Waffenstillstand in Nahost – Drei Geiseln und 90 Gefangene frei
Tel Aviv/Ramallah ‐ Freudentränen in Tel Aviv, Jubel in Ramallah: Am ersten Tag des Waffenstillstandsabkommens zwischen Israel und der Hamas haben Menschen auf beiden Seiten des Konflikts die Freilassung von Landsleuten gefeiert.
Aktualisiert: 20.01.2025
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Um kurz nach 17 Uhr kam die erlösende Nachricht: Romi Gonen, Doron Steinbrecher und Emily Damari sind in Obhut des Internationalen Roten Kreuzes und auf dem Weg aus dem Gazastreifen zurück nach Israel. Tausende Menschen auf dem als „Geiselplatz“ bekannt gewordenen Platz im Herzen von Tel Aviv ließen ihren Gefühlen freien Lauf. Fotos der Menge zeigten Jubel, Umarmungen und Tränen. Die drei israelischen Frauen, die im Rahmen des am Sonntag in Kraft getretenen Waffenstillstandsabkommens als erste freigekommen waren, sind am Leben und nach ersten Angaben guter Gesundheit.
Seit dem Nachmittag hatte sich die Menge versammelt und der Freilassung der Geiseln entgegengebangt. Auf dem Großbildschirm: Gaza-Szenen arabischer Sender wie Al-Dschasira, jenem katarischen Sender, dessen Ausstrahlung der israelische Kommunikationsminister Schlomo Karhi verboten hatte. Um 17.59 Uhr dann schrieb die Armee auf X: „Sie sind zu Hause“ – der Moment, auf den drei Familien und mit ihnen ein ganzes Volk 471 Tage gewartet hatten.
Auch in Ramallahs Ortsteil Beitunia, rund 60 Kilometer südöstlich von Tel Aviv, hatten sich seit dem frühen Nachmittag Menschen versammelt, um die im Austausch freigelassenen 90 palästinensischen Gefangenen in Empfang zu nehmen. Von einer Anhöhe blickt man auf das israelische Gefängnis Ofer, Ort der Übergabe der Gefangenen an das Rote Kreuz. Die sollte jedoch nach der Freilassung der israelischen Geiseln noch knapp acht Stunden auf sich warten lassen. Viele der Wartenden zündeten Lagerfeuer an, um die feuchte Kälte der Nacht zu mildern. „Wir warten darauf, unsere Gefangenen begrüßen zu können“, sagt der Deutsch-Palästinenser Yasir Abd-il-Hafaz. „Nach dem Genozid in Gaza verspricht der heutige Tag Hoffnung“, benutzt er den umstrittenen Begriff vom Völkermord. Der Waffenstillstand, so hoffe er, sei „der Anfang einer neuen Ära“.
Es gehe um Menschlichkeit und um die Liebe zu seinem Land, erklärt Tarik Nassal, warum er mit seiner Familie an den Aussichtspunkt gekommen ist. Seine Kinder tragen Keffiyeh, das Palästinensertuch in klassischem Schwarz-Weiß. Gefangene, sagt Tarik, seien ein wichtiges Thema für die Palästinenser und für ihn persönlich. Der fünffache Vater hat selbst in israelischen Gefängnissen gesessen.
Auch Ahmed, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, war mehr als vier Jahre in Haft. Den Abend verbringt er mit hunderten anderen Palästinensern auf dem Fawakeh-Platz in Ramallah, um die Freilassung seiner Landsleute zu feiern, und in der Hoffnung, dass auch sein Sohn – Gefangener in einem israelischen Gefängnis – im Rahmen des Deals freikommt. Er freue sich auch für die israelischen Geiseln, die nach Hause kommen, sagt Ahmed. Die Einigung hätte schon „vor einem Jahr oder länger“ geschehen sollen. Nicht alle Mitfeiernden an diesem Abend dürften seiner Meinung sein. Neben palästinensischen und Fatah-Fahnen prägen grüne Hamas-Fahnen und hier und da jene der Hisbollah das Bild.
Unterdessen griffen laut Medienberichten Dutzende jüdische Siedler mehrere palästinensische Dörfer im besetzten Westjordanland an, zündeten Häuser und Autos an und warfen Steine. In sozialen Medien hatten sie die Namen von Orten veröffentlicht, aus denen die Gefangenen freigelassen werden, und zu Gewalt aufgerufen.
Der anhaltende Konflikt und die israelische Besatzung, sie sind auch an diesem Abend in Ramallah präsent. „Dieser historische Tag gibt den Palästinensern ein Stück Freiheit zurück, aber sie ist nicht vollkommen, bis das Volk als Ganzes befreit ist“, formuliert es Jiries. Für den Französischlehrer aus Ramallah überwiegt trotzdem die Hoffnung, dass nun „Frieden und Gerechtigkeit für alle im Heiligen Land“ erreicht werden können.
Um ein Uhr morgens schließlich verlassen die zwei Busse des Roten Kreuzes mit den freigelassenen Gefangenen das Gefängnisgelände, begleitet von Tränengas der israelischen Armee und unter dem Jubel der Palästinenser, von denen Dutzende auf die Dächer der Busse kletterten. Bis die Freigelassenen am Fawakeh-Platz die Busse verlassen konnten, sollte eine weitere Stunde vergehen, diesmal allerdings, weil die feiernde Masse den Konvoi nur im Schritttempo vorankommen ließ.
Erzbischof Bentz: Geisel-Freilassung ist hoffnungsvolles Zeichen
Der Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz hält sich in Israel wegen eines Internationalen Bischofstreffens im Heiligen Land auf. Kurz nach seiner Landung in Tel Aviv habe er von der Freilassung dreier Geiseln gehört, berichtete er der Agentur KNA. „Ich bin erleichtert! Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dem noch viele folgen müssen. Ich hoffe und bete, dass alle Geiseln möglichst rasch ihre Freiheit wiedererlangen“, heißt es in einem Post der katholischen Deutschen Bischofskonferenz auf der Plattform X am Sonntagabend.