Lust und Frust
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Lust und Frust

Entwicklungspolitik ‐ Flüchtlingskrise, Klimawandel, Terrorismus: Die großen Themen der vergangenen Monate sind die Kehrseite der Globalisierung. Gut möglich, dass in dieser Situation die Entwicklungspolitik ein neues Gewicht bekommt. Im Interview spricht Bernd Bornhorst, Vorsitzender des Verbands deutscher Nichtregierungsorganisationen, über zukünftige Herausforderungen in der Entwicklungspolitik.

Erstellt: 18.12.2015
Aktualisiert: 18.12.2015
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Flüchtlingskrise, Klimawandel, Terrorismus: Die großen Themen der vergangenen Monate sind die Kehrseite der Globalisierung. Gut möglich, dass in dieser Situation die Entwicklungspolitik ein neues Gewicht bekommt. Im Interview äußerte sich der Vorstandsvorsitzende von Venro, dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, Bernd Bornhorst, am Dienstag zu diesem Thema. Der Dachverband, dem nach eigenen Angaben rund 120 entwicklungspolitische und humanitäre Nichtregierungsorganisationen in Deutschland angehören, wird am Samstag 20 Jahre alt.

Frage: Herr Bornhorst, ist die Flüchtlingskrise nicht der beste Beweis für die große Bedeutung von Entwicklungspolitik?

Bornhorst: Natürlich macht die hohe Zahl von Flüchtlingen schlagartig allen Bürgern klar, wie wichtig gerechte Lebensverhältnisse und die Beseitigung von Fluchtursachen auch für uns sind. Die Frage ist für mich aber, ob daraus wirklich ein tiefgreifendes Umdenken entsteht oder ob wir nur einem Abwehrreflex folgen. Wenn wir nur handeln, um die Zuwanderung so schnell wie möglich einzudämmen, wäre das zu kurz gesprungen. Bisher haben wir die Globalisierung vor allem zu unserem Vorteil gestaltet. Wer über die Armut der anderen nachdenkt, muss aber auch von unserem Reichtum reden.

Frage: Auch der Klimawandel und der Terrorismus lassen sich so deuten, dass die Entwicklungspolitik immer wichtiger wird ...

Bornhorst: Flüchtlingskrise, Klimawandel und Terrorismus zeigen, dass die Globalisierung voranschreitet und die Politik Probleme nicht mehr isoliert betrachten kann. Alles hängt mit allem zusammen. Es war schon immer das zentrale Anliegen der Entwicklungsorganisationen, ungerechte Strukturen abzubauen und eine gerechte Verteilung von Lebenschancen zu ermöglichen. Dieses Thema muss aus der Nische der Entwicklungspolitik und des vermeintlichen Gutmenschentums rausgeholt werden. Entwicklungspolitik braucht mehr Aufmerksamkeit und muss zur Querschnittsaufgabe werden.

Frage: Kann ein Entwicklungsministerium diese Aufgabe erfüllen?

Bornhorst: Nein, das wäre eine Überforderung. Denn um gerechtere Strukturen zu schaffen, müssen viele Politikfelder beackert werden. Es geht um Außenpolitik, Umweltschutz, Handel, Rüstungsexporte, Landwirtschaft – notwendig ist ein gemeinsamer, möglichst widerspruchsfreier Politikansatz.

Frage: Das hört sich an, als ob Sie auf das Entwicklungsministerium auch verzichten könnten ...

Bornhorst: Dieses Thema kommt ja alle Jahre wieder. Aber ich halte das Ministerium für wichtig, weil es ein Stachel im Fleisch sein und das Bewusstsein für diese Themen hoch halten kann. Richtig ist aber, dass das Ressort-Prinzip aus Sicht der Entwicklungsorganisationen eher Frust statt Lust bedeutet. Entscheidend ist, dass wir aus dem Silodenken rauskommen und eine gemeinsame Strategie für die deutsche Politik entwickeln. Alle Ressorts müssen einbezogen werden. Wenn am Ende immer nur das Kanzleramt entscheidet, läuft was falsch.

Frage: Diskutiert wird auch, ob sich die Entwicklungspolitik auf die Armutsbekämpfung in den ärmsten Staaten der Welt beschränken und die übrigen Themen den anderen Ministerien überlassen sollte. Was halten Sie davon?

Bornhorst: Die Bekämpfung der Armut muss weiterhin ein zentraler Baustein der Entwicklungspolitik bleiben. Aber es bringt wenig, wenn sie sich auf die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries – LDC) beschränken würde. Auch in ihnen geht es ja nicht nur um Soziales, sondern auch um Klimaschutz und gerechte Handelsbedingungen. Zudem gibt es auch in den Schwellenländern viel Armut. Indien ist ja das Land mit den zahlenmäßig meisten Menschen, die in Armut leben. Mit diesen Ländern bedarf es neuer Formen der Zusammenarbeit; nötig ist vielleicht weniger finanzielle Unterstützung als vielmehr Bildung, Austausch von Knowhow und Fachkräften. Gleichzeitig brauchen wir die sogenannten Schwellenländer bei der Gestaltung einer gerechteren Globalisierung und sollten auch deswegen die Zusammenarbeit mit ihnen suchen.

Frage: Venro wird 20 Jahre alt. Wie sind die Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich der Entwicklungspolitik vor diesem Hintergrund aufgestellt?

Bornhorst: Als Venro 1995 gegründet wurde war der Ost-West-Konflikt beendet und wir hatten die Hoffnung, dass Entwicklungszusammenarbeit frei von ideologischen Dogmen und mit größeren finanziellen Mitteln gestaltet werden könnte. Nichtregierungsorganisationen wollten nicht mehr nur Helfer im Süden sein, sondern sich auch kritisch in die Nord-Süd-Politik einbringen und Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger ausüben. Ich habe den Eindruck, dass die Politik uns als Ansprechpartner ernst nimmt und auch dankbar ist für unser Wissen.

Frage: Zu Venro gehören mehr als 120 Organisationen. Besteht da nicht auch die Gefahr, dass jeder sein Süppchen kocht und es an koordinierter Zusammenarbeit fehlt?

Bornhorst: Richtig ist, dass die Zahl der Akteure in der Entwicklungspolitik zugenommen hat. Nicht nur die Staaten, sondern auch die großen Stiftungen, die Wirtschaft und die Nichtregierungsorganisationen engagieren sich. Andererseits gibt es ja auch eine Vielfalt an Regionen und Problemen, die bearbeitet werden müssen. Venro ist eine gute Plattform zum Austausch von Erfahrungen und Fachwissen und zum Vernetzen. Das Herzstück dafür sind die Arbeitsgruppen, in denen die Mitglieder gemeinsame Positionen entwickeln. Wichtig ist, dass wir mit unserer ganzen Vielfalt in die Zivilgesellschaft hineinwirken und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig Entwicklungspolitik ist. Wenn es Venro noch nicht gäbe, müsste es jetzt erfunden werden.

Von Christoph Arens (KNA)

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Venro

Venro ist der Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen (NRO) in Deutschland. Der Verband wurde am 19. Dezember 1995 in Königswinter bei Bonn gegründet. Ihm gehören heute rund 120 Organisationen an. Sie kommen aus der privaten und kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit, der Humanitären Hilfe sowie der entwicklungspolitischen Bildungs-, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Das zentrale Ziel von Venro ist die gerechte Gestaltung der Globalisierung, insbesondere die Überwindung der weltweiten Armut. Der Verband setzt sich auch für die Verwirklichung der Menschenrechte und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ein. Nach innen sieht sich Venro als Plattform zum Austausch von Erfahrungen und Fachwissen in der Entwicklungshilfe sowie als Ansprechpartner für die Fachpolitiker. Außerdem will der Dachverband das öffentliche Bewusstsein für entwicklungspolitische Themen schärfen. (KNA)