Boliviens Kirche verurteilt Verhaftungswelle scharf
Südamerika ‐ In Bolivien sind am Samstag die frühere Interimspräsidentin Jeanine Anez sowie weitere ehemalige Kabinettsmitglieder und Oppositionelle verhaftet worden. Die Kirche kritisiert das Vorgehen ungewöhnlich scharf.
Aktualisiert: 23.03.2023
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In Bolivien ist die frühere Übergangspräsidentin Jeanine Anez am Samstag festgenommen worden. Weitere ehemalige Regierungsmitglieder sowie Oppositionelle wurden bereits am Freitag inhaftiert. Die katholische Kirche des Landes reagierte mit einer ungewöhnlich scharfen Erklärung.
Boliviens Bischofskonferenz forderte die sozialistische Regierung von Präsident Luis Arce auf, der Versuchung „einer totalen Kontrolle der Macht, der Rache und der politischen Verfolgung“ zu widerstehen. Die Demokratie fordere den Respekt vor den Menschenrechten, heißt es in dem von Erzbischof Ricardo Centellas aus Sucre am Samstag (Ortszeit) verlesenen Appell.
Die Bischöfe könnten angesichts der politischen Verfolgung nicht schweigen, zitierte das Portal „Erbol“ aus der Erklärung. Es könne nur Demokratie geben, wenn eine unabhängige Justiz respektiert und nicht politischen Interessen einer im Amt befindlichen Regierung unterworfen werde. Die Demokratie sei der Respekt vor der Wahrheit. Es dürfe keine falsche Version der Geschichte, keine Verdrehung der Wahrheit und keine Manipulation der Bolivianer geben, so die katholischen Bischöfe.
Wenige Stunden zuvor waren neben der ehemaligen Interimspräsidentin Anez, die das Land von November 2019 bis November 2020 führte, auch die früheren Minister Rodrigo Guzman und Alvaro Coimbra wegen des Vorwurfs des Terrorismus und des Aufruhrs festgenommen worden. Während Ex-Präsident Evo Morales erklärte, gegen die „Drahtzieher und Komplizen“ des „Staatsstreichs“ gegen ihn müsse „ermittelt“ und sie müssten „bestraft“ werden, schrieb Anez: „Die politische Verfolgung hat begonnen.“ Die Regierung werfe ihr vor, „an einem Staatsstreich teilgenommen zu haben, den es nie gegeben hat“.
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Angehörige von Todesopfern begrüßen Festnahme
Angehörige von regierungsnahen Todesopfern, die bei Ausschreitungen während der Unruhen infolge der umstrittenen Wahlentscheidung 2019 ums Leben kamen, begrüßten dagegen die Verhaftung von Anez und machten sie für die Gewalt verantwortlich. Andere Angehörige von Gewaltopfern, die der Morales-Regierung kritisch gegenüberstanden, werfen der Regierungspartei MAS dagegen vor, die eigenen Gewalttaten vertuschen und die Wahrheit verdrehen zu wollen.
Anez' Tochter Carolina Ribera erklärte, der amtierende sozialistische Präsident Luis Arce habe die Verhaftung seiner Vorgängerin in Auftrag gegeben. Die Europäische Union forderte Bolivien in einer ersten Reaktion auf, die Gewaltenteilung zu respektieren. Die EU werde die Geschehnisse in Bolivien aufmerksam verfolgen.
Bolivien wurde nach der Präsidentschaftswahl im Oktober 2019 von heftigen Unruhen erschüttert. Schon die erneute Kandidatur des damaligen Präsidenten Evo Morales war nach einem verloren gegangenen Referendum über eine dazu notwendige Verfassungsänderung hoch umstritten. Morales brach sein Wort und setzte seine Kandidatur gegen das Wählervotum auf juristischem Wege durch.
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Nach den Präsidentschaftswahlen warf die Opposition dem seit 2006 regierenden sozialistischen Präsidenten Wahlbetrug vor, Hunderttausende gingen auf die Straße. Morales bestand zunächst auf einem Sieg im ersten Durchgang.
Eine Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sprach in einem Abschlussbericht von schwerwiegenden Manipulationsversuchen und empfahl Neuwahlen. Morales trat daraufhin zurück, ging zunächst nach Mexiko und später nach Argentinien ins Exil. Unter Berufung auf spätere Studien aus den USA wies Morales die Manipulations-Vorwürfe zurück und spricht seitdem von einem Putschversuch gegen ihn. Die OAS blieb hingegen bei ihrer Darstellung.
Morales' Parteifreund Luis Arce gewann die von Anez organisierten Neuwahlen deutlich und ist inzwischen im Amt. Morales selbst kehrte nach Bolivien zurück und ist in führender Funktion innerhalb der Regierungspartei tätig.
Adveniat-Chef fordert „echte Vermittlungsbemühungen" von Deutschland und EU
Der Hauptgeschäftsführer des deutschen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Michael Heinz fordert von Deutschland und der EU, in dem Konflikt zu vermitteln, ohne dabei auf wirtschaftliche Interessen zu schielen: „Deutschland und die EU sollten echtes Interesse an den Konflikten in Lateinamerika zeigen." Anstatt nur auf die Ausbeutung der Lithium-Vorräte in Bolivien für die Batterie-Produktion zu schielen, seien zuerst echte Vermittlungsbemühungen ohne wirtschaftliche Hintergedanken angesagt. Denn der Abbau von Rohstoffen wirke in Lateinamerika generell wie ein Brandbeschleuniger der Konflikte. „Die Verhaftung der Übergangs-Präsidentin Jeanine Añez zeigt, wie tief die Gräben zwischen den politischen Akteuren in Bolivien sind", so der Adveniat-Hauptgeschäftsführer.
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© Text: KNA