Armenischer Bischof zum Krieg mit Aserbaidschan

„Wir erwarten moralische Unterstützung“

Köln ‐ Bischof Serovpe Isakhanyan (59) leitet seit 2018 die Diözese der Armenischen Apostolischen Kirche in Deutschland. Mit Sorge blickt er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf die schwierige aktuelle Lage in Armenien. Zugleich kritisiert er die Haltung der Bundesregierung und der Kirchen zum Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien.

Erstellt: 04.11.2022
Aktualisiert: 29.11.2022
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Von Simon Kajan (KNA)

Frage: Bischof Isakhanyan, der Angriff Aserbaidschans im September auf das Territorium Armeniens führte zuletzt auf westlicher und russischer Seite zur Ausweitung diplomatischer Aktivitäten. Wie ist die aktuelle Situation im ältesten christlichen Land der Welt?

Isakhanyan: Ich war vor kurzem in Armenien und hatte den Eindruck, dass das Leben normal weitergeht. Politisch scheint die Lage auch stabil, obwohl im Laufe der Zeit die Autorität der Regierung abgenommen hat. Die äußere Situation ist jetzt viel komplizierter, zumal die geopolitischen Entwicklungen auch drastische Auswirkungen auf die innere Stabilität haben.

Frage: Aserbaidschan sehen viele Beobachter als Profiteur der geopolitischen Verschiebungen. Zum einen durch den Energiereichtum, weshalb der Westen in der Energiekrise das Land als Partner gewinnen möchte; zum anderen durch die Schwächung Russlands. Wie zeigt sich das konkret?

Isakhanyan: Sowohl die Bürger Armeniens als auch die weltweit verteilte armenische Diaspora werden jeden Tag Zeugen der aggressiven Politik Aserbaidschans. Seit etwa eineinhalb Jahren sind aserbaidschanische Streitkräfte in verschiedene Teile des international anerkannten Staatsgebiets der Republik Armenien eingedrungen. Etwa 100 Quadratkilometer Armeniens befinden sich in ihrer Hand. Jeden Tag gibt es Angriffe; was zeigt, dass trotz eines trilateral vereinbarten Waffenstillstands von November 2020 Aserbaidschan seine äußerst aggressive Politik fortsetzt. Höhepunkt war der Angriff vom 13. September entlang der Ostgrenze Armeniens. Binnen zwei Tagen hatte Armenien mehr als 200 Opfer zu beklagen; es wurden schwere Kriegsverbrechen auch an der Zivilbevölkerung verübt.

Frage: Welche internationalen Reaktionen hatte das Vorgehen Aserbaidschans zur Folge?

Isakhanyan: Durch Öldollars bereichert und bewaffnet, fühlt sich die Regierung in Baku völlig frei, gegen Armenien vorzugehen, um das Land zu Zugeständnissen zu zwingen. Leider bleiben auch internationale Akteure nur bei Verbalerklärungen und vielleicht Verurteilungen. Dabei respektiert die Republik Armenien die Unverletzlichkeit der Grenzen Aserbaidschans, und sie klammert den Konflikt der armenischen Bevölkerung im autonomen Bergkarabach mit der Regierung in Baku aus.

Es ist leider notwendig, die negative Rolle der Türkei hervorzuheben. Sie verfolgt gestern wie heute eindeutig eine pro-aserbaidschanische und anti-armenische Politik. Die Präsidenten der beiden Länder haben wiederholt erklärt, sie seien zwei Staaten, aber eine Nation. Das zeigt sich auch in der türkischen Militärhilfe: Hochrangige Offiziere und Militärberater der Türkei beteiligten sich an direkten Kriegshandlungen im 44-Tage-Krieg 2020.

Frage: Sie sind deutscher Staatsbürger, aber zugleich dem Wohl ihres Volkes verpflichtet – in der Republik Armenien und in der Diaspora. Was erwarten Sie von der Bundesrepublik?

Isakhanyan: Wir erwarten von der Bundesrepublik als deutsche Staatsbürger eine aktivere Rolle bei der Lösung des armenisch-aserbaidschanischen Problems. Wir hätten Verständnis für eine Neutralität im Bergkarabach-Aserbaidschan-Konflikt, so schmerzhaft es für uns auch sein mag. Dennoch sollten der Angriffskrieg wie auch begangene Kriegsverbrechen klar verurteilt werden.

Und als Aserbaidschan bereits im Mai 2021 ins Hoheitsgebiet der Republik Armenien einmarschierte, wurde erwartet, dass auch Deutschland klare Position bezieht. Anders als die USA oder Frankreich, die Aserbaidschan verurteilten, schwieg die deutsche Regierung. Das Außenministerium begnügt sich damit, beiden Parteien die Rückkehr an den Verhandlungstisch vorzuschlagen. Dabei waren unsere Erwartungen an Außenministerin Annalena Baerbock besonders hoch.

Frage: Inwiefern?

Isakhanyan: Sie wollte eine wertorientierte Politik, basierend auf Demokratie und Menschenrechten. Der großangelegte militärische Angriff des autokratisch regierten Aserbaidschans auf das demokratische Armenien war aber wohl für Frau Baerbock im Sinne ihrer „wertebasierten Außenpolitik“ nicht Anlass und Grund genug, einen groben Völkerrechtsvorstoß zu verurteilen.

Frage: Wie haben die Kirchen in Deutschland reagiert?

Isakhanyan: Als Christen erwarten wir natürlich die moralische Unterstützung unserer Schwesterkirchen. Ja, wir haben erwartet, dass die deutschen Bischöfe - spätestens mit dem Einmarsch Aserbaidschans in das Hoheitsgebiet Armeniens - klar Position beziehen und die grobe Völkerrechtsverletzung verurteilen und, warum nicht, auch wirksamere Schritte von der Bundesregierung verlangen würden, die Aserbaidschan zwingen würden, die Streitkräfte aus dem fremden Hoheitsgebiet abzuziehen. Ich habe mich auch in der Sache an die Verantwortlichen gewandt. Die Reaktion war eher passiv. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat einen Solidaritätsbrief an unser Kirchenoberhaupt geschickt. Von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gibt es gar keine Antwort oder Stellungnahme.

Frage: Russland entwickelt derzeit Bemühungen, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Auch Frankreich wurde aktiv - und mit Nancy Pelosi besuchte erstmals eine Präsidentin des US-Repräsentantenhauses Armenien. Wie kann ein Weg zum Frieden aussehen?

Isakhanyan: Für einen echten und dauerhaften Frieden müssen beide Seiten die territoriale Integrität der anderen respektieren. Bis zu einer endgültigen Klärung strittiger Fragen unter Beteiligung der internationalen Gemeinschaft müssten die Parteien die Garantie von Gewaltverzicht geben. Die Anerkennung der Autonomie und der Menschenrechte der armenischen Bevölkerung von Bergkarabach sind für die Konfliktbeilegung auch wichtig.

Das autonome Gebiet hatte bereits in der Sowjetunion einen gewissen staatlichen Status, den Aserbaidschan nicht ignorieren darf. Auch in dieser Frage sollte die internationale Gemeinschaft mit ihrer Passivität Aserbaidschan nicht die Möglichkeit geben, die Frage ganz in seinem Sinne und gegen die armenische Bevölkerung zu klären.

Aufgrund der geopolitischen Situation sieht es derzeit nach einer Art Verhandlungswettbewerb zwischen Russland und dem Westen aus, was von Aserbaidschan für eine destruktive Politik ausgenutzt wird. Gegenseitige Anschuldigungen zwischen dem Westen und Russland werden also zu keiner Entspannung beitragen können. Somit wäre die beste Option für uns gemeinsame Anstrengungen und Vermittlungsbemühungen im Rahmen der Minsk-Gruppe. Denn dort waren sowohl Russland als auch die Europäische Union – vertreten durch Frankreich – und die USA beteiligt.

KNA