„Die Kirche gibt den Flüchtlingen ein Stück Heimat“

„Die Kirche gibt den Flüchtlingen ein Stück Heimat“

Monat der Weltmission ‐ Schwerpunktland der diesjährigen Missio-Aktion zum Monat der Weltmission ist Äthiopien. Im Interview spricht Missio-Präsident Klaus Krämer über die Hintergründe.

Erstellt: 21.08.2018
Aktualisiert: 25.10.2018
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Schwerpunktland der diesjährigen Missio-Aktion zum Monat der Weltmission ist Äthiopien. Am 16. September findet in Erfurt der zentrale Eröffnungsgottesdienst statt, Höhepunkt ist der Weltmissionssonntag am 28. Oktober mit einer Kollekte in allen Bistümern. Im Interview spricht Missio-Präsident Klaus Krämer über die Hintergründe.

Frage: Herr Prälat, wieso steht in diesem Jahr Äthiopien im Mittelpunkt des Weltmissionssonntags?

Klaus Krämer: Äthiopien ist ein Land mit einer 1.600 Jahre alten christlichen Tradition. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt, und zugleich nimmt es nach Uganda mit 900.000 Menschen vor allem aus dem Südsudan, Somalia und Eritrea die meisten Flüchtlinge in Afrika auf.

Die katholische Kirche ist in der Flüchtlingsbetreuung außerordentlich engagiert. Sie gibt den Flüchtlingen und Entwurzelten ein Stück Heimat. Auch deshalb rücken wir Äthiopien und die Arbeit der Kirche in den Fokus des Weltmissionssonntages und haben dafür ein biblisches Leitwort aus den Psalmen gewählt: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke.“

Frage: Sie waren erst kürzlich in Äthiopien. Wie funktioniert dort die Versorgung der Flüchtlinge?

Krämer: Ich war in einer der größten Flüchtlingsregionen des Landes – in Gambella im Südwesten Äthiopiens. Dort leben in rund zehn Lagern mehr als 400.000 Flüchtlinge, fast so viel wie die einheimische Bevölkerung. Ich habe das Jewi-Lager mit rund 60.000 Flüchtlingen aus dem Bürgerkriegsland Südsudan besucht, die überwiegend Christen sind.

Internationale Organisationen und äthiopische Behörden stellen die Grundversorgung weitgehend sicher. Aber den Menschen fehlen ihr vertrauter kirchlicher Alltag, Seelsorge und psychologische Betreuung. Hier helfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche, etwa in der Traumabewältigung.

Frage: Welche traumatischen Erlebnisse haben die Flüchtlinge hinter sich?

Krämer: Es sind viele schlimme Erfahrungen, die die Menschen gemacht haben. Sie mussten vor oder während der Flucht zum Beispiel Plünderungen, Vergewaltigungen oder Morde mit ansehen, ihre Ernten wurden vernichtet. Auch in den Lagern bricht immer wieder psychische und physische Gewalt aus. Deshalb ist eine ganzheitliche Seelsorge so wichtig. Seelsorger und kirchliche Mitarbeiter arbeiten mit den Betroffenen ihre Erfahrungen auf, geben ihnen neue Perspektiven.

Bisher stand für diese Arbeit nur eine provisorisch errichtete Kirche zur Verfügung, in der ich im Januar war. Wir bauen jetzt in dem Flüchtlingslager mit unserem Projektpartner zwei feste Kirchen, die für Gottesdienst, Katechese, als Versammlungsort und für die Betreuung der Flüchtlinge genutzt werden können.

Frage: Zuletzt hat der Friedensschluss zwischen Äthiopien und Eritrea international für Schlagzeilen und neue Hoffnung gesorgt. Was meinen Sie: Wird dieser Friede von Dauer sein?

Krämer: Nun, von vielen Seiten wird die Entwicklung mit Skepsis beobachtet. Wenn man bedenkt, dass zwischen beiden Staaten ein jahrzehntelanger Bruderkrieg tobte, der im Jahr 2000 nur äußerlich zum Stillstand kam, kann man die Skepsis verstehen. Denn zwischen beiden Ländern herrschte ja eine Art Kalter Krieg. Familien waren über die Grenzen hinweg getrennt, die Menschen konnten sich nicht besuchen, es gab keine diplomatischen Beziehungen. Bei uns und unseren Partnern überwiegt dennoch die Hoffnung, dass ein neuer Anfang gemacht wurde, aus dem etwas Gutes entstehen kann. Die Kirche als profilierter zivilgesellschaftlicher Akteur in beiden Staaten kann ein Motor der Verständigung und Versöhnung werden.

Frage: Trotz des Friedens mit Eritrea nehmen die Konflikte im Vielvölkerstaat Äthiopien kein Ende. Vor kurzem gab es im Osten des Landes eine neue Welle der Gewalt. Was wissen Sie darüber?

Krämer: Es ist für uns nicht ganz leicht, das einzuschätzen, weil wir gerade in dieser Region relativ wenige Projekte haben. Der Informationsfluss ist eingeschränkt. Der Apostolische Vikar von Harar, Angelo Pagano, berichtet immer wieder von starken ethnischen Konflikten und separatistischen Kräften in der Gegend. Er hat auch Informationen über die Zerstörung orthodoxer Kirchen sowie über mehrere tote und verletzte Christen bei Auseinandersetzungen in jüngster Zeit. Die Lage ist also besorgniserregend. Eine genaue Einschätzung bleibt jedoch schwierig.

Frage: Trauen Sie dem neuen Premierminister Abiy Ahmed zu, sich vom autoritären Kurs der vergangenen Jahre zu verabschieden und für eine Öffnung des Landes zu sorgen?

Krämer: Der neue Premier ist ein Hoffnungsträger – ein junger, unverbrauchter Politiker. Verhaftete Oppositionspolitiker sind freigekommen, er geht auf Eritrea zu. Gleichwohl gehört er der Einheitspartei an, die schon seit 1991 herrscht und Äthiopien zu einem autoritären Staat gemacht hat. Deshalb sollte man mit allzu hohen Erwartungen vorsichtig sein. Die Äthiopier hoffen auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Vor allem die Jugend, die 65 Prozent der Bevölkerung ausmacht, braucht Arbeitsplätze. Auch die Korruptionsbekämpfung ist ein großes Thema.

Bild: © Claudia Zeisel/weltkirche.de

Frage: Welche Rolle nimmt die katholische Kirche in dieser komplizierten politischen Gemengelage ein?

Krämer: Insgesamt ist die Kirche in Äthiopien eine prägende Kraft. Rund 44 Prozent der Bevölkerung sind orthodoxe Christen, 34 Prozent Muslime. Nur rund 0,7 Prozent der Bevölkerung gehören der katholischen Kirche Äthiopiens an, mit der wir eng zusammenarbeiten.

Die katholische Kirche ist gesellschaftlich sehr aktiv. Es gibt rund 400 katholische Bildungseinrichtungen und fast 90 Gesundheitszentren, mit der die Kirche vor allem die weniger entwickelten, entlegenen ländlichen Regionen erreicht. Diese Einrichtungen schaffen Arbeitsplätze und stehen Angehörigen aller Religionen offen. Die Kirche ist in Äthiopien weit über ihre zahlenmäßige Stärke hinaus präsent und wird wegen ihrer Arbeit sehr geschätzt. Sie erreicht etwa zehn Millionen Menschen.

Frage: Ist missionarische Arbeit in Äthiopien denn ohne Weiteres möglich. Oder kommt es dabei zu Konflikten mit anderen Religionen?

Krämer: Ich habe in Gambella selbst erlebt, wie unwirtlich die Regionen sind, in denen die äthiopischen Missionare arbeiten. Dort ist die katholische Kirche erst seit 1991 präsent. Ich bewundere den ungeheuren persönlichen Einsatz der Priester, Ordensleute und Laien, der oft mit der Gesundheit bezahlt wird. Sie leben mit den einfachen Menschen, helfen ihnen bei ihren alltäglichen Problemen, schlichten Streit.

Ich habe ein Projekt besucht, in dem Angehörige von verschiedenen Stämmen, zwischen denen es immer wieder wegen Problemen um Weidegründe und Wasser zu Auseinandersetzungen kommt, in der Konfliktprävention ausgebildet werden. Wenn die Missionare in den Dörfern gefragt werden, warum sie den Menschen helfen, dann geben sie über ihren katholischen Glauben Auskunft – eine eindrucksvolle pastorale Graswurzelarbeit! Zu Auseinandersetzungen kommt es hier weniger wegen der verschiedenen Religionen; soziale Probleme und ethnische Spannungen sind eher Konfliktursachen.

Frage: Warum darf es uns in Deutschland nicht egal sein, was mit den Menschen in Äthiopien geschieht?

Krämer: Wir leben in einer gemeinsamen Welt. Gerade in der Flüchtlingsarbeit erleben wir, dass Probleme anderswo uns am Ende unmittelbar und selbst betreffen. Umso wichtiger ist es, dabei mitzuhelfen, die Flüchtlinge in ihren Heimatregionen gut zu begleiten. Wenn sie dort Perspektiven für eine bessere Zukunft finden, ist das die beste Art, die globalen Probleme dieser Art zu lösen.

Das Interview führte Alexander Pitz (KNA)

© KNA