Neue Debatten um das Kirchenasyl

Neue Debatten um das Kirchenasyl

Flucht und Asyl ‐ Vor fünf Jahren sorgte das Kirchenasyl zuletzt für größere Diskussionen - im Flüchtlingssommer 2015. Eine Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen glättete die Wogen. Nun werden jedoch wechselseitige Vorwürfe laut.

Erstellt: 22.08.2020
Aktualisiert: 17.05.2024
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Abgerissen sind die Auseinandersetzungen um das Kirchenasyl nie so ganz. Aktuell sorgt der Fall von Mutter Mechthild für Aufsehen. Die Äbtissin im fränkischen Kloster Kirchschletten gewährte in mehreren Fällen Kirchenasyl – nun droht ihr eine Gefängnisstrafe. Die Benediktinerin erklärt, sie könne nicht die Zukunft eines jungen Menschen opfern, nur weil sie selbst sich in einer juristischen Auseinandersetzung befinde: „Das ist doch kein Schachspiel.“

Herzlose Bürokratie auf der einen Seite, christliche Überzeugungstäter auf der anderen? Der Konflikt zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den Kirchen schwelt schon länger. Im Frühjahr 2019 bezeichnete Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge die Entwicklungen als „beschämend“. Ein halbes Jahr zuvor hatte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Rückkehr zur „ursprünglichen Absprache“ gefordert; die katholischen Bischöfe kritisierten „zusätzliche administrative Hürden, die zulasten der betroffenen Menschen gehen“.

Mitte Juli wurde nun ein Bericht aus dem Bundesinnenministerium bekannt, der Kritik am Kirchenasyl enthielt. Forderungen des Bamf würden in der Praxis nicht eingehalten. So sollen Asylbewerber das Kirchenasyl eigentlich innerhalb von drei Tagen verlassen, nachdem sie als Härtefall einen Ablehnungsbescheid erhalten haben – doch „dies geschah in den letzten Jahren nicht“.

2018 hatte die Innenministerkonferenz eine Neuregelung im Umgang mit dem Kirchenasyl beschlossen. Dadurch habe die Entwicklung jedoch „nicht durchbrochen“ werden können, so das Ministerium.

Beide Kirchen wiesen die Kritik zurück. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm warf dem Staat eine Aushöhlung der dazu mit den Kirchen 2015 geschlossenen Vereinbarung vor. In den Kirchengemeinden, die auf dieser Basis Geflüchtete aufgenommen hätten, herrsche der Eindruck vor, dass die Fälle gar nicht mehr wirklich geprüft würden, sagte er kürzlich der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Gemeinden trügen aufwendig Dossiers zusammen, „aber anders als früher erhält nur noch eine verschwindend kleine Zahl von Geflüchteten im Kirchenasyl ein Verfahren in Deutschland“, bemängelte Bedford-Strohm.

Anne Harms von der kirchlichen Hilfsstelle Fluchtpunkt, die Rechtsberatung für Flüchtlinge anbietet, nennt zwei weitere Bereiche, die aktuell zu Problemen führen. Wegen der Corona-Pandemie hatte das Bamf Abschiebungen in Dublin-Fällen ausgesetzt – diese Regelung werde nun nach und nach aufgehoben. Das Bamf vertritt die Auffassung, die Aussetzung führe zu einer Unterbrechung und einem Neubeginn der Überstellungsfrist. „die Rechtsprechung entwickelt sich aber deutlich gegen diese These“, sagt Harms.

Zudem seien in ersten Fällen Abschiebungen für die Dauer eines Kirchenasyls ausgesetzt worden. Auch hier sei fraglich, ob dieser Schritt rechtlich zulässig sei, erklärt die Expertin. Dies gilt bereits für die Verlängerung der sogenannten Überstellungsfrist auf 18 Monate. Zugleich betont sie: „Die Dublin-Verordnung ist nicht dafür gedacht, Kirchengemeinden abzustrafen.“

Die Zahlen haben sich im laufenden Jahr stabilisiert, Tendenz sinkend: Zum 11. August meldete die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirchenasyl 354 Fälle. Betroffen waren demnach 543 Personen, davon 117 Kinder. Zugleich führen immer weniger Fälle zu einem regelrechten Asylverfahren: Im vergangenen Jahr wurde laut „Spiegel“ für 14 der damals 464 im Kirchenasyl befindlichen Personen ein Asylverfahren aufgenommen.

Der Eindruck, dass Härtefälle nicht geprüft würden, werde den Bemühungen der Behörden nicht gerecht, sagte Bamf-Vizepräsidentin Ursula Gräfin Praschma der KNA. „Die verantwortlichen Mitarbeiter würdigen die Sachverhalte individuell und sehr sorgfältig.“ Dass weniger Kirchenasyl-Fälle als Härtefälle anerkannt würden, liege daran, dass das Bamf gelernt habe: „Wir erkennen Härtefälle schon im Asylverfahren an“, betonte Praschma. Und: Das Bundesamt sei für Gespräche offen.

Die Kirchen bekennen sich weiterhin zum Kirchenasyl. Es sei schwieriger geworden, sagt der Münchner Kardinal Reinhard Marx: „Aber wir halten daran fest“.

Stichwort: Kirchenasyl

Beim sogenannten Kirchenasyl nehmen Gemeinden oder Ordensgemeinschaften vorübergehend Asylbewerber auf, um eine Abschiebung abzuwenden, weil diese für den Flüchtling eine Bedrohung an Leib und Leben darstellt. Schon aus dem vierten Jahrhundert ist bekannt, dass Flüchtlinge in Kirchen Schutz suchten. Mit der Entwicklung rechtsstaatlicher Systeme verlor das Kirchenasyl an Bedeutung und wurde im 18. und 19. Jahrhundert in den meisten Ländern abgeschafft. Kirchlicherseits gibt es seit dem neuen Kirchenrecht 1983 offiziell kein Kirchenasyl mehr. Wer heute in Deutschland Kirchenasyl gewährt, verstößt nach einhelliger Rechtsauffassung gegen geltendes Recht. Die Mehrzahl der Schutzsuchenden sind zudem sogenannte Dublin-Fälle, die eigentlich in das EU-Ersteinreiseland zurückgeschickt werden müssten, um dort Asyl zu beantragen. Läuft jedoch die Überstellungsfrist ab, ist Deutschland für den Asylantrag zuständig. Das Kirchenasyl ist zwischen Behörden und Kirchen zunehmend umstritten. Eine Handreichung der katholischen Bischöfe spricht vom Kirchenasyl als „letztem Mittel“, um in Einzelfällen „unzumutbare Härten“ abzuwenden. 2015 hatten sich die Kirchen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zudem auf eine neue Form der Zusammenarbeit bei Fällen von Kirchenasyl geeinigt. Kirchen und Bamf benannten Ansprechpartner, um Härtefälle zu prüfen. Seit 1. August 2018 kann die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert werden, wenn die Gemeinden bestimmte Vorgaben nicht einhalten. Gemeinden müssen sich dann wesentlich länger um die Flüchtlinge kümmern.

Von Paula Konersmann (KNA)

© Text: KNA

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