KZ-Überlebende mit Maximilian-Kolbe-Werk in Berlin

„Wir müssen mit den Erinnerungen leben, bis wir sterben“

Berlin ‐ Bogdan Bartnikowski hat versucht, die Bilder aus Auschwitz aus seinem Kopf zu bekommen. Die hungernden Menschen, die Appelle bei beißender Kälte, die rauchenden Schornsteine, die Toten. Deshalb hat er vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben, in dem er seine Erlebnisse verarbeitet hat. „Meine Hoffnung war, dass das Entsetzliche aus meinem Gedächtnis verschwindet, wenn ich es aufschreibe. Aber wir müssen mit den Erinnerungen leben, bis wir sterben“, sagt der 90 Jahre alte Pole, der mit zwölf Jahren nach Auschwitz kam. Es bleibe ihm heute noch buchstäblich die Luft weg, wenn er daran denke. Mehr als eine Million Menschen ermordeten die Nazis allein in Auschwitz.

Erstellt: 29.08.2022
Aktualisiert: 20.10.2023
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Bartnikowski, ein Mann mit grauen Haaren und aufmerksamen dunklen Augen, ist einer von zwölf KZ-Überlebenden, die zur Zeit auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks zwei Wochen Berlin besuchen. Das Hilfswerk ist nach dem 1941 in Auschwitz ermordeten Franziskaner-Pater Maximilian Kolbe benannt. Es hilft seit 1973 ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager und Ghettos im Osten Europas. Im Dienst der Versöhnung erinnern – das hat sich die Organisation zum Ziel gesetzt. Unter anderem veranstaltet sie kostenlose Reisen für die noch lebenden Ex-Häftlinge der Konzentrationslager. Einige tausende Überlebende gibt es in Polen noch – aber es werden immer weniger.

Deshalb ist für den katholischen Berliner Erzbischof Heiner Koch vor allem die Erinnerung wichtig. Diese sei „lebensnotwendig. Wir dürfen die Vergangenheit nie vergessen“, sagte er am Montag in Berlin bei einem Treffen im Bischöflichen Ordinariat. Er dankte den Überlebenden für ihr Kommen: „Nur wenn wir die Verbundenheit zu unserer Geschichte aufrechterhalten, können wir auch die richtigen Konsequenzen für die Zukunft ziehen“, so Koch. „Es gibt immer wieder gesellschaftliche Kräfte, die die Erinnerung ausblenden oder uminterpretieren wollen.“ Dagegen gelte es anzukämpfen – auch als Kirche. Viele Katholiken seien in der NS-Zeit direkt oder indirekt mitschuldig geworden am Holocaust – „auch wenn es auch Katholiken gegeben hat, die in der NS-Zeit die Würde des Menschen nicht verraten haben“, so Koch.

Die meisten der hochbetagten Männer und Frauen, die mit dem Kolbe-Werk Berlin besuchen, waren schon einmal in Deutschland. Ein 93-Jähriger, der ebenfalls Auschwitz überlebte, erzählt auf Deutsch, dass er immer noch Kontakt zu anderen ehemaligen Häftlingen in Freiburg habe, die er damals im KZ kennenlernte. Ein anderer berichtet, wie er und seine Mutter heimlich Hilfe von brandenburgischen Bauern bekamen – den Ort 60 Kilometer von Berlin entfernt besuchte er vor ein paar Tagen zusammen mit dem Kolbe-Werk. Aber nicht alle möchten über die Vergangenheit sprechen – oder jedenfalls nicht in diesem Rahmen.

Auch Bartnikowski schmerzt die Erinnerung. Aber für ihn sei das Erzählen wichtig, weil es dabei helfe, dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerate. Er hat ein Exemplar seines 1969 veröffentlichten Buches „Kindheit hinterm Stacheldraht“ für Erzbischof Koch mitgebracht. „Ich verspreche Ihnen, dass ich es lesen werde“, so Koch. „Ich werde daraus etwas lernen für mein Leben.“

Der Bischof unterstrich bei der Begegnung auch die besondere Beziehung, die er mit Polen hat: So stammen seine beiden Elternteile aus Schlesien, wie er den Überlebenden erzählte. Außerdem habe er ein Stück des Gewandes von Edith Stein als Reliquie in seinem Bischofskreuz. Die zum Katholizismus konvertierte Jüdin und spätere Ordensschwester stammte aus Breslau (Wroclaw) und wurde in Auschwitz ermordet.

Von Nina Schmedding (KNA)

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