetzt wurden. Denn diese Opfer werden euch verklagen, weil ihr deren Leid abstreitet und sie retraumatisiert.“
KNA