„UNO-Soldaten schüren Krieg in Zentralafrikanischer Republik“
Zentralafrikanische Republik ‐ Einige UN-Blauhelmsoldaten schüren den Konflikt zwischen den verfeindeten Rebellen der Séléka und Anti-Balaka in der Zentralafrikanischen Republik. Zu dieser Einschätzung kommt der deutsche Missionar Pater Olaf Derenthal, der seit 2016 in dem Land lebt.
Aktualisiert: 26.11.2018
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Einige UN-Blauhelmsoldaten schüren den Konflikt zwischen den verfeindeten Rebellen der Séléka und Anti-Balaka in der Zentralafrikanischen Republik. Zu dieser Einschätzung kommt der deutsche Missionar Pater Olaf Derenthal, der seit 2016 in dem Land lebt.
Demnach machen Soldaten bestimmter Länder in der sogenannten Minusca-Mission gemeinsame Sache mit den Rebellen, geben ihnen Ausrüstung und Munition. Auch bei den jüngsten Angriffen auf ein Flüchtlingslager nahe der Bischofskirche von Alindao im Süden des Landes sei deutlich geworden, dass die UNO-Mission die Menschen unzureichend schütze.
Frage: Pater Derenthal, Mitte November hat es am Bischofssitz der Diözese Alindao Angriffe von mehrheitlich muslimischen Séléka-Milizen auf Flüchtlinge gegeben, die dort um die Kirche herum Schutz fanden. Wie war die Situation vor Ort, als es zu dem Angriff kam?
Derenthal: Seit einem Jahr ist um die Kathedrale von Alindao ein Flüchtlingslager entstanden mit über 20.000 Menschen aus den umliegenden Dörfern und aus der Stadt Alindao. Dieses Lager ist nicht etwa von einer Mauer umgeben oder kontrolliert, sondern das sind unsystematisch um die Kathedrale herumgebaute Hütten für Tausende von Menschen. Einige Nichtregierungsorganisationen sind dort hineingegangen und haben geholfen. Unter dem Schutz des Bischofs – eine psychologische Stütze für die Menschen, zu wissen: „die Kirche schützt uns“ – und unter dem Schutz von UN-Blauhelmsoldaten aus Burundi haben die Flüchtlinge dort ein halbes Jahr lang gelebt.
Frage: Wie kam es dann zu den Angriffen?
Derenthal: Alindao war immer eine Bastion der Séléka-Rebellen – und zwar auch eines sehr aggressiven Zweigs der Gruppe. Dieses Flüchtlingslager um den Bischofssitz beherbergte Frauen und Kinder, aber auch viele junge Männer. Ein Teil dieser jungen Männer ging in die gegnerische Rebellenbewegung, die Anti-Balaka. Seit Monaten haben die Séléka-Rebellen damit gedroht, die Rebellen im Flüchtlingslager anzugreifen. Der Bischof hat versucht, das abzuwenden und betont, dass das Lager ein Refugium für Zivilisten sei, nicht für Rebellen. Unterdessen wurden burundische Blauhelmsoldaten abgezogen und durch mauretanische ersetzt.
„Alle falschen UNO-Truppen, die gemeinsame Sache mit den Rebellen machen, müssen abgezogen werden.“
Frage: Macht das einen Unterschied?
Derenthal: Für uns in Europa mag das nicht nachvollziehbar sein, aber dieser Wechsel war ein ganz entscheidender Faktor für die Angriffe auf das Flüchtlingslager. Ich möchte hier einmal in aller Deutlichkeit betonen: Die Vereinten Nationen versagen erbärmlich in der Zentralafrikanischen Republik. Denn die mauretanischen Kontingente der Blauhelmsoldaten machen gemeinsame Sache mit den mörderischen Séléka-Rebellen. Die Soldaten haben das Lager unzureichend geschützt. Schon vor Monaten hat der Bischof von Alindao einen Brief an die Vereinten Nationen geschrieben und auf dieses Problem hingewiesen. Er hat davor gewarnt, dass die Séléka das Lager eines Tages angreifen werden. Weder die Regierung noch die Vereinten Nationen haben auf diesen Brief reagiert.
Frage: Und dann hat sich die Befürchtung des Bischofs bewahrheitet.
Derenthal: In der Tat, die Séléka haben angegriffen. Es mag einige bewaffnete Anti-Balaka-Rebellen gegeben haben, die zurückgeschossen haben. Aber sie wurden von dem Angriff überrumpelt. Die Séléka-Rebellen sind ja bestens ausgerüstet mit schweren Waffen und Kalaschnikows. Sie sind in das Lager reingegangen, das voller Frauen und Kinder war, die wegliefen. Unzählige Hütten wurden niedergebrannt, es wurden mindestens 40 Menschen getötet, darunter der Generalvikar der Diözese Alindao und ein weiterer Priester; beide kannte ich gut. Menschen starben in dem Feuer, die Kirche wurde teils zerstört, Hütten niedergebrannt. Das ist ein Verbrechen, das die Vereinten Nationen hätten verhindern können. Sie wurden seit Monaten gewarnt. Aber es gab keine Reaktion. Jetzt lese ich in den Medien, dass der Chef der Vereinten Nationen den Angriff aufs Schärfste verurteilt hat. Da kann ich nur bitter lachen. Er hätte es verhindern können.
„Solange die Rebellen Kalashnikows in der Hand behalten, sehe ich keine Chance für den Frieden.“
Frage: Dass die mauretanischen Blauhelmsoldaten mit den Rebellen gemeinsame Sache machen, ist ein schwerer Vorwurf.
Derenthal: Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es ist auch ganz leicht zu erklären: Es geht nur ums Geld. Jeder mauretanische Soldat bekommt bei der UNO-Mission ein Zehnfaches an Gehalt, was er normalerweise verdienen würde – ebenso der mauretanische Staat. Aber ich will nicht nur eine bestimmte Gruppe beschuldigen, es gibt auch Soldaten anderer Länder, die so ein Fehlverhalten aufzeigen. Es gibt bei diesem Krieg in der Zentralafrikanischen Republik genug Gewinner. Ein Blauhelmsoldat aus Ungarn hat mir das bestätigt: Stellen Sie sich vor, es gibt keinen Krieg mehr. Dann sehen sich die Vereinten Nationen gezwungen, ihre Kontingente an Soldaten zurückzuziehen. Das würde zur Folge haben, dass die Staaten, die Soldaten zur Verfügung stellen, kein Geld mehr bekommen. Das ist brutal und fast unglaublich. Aber deshalb halten diese Soldaten den Krieg am Laufen.
Frage: Sie sagen, die Séléka-Rebellen seien so gut ausgerüstet. Woher haben sie ihre Waffen?
Derenthal: Die Waffen kommen aus dem Tschad, aus dem Sudan und bei uns in Mobaye auch von den Blauhelmsoldaten. Die Blauhelmsoldaten verkaufen oder geben den Rebellen Waffen. Einige Séléka-Rebellen bei uns in Mobaye, einer Pfarrei 100 Kilometer von Alindao entfernt, tragen Uniformen der mauretanischen Blauhelmsoldaten. Die bekommen sie zum Teil geschenkt. Deshalb endet der Krieg bei uns auch nicht. Generell muss man sagen: Die ganze Region der Basse-Kotto im Süden des Landes ist ein einziges Waffenlager. Solange die Rebellen Kalashnikows in der Hand behalten, sehe ich keine Chance für den Frieden. Die Rebellen sind ja kein Militär mit hierarchischen Strukturen, die auf ihren Offizier hören würden. Diese Jungs hauen sich den Kopf mit Drogen voll, lassen sich leicht provozieren. Sie haben auch kein politisches Interesse, sondern einfach ein Interesse am Banditentum.
Frage: Wie geht es nun mit dem Flüchtlingslager in Alindao weiter?
Derenthal: Das Flüchtlingslager gibt es nicht mehr. Es wurde niedergebrannt und die Menschen sind alle in den Busch geflohen. Sie sind um Alindao verstreut. Der Bischof von Bambari hat unterdessen zur Ruhe und zum Unterlassen von Racheakten aufgerufen. Von der Regierung weiß ich nicht, ob sie sich gerührt hat. Aber wenn, bliebe das folgenlos.
Frage: Was fordern Sie für eine Befriedung der Situation in Alindao?
Derenthal: Es braucht den Abzug aller falschen Truppen der UNO-Mission Minusca, die gemeinsame Sache mit den Rebellen machen. Man sollte nur noch UN-Blauhelmsoldaten im Land lassen, die ihrer Aufgabe gerecht werden. Ich habe auch schon andere Dinge mit den UN-Blauhelmsoldaten erlebt. Soldaten aus Burundi, dem Kongo, aus Ruanda, Tansania, die wirklich mutig die Zivilbevölkerung vor den Rebellen schützen. Ich will auf keinen Fall alle Blauhelmsoldaten beschuldigen. Es gibt einige Kontingente, die das tun. Aber das kennen wir ja schon aus Ruanda oder Serbien. Das ist immer der Schwachpunkt beim Einsatz der UN-Blauhelmsoldaten.
Das Interview führte Claudia Zeisel
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