Bischof Kräutler: „Bolsonaro keine Ahnung vom Amazonas“

Bischof Kräutler: „Bolsonaro keine Ahnung vom Amazonas“

Amazonas-Synode ‐ Klare Worte von einem, der es wissen muss. Der frühere Amazonas-Bischof Erwin Kräutler gehört zu den bekanntesten Stimmen der Regenwaldregion. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage rund um die Waldbrände in Amazonien und gibt einen Ausblick auf die Synode.

Erstellt: 30.08.2019
Aktualisiert: 30.08.2019
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Der frühere Amazonas-Bischof Erwin Kräutler (80) gehört zu den bekanntesten Stimmen der Regenwaldregion. Derzeit bereitet er die vom 6. bis 27. Oktober im Vatikan anberaumte Amazonas-Synode mit vor. Im Interview spricht der gebürtige Österreicher, der von 1981 bis 2015 die flächenmäßig größte brasilianische Diözese Xingu leitete, über die aktuelle Lage rund um die Waldbrände in Amazonien und gibt einen Ausblick auf die Synode.

Frage: Herr Bischof, derzeit ist Amazonien wegen der Brände und der Abholzung in den Medien. Schadet der Medien-Hype der Synode?

Kräutler: Wie sollte das schaden? Wir Bischöfe Amazoniens haben uns bereits 1990 in Belém versammelt und als erste kirchliche Instanz weltweit auf die fortschreitende Zerstörung hingewiesen. Die Lage hat sich nun dermaßen verschärft, dass die ganze Welt aufschreit und Angst bekommt. Denn die klimaregulierende Funktion Amazoniens für den ganzen Planeten ist wissenschaftlich erwiesen und unumstritten.

Präsident Jair Bolsonaro hat von Amazonien keine Ahnung und hat sich schon im Wahlkampf als Feind der indigenen Völker geoutet. Er versprach, Amazonien weiter für nationale und internationale Unternehmen zu „erschließen“. Es ist Verpflichtung der Kirche, ihren Beitrag zur Verteidigung und Bewahrung Amazoniens zu leisten. Die Bischöfe Amazoniens kennen dieses Gebiet entschieden besser als Politiker. Sie müssen der jetzigen Regierung deren Verantwortung aufzeigen, im Namen unseres Glaubens an einen Gott, der dieses wunderbare „gemeinsame Haus“ unserer Sorge und Pflege überantwortet hat.

Frage: Deutschland will Mittel für den Waldschutz kürzen, Frankreich den Mercosur-EU-Vertrag an die Umweltthematik koppeln. Was könnten denn die westlichen Länder tun, um dem Amazonas zu helfen?

Kräutler: Emmanuel Macron hat zum ersten Mal Amazonien auf die Tagesordnung einer G7-Versammlung gesetzt. Das war zu begrüßen. Allerdings reicht es nicht, nur Geld in die Amazonas-Staaten zu pumpen. Die G7-Nationen und andere Staaten müssen sich auch fragen, inwieweit sie selbst an der Zerstörung mitschuldig sind. Wo gehen denn die illegal geschlagenen Hölzer Amazoniens hin? Und all die Milch- und Fleischprodukte, für die der tropische Regenwald abgebrannt wird? Niemand ist gegen den Export von Rohstoffen – aber es sollte dabei nicht vergessen werden, dass die Umweltkosten und die Bedrohung der Bevölkerung sehr hoch sind. Keines der Länder, in die beispielsweise Bergwerksprodukte exportiert werden, würde ein so großes Risiko für die eigene Bevölkerung und Umwelt akzeptieren.

Frage: Wie steht es um die Vorbereitung der Amazonas-Synode im Oktober im Vatikan? Zeichnen sich schon die Kernthemen ab?

Kräutler: Wir sind auf der Zielgeraden. Und die Kernthemen sind bereits im Titel der Synode definiert: „Amazonien: neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“. Dabei treten die indigenen Völker in ein besonderes Blickfeld, wie Papst Franziskus es sich gewünscht hat. Das Arbeitspapier für die letzten Vorbereitungen und die eigentliche Synode selbst sieht verschiedene Themenkreise vor. Da geht es unter anderem um ganzheitliche Ökologie und um eine prophetische Kirche in Amazonien, um interkulturelle Liturgie, die Evangelisierung in den Städten und den ökumenischen und interreligiösen Dialog.

Frage: Was sind die Ansatzpunkte zur Verbesserung der Arbeit der Kirche in Amazonien? Was könnte konkret auf der Synode beschlossen werden?

Kräutler: Vom Papst ernannte Referenten haben ein Arbeitspapier auf der Grundlage der etwa 80.000 Beiträge aus allen Ländern vorbereitet, die Amazonien ausmachen. Der vom Papst einberufene Vorsynodale Rat, dem ich angehöre, hat die Unterlagen im Mai bearbeitet, ergänzt und vervollkommnet und dann den Text für die Veröffentlichung in Spanisch und Portugiesisch verabschiedet. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Synode ein Beratungsorgan des Papstes ist. Das eigentliche Schlussdokument wird das Schreiben von Franziskus sein, das er ein paar Monate nach Abschluss der Versammlung im Vatikan veröffentlichen wird.

Frage: Die Kirche braucht mehr Personal vor Ort. Was kann da verändert werden? Viri probati, also verheiratete Männer als Priesterersatz, geistern ja immer durch die Presse. Wäre das ein Ansatz?

Kräutler: Es ist ein Ärgernis und gegen den ausdrücklichen Willen des Herrn – „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ – dass 90 Prozent der Gemeinden Amazoniens nur ein, zwei, drei oder maximal vier Mal im Jahr die Eucharistie feiern. Es geht nicht um Zölibat ja oder nein. Es geht um die Eucharistie! „Die christliche Gemeinde wird nur aufgebaut, wenn sie Wurzel und Angelpunkt in der Feier der Eucharistie hat; von ihr muss darum alle Hinführung zum Gemeinschaftsgeist ausgehen“, heißt es im Konzilsdekret Presbyterorum Ordinis des Konzils von 1965.

Der Zugang zum Weihepriestertum darf also gerade in Amazonien nicht länger auf zölibatäre Männer beschränkt bleiben. Dieses Thema muss zur Sprache kommen. Ich mag allerdings den Ausdruck „Viri probati“ nicht, denn er ist von vornherein geschlechterspezifisch. Die Gemeinden im ländlichen und vorstädtischen Bereich Amazoniens werden größtenteils von Frauen geleitet. Es ist deshalb an der Zeit, Wege zu suchen, die unheilvolle Diskriminierung der Frauen in unserer Kirche zu überwinden und eher von „personae probatae“ zu sprechen. Als erster Schritt dazu könnten wir uns für Frauen den Zugang zum Diakonat vorstellen.

Frage: Vor Monaten gab es Meldungen, dass Brasiliens Regierung die Bischöfe „ausspioniert“ habe. Nehmen Sie das als mögliche Gefahr für die Kirche ernst?

Kräutler: Was ist da passiert? Seit Herbst 2018 waren die Gemeinden aufgefordert, einen Fragenkatalog zu beantworten. Tausende Gemeinden in Stadt und Land, in indigenen Dörfern, afrobrasilianischen Kommunitäten und Fischerfamilien entlang der Flüsse kamen dem Aufruf nach. Die Regierung in Brasilia bekam Wind von der Initiative. Tatsächlich sollen einige „Spione“ unterwegs gewesen sein.

Jedenfalls klassifizierte der Minister und Chef des Sicherheitskabinetts, General Augusto Heleno, die Kritik am mangelnden Willen der Regierung, Amazonien vor der Zerstörung zu retten, als Angriff auf die Souveränität Brasiliens. Die Kirche ist kein Geheimbund oder arkanische Gesellschaft. Daher fanden wir diese „Spionage“ und Sorge um die Souveränität Brasiliens schlicht und einfach lächerlich.