Zehntausende Teilnehmer des fünftägigen Protestmarsches für die Geiseln in der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas
Hilfsorganisationen fordern sicheren Zugang nach Gaza

Abkommen zwischen Israel und Hamas sorgt für Erleichterung

Nicht nur in Nahost ist die Erleichterung groß. Israel und die Terrororganisation Hamas haben sich grundsätzlich auf eine Waffenruhe geeinigt. Doch viele Fragen müssen noch geklärt werden.

Erstellt: 16.01.2025
Aktualisiert: 16.01.2025
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Israel und die Hamas haben sich auf eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von israelischen Geiseln und palästinensischen Gefängnisinsassen geeinigt. Wie von den Vermittlerstaaten am Mittwochabend verkündet wurde, soll das Abkommen am Sonntag in Kraft treten.

Zuvor sind nach Angaben des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu noch „finale Details“ zu klären. Regierung und Sicherheitskabinett müssen der Vereinbarung noch zustimmen. Dies soll laut Medienberichten an diesem Donnerstag geschehen, wobei eine zunächst anberaumte Sitzung am Donnerstagvormittag auf Druck rechtsgerichteter Regierungsparteien verschoben wurde.

Israels Präsident Isaac Herzog sprach mit Blick auf das Abkommen von einem „äußerst entscheidenden Moment“ und rief die Regierung auf, der Vereinbarung zuzustimmen. Die Rückholung der Geiseln sei die größte moralische, menschliche, jüdische und israelische Verpflichtung. Zugleich sieht das Staatsoberhaupt in den Verhandlungsergebnissen „eine der größten Herausforderungen“, die Israel je erlebt habe.

In einer ersten Phase sollen die Kampfhandlungen für 42 Tage eingestellt werden. Zudem ist vorgesehen, dass sich die israelische Armee aus den bevölkerten Gebieten des Gazastreifens zurückzieht. Dies soll einen Austausch von Geiseln und Gefangenen sowie die Rückkehr von Vertriebenen ermöglichen.

US-Präsident Joe Biden und sein Nachfolger Donald Trump bestätigten das Ergebnis. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem „Tag der Erleichterung“. Der Erfolg zeige, „wie wichtig es ist, auch in den dunkelsten Stunden, den Glauben an Diplomatie niemals aufzugeben“.

Die Angehörigen der aus Israel in den Gazastreifen verschleppten Geiseln reagierten ebenfalls erleichtert. „Seit November 2023 haben wir diesen Moment sehnsüchtig erwartet“, heißt es in einer Stellungnahme des Forums der Geisel- und Vermisstenfamilien. Es handele sich um einen bedeutenden Schritt, der die Rückkehr aller Geiseln näherbringe. Zugleich sei man in Sorge, dass das Abkommen möglicherweise nicht vollständig umgesetzt werden könnte.

Bischöfe hoffen mit Waffenstillstand auf dauerhafte Lösung

Die katholischen Bischöfe des Heiligen Landes [Assemblée des Ordinaires Catholiques de Terre Sainte/AOCTS] begrüßen die Ankündigung eines Waffenstillstands im Gazastreifen. Ein Ende des Krieges bedeute jedoch nicht das Ende des anhaltenden Konflikts; dessen Ursachen müssten „ernsthaft und glaubwürdig“ angegangen werden, heißt es in einer Stellungnahme vom Donnerstag.

Ein Waffenstillstand sei ein notwendiger Schritt, um die Zerstörung zu stoppen und dringend benötigte humanitäre Hilfe leisten zu können. Es brauche aber eine gerechte Lösung für einen echten und dauerhaften Frieden. Dies erfordere die „Bereitschaft, das Leid des anderen anzuerkennen“, sowie eine gezielte Erziehung zu Vertrauen.

Es gelte, die Angst vor dem anderen und die Rechtfertigung von Gewalt als politischem Mittel zu überwinden, so die Bischöfe weiter. Sie fordern die politischen Führer und die internationale Gemeinschaft auf, eine klare und gerechte politische Vision für die Nachkriegszeit zu entwickeln.

Sollte die Vereinbarung Bestand haben, würde dies den Weg zu einem dauerhaften Ende des seit 15 Monaten anhaltenden Gaza-Kriegs ebnen. Auslöser war ein Angriff von Terroristen der islamistischen Hamas auf israelische Orte und Armeestützpunkte entlang der Grenze zum Gazastreifen. Dabei wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 250 Geiseln verschleppt. Etliche kamen inzwischen frei, viele wurden getötet. 98 sollen sich bis heute in der Gewalt der Hamas befinden. Die palästinensische Seite beklagt indes Zehntausende Todesopfer durch die Angriffe Israels nach dem 7. Oktober 2023.

Hilfsorganisationen fordern sicheren Zugang nach Gaza

Auch zahlreiche deutsche Hilfsorganisationen haben eine mögliche Waffenruhe im Gazastreifen begrüßt und zugleich einen raschen und sicheren Zugang zur notleidenden Bevölkerung gefordert. Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, erklärte am Donnerstag in Freiburg, zwei Millionen Menschen im Gazastreifen seien dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. „Sie müssen nun so schnell wie möglich mit lebensnotwendigen Gütern versorgt werden“, sagte Leiter Oliver Müller.

Der lokale Caritas-Partner „Catholic Relief Services“ bereite sich seit Wochen auf eine mögliche Waffenruhe vor. „Unsere Warenhäuser in Jordanien und Ägypten sind voll, die Kolleginnen und Kollegen stehen bereit, die Hilfsgüter nach Gaza zu bringen.“ Der Hilfswerk-Chef warnte zugleich vor möglichen Gefahren bei der Verteilung der Hilfsgüter. „Die öffentliche Ordnung ist durch den Krieg zusammengebrochen. Damit es nicht zu Chaos und Plünderungen kommt, müssen sowohl die Hilfslieferungen als auch die Verteilung vor Ort sorgfältig koordiniert werden.“

Wichtig sei nun auch eine Gewichtung der Güter, die geliefert würden. Besonders dringend wird laut Caritas international Treibstoff gebraucht, damit Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen und vor allem Einrichtungen der Wasserversorgung, die über Notstromaggregate betrieben werden, wieder funktionsfähig würden. Doch auch Lebensmittel, Hygiene-Artikel, Trinkwasser, Zelte, Decken würden benötigt, um die humanitäre Katastrophe bekämpfen zu können.

Die Diakonie Katastrophenhilfe erklärte, die Waffenruhe dürfe keine kurze Atempause für die Menschen in Gaza und in Israel sein. „Es darf kein Zurück zur Gewalt geben“, sagte Leiter Martin Keßler. Um die Zivilbevölkerung in Gaza ausreichend versorgen zu können, brauche es einen uneingeschränkten Zugang von humanitären Helfern und robuste Sicherheitsgarantien. Erste Details über das Abkommen, das am Sonntag in Kraft treten soll, machten Hoffnung auf die Öffnung von Grenzübergängen und eine verstärkte Einfuhr dringend benötigter Güter in den kommenden Tagen.

Israelische Regierung unter Druck – Kritik an Geiseldeal

Währenddessen gibt es in rechtsgerichteten israelischen Regierungskreisen Unmut über das sich abzeichnende Abkommen. Die Partei „Religiöser Zionismus“ erwägt vor der für Donnerstag vorgesehenen Abstimmung einen Austritt aus der Regierungskoalition, wie Medien berichteten.

Parteichef und Finanzminister Bezalel Smotrich sieht in dem Abkommen, das unter anderem eine Freilassung israelischer Geiseln und palästinensischer Gefängnisinsassen vorsieht, eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Es werde „viel Blut kosten“ und müsse mit aller Kraft abgelehnt werden, kritisierte er.

Auch der Minister für nationale Sicherheit, der rechtsradikale Politiker Itamar Ben-Gvir von der Partei Jüdische Stärke, hatte sich zuletzt gegen das Abkommen ausgesprochen und einen Austritt aus der Regierung erwogen.

Kritik kam zudem vom „Tikwa-Forum“, das die Interessen von Geiselfamilien vertritt. Laut einem Bericht der „Times of Israel“ warnte es davor, dass durch die Vereinbarung „Dutzende von Entführten zurückgelassen werden und der Weg für das nächste Massaker und weitere Geiseln geebnet wird“.

KNA /dr

Hinweis zum Beitragsbild: Auf diesem Archivbild ist ein Demonstrationszug zu sehen, bei dem Angehörige und Freunde israelischer Geiseln von ihrer Regierung mehr Einsatz zur Freilassung von Entführten forderten.

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