Westjordanland leidet unter verschärfter israelischer Besatzung
Bethlehem/Ain Arik ‐ Schranken, wohin man blickt. Palästinenser im Westjordanland müssen Geduld mitbringen, wenn sie sich bewegen wollen. Seit Beginn der Waffenruhe in Gaza hat Israel sein Vorgehen in den besetzten Gebieten verschärft.
Aktualisiert: 06.02.2025
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Seit mehr als 15 Monaten schaut die Welt auf den Gazastreifen. Doch auch im von Israel besetzten Westjordanland sind die Folgen des Kriegs und des ungelösten Konflikts spürbar – im wahrsten Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt. Mit immer mehr Barrieren und Fahrzeugkontrollen macht Israel den Palästinensern das Leben schwer. Seit Inkrafttreten der Waffenruhe am 18. Januar hat Israel seine Besatzung verschärft. Bewegungsfreiheit ist zur Glückssache geworden – eine Belastungsprobe auch für palästinensische Christen.
Marian starrt auf ihr Handy. Die Christin aus Bethlehem, die für eine christliche Einrichtung arbeitet, muss mit Kollegen zum Ortsbesuch nach Hebron. Apps, lokale Whatsapp-Gruppen mit Infos zu Straßensperren in Echtzeit und Kontakte vor Ort sind unerlässliche Werkzeuge der Navigation durch das sich konstant verändernde Labyrinth blockierter Straßen. Wann eine Schranke geschlossen, ein Checkpoint geöffnet wird, liegt im Ermessen israelischer Soldaten.
An der südlichen Zufahrt nach Bethlehem staut es sich vor dem Militärposten. Die palästinensischen Orte entlang der von jüdischen Siedlern und Palästinensern gemeinsam genutzten Schnellstraße 60 Richtung Süden: abgeriegelt. Die von Betonblöcken getragene Schranke am Ortsausgang von Hebron: geschlossen. Kilometerlange Staus auch hier. Im Vergleich zu den vergangenen Wochen seien das passable Verhältnisse, heißt es im Auto. In Fahrtzeit übersetzt: anderthalb Stunden in die eine, zweieinhalb in die andere Richtung – für 30 Kilometer.
24 Kilometer liegen zwischen den palästinensischen Dörfern Aboud und Ain Arik weiter nördlich im Westjordanland – der tägliche Arbeitsweg von Hannah Fawadleh. Vor den jüngsten israelischen Maßnahmen brauchte der Christ, der die Schule des Lateinischen Patriarchats in Ain Arik leitet, etwa eine halbe Stunde. Jetzt sind es anderthalb – wenn er rechtzeitig losfährt. Zwischen 6 Uhr und 9 Uhr ist die Schranke von Aboud geöffnet, dann erst wieder gegen 20 Uhr. „Barrieren gibt es hier schon lange, aber inzwischen lässt sich kaum noch zwischen einem palästinensischen Dorf und einem Gefängnis unterscheiden“, sagt Fawadleh.
Die morgendliche Öffnung fällt in den Berufsverkehr und trägt entsprechend wenig dazu bei, dass Palästinenser schneller von Ort zu Ort kommen, erklärt Firas Abedrabbo. Israel versuche, die Begegnungen von jüdischen Siedlern und Palästinensern auf den gemeinsam genutzten Straßen „größtmöglich zu verhindern“, so der lateinische Pfarrer von Ain Arik. De facto macht es den Palästinensern den Alltag unerträglich.
Wirtschaft am Boden
Dass die verschärften Kontrollen zur Sicherheit jüdischer Siedler beitragen, bezweifeln laut israelischen Medienberichten selbst ranghohe israelische Sicherheitsvertreter. Die massiven Staus erhöhten das Risiko von Spannungen und böten ein gutes Ziel für potenzielle Angriffe.
Kritiker sehen in dem Vorgehen Israels den Versuch von Regierungschef Benjamin Netanjahu, seine durch die Waffenruhe verärgerten rechtsextremen Koalitionspartner zu besänftigen. Die hoffen seit der Wiederwahl Trumps, dass bald die Stunde der israelischen Annexion der besetzten Gebiete schlägt. Trump kündigte am Dienstag (Ortszeit) an, sich in den nächsten Wochen zu dem Thema äußern zu wollen.
Von Schulleiter Fawadleh und seinem Team erfordert die Situation „Kreativität und viel Flexibilität“. Die 300 Schülerinnen und Schüler kommen aus umliegenden Dörfern. „Wer kein Auto hat und auf Sammeltaxis angewiesen ist, bleibt oft an Checkpoints hängen. Wir berücksichtigen die Verspätungen bei der Gestaltung des Unterrichts.“ Die Anspannung, die die Situation bei den Schülern auslöse, wolle man durch Aktivitäten mildern.
Krieg, ausbleibende Pilger, der Wegfall von Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser – all das sind Ursachen für den Zusammenbruch der palästinensischen Wirtschaft. Als Schule stünden sie doppelt unter Druck, sagt Schulleiter Fawadleh; seitens der Eltern, von denen nur etwa ein Drittel im aktuellen Schuljahr die Schulgebühren gezahlt hätten, und seitens der Lehrer, die nun noch dringender auf ihr Gehalt angewiesen seien.
Seine Schüler stammen mehrheitlich aus der Mittelschicht, die angesichts der Lage Angst habe, alles Geld in Bildung zu investieren. Überhaupt dominiere Angst derzeit viele Bereiche des Lebens in der palästinensischen Gesellschaft. Für die Finanzen seiner Schule hofft Fawadleh unterdessen auf christliche Unterstützung aus dem In- und Ausland – damit man das Grundrecht auf Bildung für alle so lange wie möglich aufrechterhalten könne.