Erzbischof Schick: Erfahrungen der Versöhnungsprozesse in Europa heute nutzen
Oświęcim/Auschwitz ‐ Praktische Solidarität mit den Opfern und Wahrhaftigkeit gegenüber dem Geschehen seien unverzichtbare Grundlagen, um in langfristiger Perspektive die Hoffnung auf Versöhnung nähren zu können. Das sagte Erzbischof Schick in seiner Ansprache während der Eucharistiefeier im ehemaligen Konzentrationslager in Oswiecim/Auschwitz. Der Erzbischof nimmt dort am 13. Europäischen Workshops zum Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit von Auschwitz teil, den die Maximilian-Kolbe-Stiftung jährlich organisiert.
Aktualisiert: 20.10.2023
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Bischof Joseph-Marie Ndi-Okalla (Balmayo, Kamerun) hob in seinem Vortrag über die Rolle der Kirche in Prozessen der Gewaltüberwindung hervor, wie wichtig die Erinnerung an Leitfiguren wie Edith Stein und Maximilian Kolbe sei. An ihnen lasse sich Maß nehmen und die erforderliche Orientierung gewinnen. Dies sei umso wichtiger als sich auch die Kirche selbst kritisch befragen muss, wie Papst Franziskus es jüngst in Kanada verdeutlicht habe. „Die Tatsache, dass wir hier ungeachtet unserer Unterschiede gemeinsam über den Umgang mit den Folgen der Gewalt sprechen können, ist ein wertvolles Zeichen der Ermutigung“, so Bischof Ndi-Okkalla.
Erzbischof Schick würdigte Maximilian Kolbe als Initiator und Inspirator der deutsch-polnischen Versöhnung: „Nach dem schrecklichen Naziterror in Polen und dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg, nach Umsiedlung und Vertreibung war die erste Annäherung zwischen den deutschen und den polnischen Bischöfen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die gemeinsame Bitte an Papst Paul VI., Maximilian Kolbe selig zu sprechen, was 1971 geschah.“ Pater Kolbe mahne bis heute, an der erreichten Versöhnung festzuhalten und die Aussöhnung weiterzuführen. Die Botschaft des Heiligen sei heute so aktuell wie damals: „Gott liebt alle, Gott schützt alle, Gott will Leben in Fülle für alle Menschen! Das war seine Überzeugung und ist eine wichtige Botschaft an uns. Wir leben in einer Zeit des Krieges in Europa. In unserer Nachbarschaft, in der Ukraine, tobt ein furchtbarer Krieg. In ihm werden erneut unschuldige Menschen wegen ihrer Nationalität bekämpft, weil sie Ukrainer sind und bleiben wollen. Maximilian Kolbe ruft vom Himmel her: ‚Gott will das nicht! Er will, dass alle Völker in Souveränität und Freiheit und zugleich in guter Nachbarschaft und Solidarität miteinander leben. Versöhnt Euch, macht Frieden, lebt in Frieden.‘“
Eindringlich ging Erzbischof Schick auf die Fluchtbewegungen durch den Ukrainekrieg ein und dankte Polen für die gastfreundliche Aufnahme vieler Menschen. Der hl. Maximilian Kolbe bitte „auch heute alle Völker und Nationen Europas und überall, keine Fremden, Hilfsbedürftigen, Flüchtlinge und Vertriebenen von der Nächstenliebe auszuschließen, sondern alle einzuschließen. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist das Hauptgebot Jesu und auch Fundament der Versöhnung und des Friedens.“ Die Menschheit, so Erzbischof Schick, erlebe eine Phase sowohl der Säkularisierung als auch der religiösen Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Werten und Tugenden, nach Hoffnung und Liebe. Das Evangelium und Jesus Christus seien die Erfüllung dieser Suche.
Maximilian Kolbe sei heute so aktuell wie 1941 bei seinem Märtyrertod in Auschwitz, wie 1971 bei der Selig- und 1982 bei seiner Heiligsprechung, betonte Erzbischof Schick. Er fügte hinzu: „Er hat viele kostbare Botschaften und Mahnungen für uns Christen und auch für die Nichtchristen. Sein Zeugnis in Wort und Tat müssen wir aufnehmen für unsere Welt, damit sie eine menschenwürdige und lebenswerte ist und die ganze Menschheit eine gute Zukunft haben kann. Mit Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, für den Maximilian Kolbe Zeugnis abgelegt hat, kann die Zukunft gelingen.“
Seit dem vergangenen Donnerstag (11. August) treffen sich in Auschwitz 30 Teilnehmer aus elf west- und osteuropäischen Ländern und befassen sich mit dem Thema „Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit“. Beim Workshop, der am kommenden Dienstag endet, diskutieren die Teilnehmer über die grundlegenden Perspektiven von Gewaltüberwindung und Versöhnung. Durch den angemessenen, respektvollen Austrag von Unterschieden und Konflikten, zum Beispiel zwischen Ukrainern und Russen, trägt der Workshop zu einem vertieften gegenseitigen Verständnis bei. Zugleich setzt er ein Zeichen europäischer Gemeinsamkeit. Der jährliche Workshop leistet so einen Beitrag zur Stärkung eines europäischen, auf Heilung und Versöhnung zielenden Austauschs und ist Teil der verlässlichen kirchlichen Versöhnungsarbeit. Über den konkreten Fall Auschwitz hinaus haben die Gespräche eine exemplarische Bedeutung für den Umgang mit Gewalterfahrungen und ihren Folgen: Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine wird deutlich, welche immense Bedeutung dem Aufbau und der Pflege vertrauensvoller Beziehungen und dem Lernen aus der Vergangenheit zukommt.
Hintergrund
Die Maximilian-Kolbe-Stiftung wurde 2007 mit Unterstützung der Polnischen und der Deutschen Bischofskonferenz gegründet. Ziel der katholischen Stiftung ist es, Beiträge zur Stärkung der kirchlichen Versöhnungsarbeit in Europa zu leisten und sich für Opfer von Unrecht und Gewalt zu engagieren. Der heilige Maximilian Maria Kolbe gab 1941 sein Leben stellvertretend für einen Mithäftling im Konzentrationslager Auschwitz und setzte damit ein Zeichen, dass Hass und Gewalt nicht das letzte Wort haben.