Wie sich eine Gemeinde in El Salvador von Gewalt und Angst befreit

Wie sich eine Gemeinde in El Salvador von Gewalt und Angst befreit

Misereor-Fastenaktion ‐ Dank eines innovativen Coaching-Programms nehmen Jugendliche in der Gemeinde Teotepeque in El Salvador ihre Zukunft wieder in die eigenen Hände. Misereor unterstützt das Projekt.

Erstellt: 05.04.2019
Aktualisiert: 05.04.2019
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Dank eines innovativen Coaching-Programms nehmen Jugendliche in der Gemeinde Teotepeque in El Salvador ihre Zukunft wieder in die eigenen Hände. Misereor unterstützt das Projekt.

Viele staatliche Bildungsangebote in El Salvador greifen zu kurz. Wenn die Psyche nicht gesund ist, seien Bäcker-, Schreiner- oder Friseurkurse lediglich Beschäftigungstherapie und würden oft bei der ersten Schwierigkeit abgebrochen. „Unser Coaching ist die Starthilfe ins Leben. Egal was die Jugendlichen danach machen, sie profitieren davon“, sagt Rodríguez. 75 Prozent der Absolventen des Programms nehmen anschließend entweder ein Studium auf, finden einen Arbeitsplatz oder machen ein eigenes Geschäft auf.

Teotepeque in den Bergen von El Salvador ist eine verschlafene Gemeinde. Nur 75 Kilometer von der Hauptstadt San Salvador entfernt, doch noch immer ohne Internetzugang oder Handyempfang. Die geteerte Straße, keine 20 Jahre alt, ist mit Schlaglöchern übersät. In Teotepeque jäten die Bauern noch mit der Machete Unkraut und pflügen von Hand oder mit Eseln ihre Felder. Eine Knochenarbeit, deren einziger Lohn ist, nicht zu hungern. Für Jugendbanden war Teotepeque lange Zeit Rückzugsort; sie überfielen, erpressten und mordeten oder rekrutierten ihren Banden-Nachwuchs. Geschäfte schlossen nach und nach, der öffentliche Nahverkehr kam zum Erliegen. Ein Ort, den die meisten jungen Leute verließen, sobald sie nur konnten. Bis vor vier Jahren.

Bild: © Schwarzbach/Misereor

Die erste Generation, die Teotepeque wieder eine Chance gibt, ist die von Margarita Hernández. Die Gemeinde hat sich rasant gewandelt. Es gibt etliche Kleinunternehmer, eine Jugend- sowie eine Frauengruppe. All das hat mit Margarita Hernández und dem schönsten Tag in ihrem Leben zu tun. Ein Samstag im November 2015, an dem sie fast platzend vor stolz das erste Diplom ihres Lebens in den Händen hielt. „Niemals hätte ich mir das erträumt“, erzählt die 32-Jährige. Das Diplom ist ausgestellt von der Caritas San Salvador und bescheinigt ihr die erfolgreiche Teilnahme am Projekt „Mein Lebensplan“, einem von Misereor finanzierten, innovativen Coaching-Programm für junge Leute aus benachteiligten Verhältnissen.

Für Menschen wie Margarita. Mit Ach und Krach hatte sie es bis zur dritten Grundschulklasse geschafft, um dann ihren Eltern in der Landwirtschaft und im Haushalt zu helfen. Sie heiratete jung, bekam vier Kinder, wurde Hausfrau. Welche Führungs- und Unternehmerinnenqualitäten in ihr stecken, erfuhr sie erst im Coaching-Programm der Caritas. Heute betreibt Margarita auf der Veranda ihres Hauses einen kleinen Schuhladen. Für viele Frauen in ihrer Gemeinde ist sie Vorbild. „Mein Mann Adán erledigte die Feldarbeit früher allein, weil es draußen zu unsicher war, er jobbte hier und da auf dem Bau. Wir ernährten uns von Maisfladen und Bohnen, die Stimmung in der Familie war angespannt.“ Margarita litt, aber sie sah keinen Ausweg. Gefangen im Teufelskreis aus Armut und Gewalt. „Alle sagen, man kann nichts tun, und irgendwann glaubst du das.“

Bild: © Schwarzbach/Misereor

Dann erzählte der Ortspfarrer von „Mein Lebensplan“, der junge Menschen auf das Berufsleben vorbereiten soll. „Man wächst mit den anderen zu einem Team zusammen und öffnet sich für neue Ideen und Erfahrungen“, erzählt Margarita.

Daysi Rodríguez sitzt daneben und schmunzelt. Sie war damals Margaritas Ausbilderin und ist heute Koordinatorin des fünfköpfigen Trainer-Teams der Caritas. „Die meisten kommen zu uns, weil sie einen Job suchen. Aber eigentlich arbeiten wir an und mit ihrer Psyche“, sagt sie. Denn wer in Armut aufwächst, in zerrütteten Familien, umgeben von Gewalt und Zerstörung, der habe keine Zeit, über sich und die Zukunft nachzudenken. Oder über Wünsche und Träume. Es gehe darum, innere Blockaden zu lösen und dass die Jugendlichen Vertrauen zu sich selbst und in andere fassen. Viele staatliche Bildungsangebote in El Salvador greifen zu kurz. Wenn die Psyche nicht gesund ist, seien Bäcker-, Schreiner- oder Friseurkurse lediglich Beschäftigungstherapie und würden oft bei der ersten Schwierigkeit abgebrochen. „Unser Coaching ist die Starthilfe ins Leben. Egal was die Jugendlichen danach machen, sie profitieren davon“, sagt Rodríguez. 75 Prozent der Absolventen des Programms nehmen anschließend entweder ein Studium auf, finden einen Arbeitsplatz oder machen ein eigenes Geschäft auf.

Bild: © Schwarzbach/Misereor

So wie Margarita. Ihr war am Ende des dreimonatigen Kurses klar: Ich will selbst ein Geschäft aufmachen. Mithilfe des Coaching-Programms lernte sie Buchhaltung und Marketing und bewarb sich mit ihrer Idee vom Schuhladen für eine Anschubfinanzierung von 150 US-Dollar. Für Margarita ein voller Erfolg. Ihr kleines Geschäft läuft bis heute gut, einmal in der Woche holt sie neue Ware aus der Stadt. In Teotepeque gibt es keinen Schuhladen und Margaritas Preise sind moderat. „Ich mache ein bis zwei US-Dollar Gewinn pro Paar. Das ist vielleicht nicht so viel, aber mir ist wichtig, dass ich Umsatz mache und mein Angebot stetig erneuere“, sagt sie selbstbewusst und zieht wie zum Beweis ein speckiges, kariertes Schulheft hervor, in dem sie Buchhaltung führt. Von dem Gewinn entlastet sie die Familie, kauft Schulsachen für ihre Kinder oder Geburtstagsgeschenke.

Margarita hat etliche junge Leute neugierig gemacht – viele eifern ihr heute nach. Inzwischen gab es sechs Coaching-Kurse in Teotepeque. Der Ort ist aus der Lähmung erwacht und kämpft sich kreativ aus ihr heraus. Es gibt mobile Essstände, einen Kramladen, eine Hängemattenkooperative und eine mobile Unterwäscheverkäuferin. Die Jugendgruppe erstritt einen öffentlichen WLAN-Anschluss für den Dorfplatz beim Bürgermeister. Auch die Polizei patrouilliert wieder regelmäßig. Auswandern oder sich den Banden anschließen ist für die Jugendlichen von Teotepeque kein Thema mehr.

Von Sandra Weiss

© Misereor