ZdK warnt vor scharfer Migrationsdebatte im Wahlkampf
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Undifferenzierter Diskurs bemängelt

ZdK warnt vor scharfer Migrationsdebatte im Wahlkampf

Berlin  ‐ Mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf befürchtet das oberste Laiengremium der Katholiken in Deutschland, dass eine Spaltung in der Gesellschaft weiter zunimmt. Niemand dürfe zum Sündenbock gemacht werden.

Erstellt: 22.11.2024
Aktualisiert: 25.11.2024
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Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf vor einer zunehmenden Diskriminierung von Migranten gewarnt. Es sei etwa sachlich falsch und politisch nicht zielführend, Menschen mit Einwanderungsgeschichte für die existierenden, teils gravierenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt, in den Universitäten, Krankenhäusern und Arztpraxen verantwortlich zu machen, erklärte das höchste repräsentative Gremium des Laien-Katholizismus in Deutschland am Freitag in Berlin. Die Mitglieder verabschiedeten bei ihrer Vollversammlung einen entsprechenden Antrag.

„Wir verkennen nicht, dass Migration viele Kommunen vor große sozialpolitische Herausforderungen stellt“, heißt es in dem Antrag. Notwendig seien differenzierte und wirksame Konzepte im Umgang mit Erwerbsmigration, Fluchtmigration und Extremismusbekämpfung. Es sei unredlich, wenn Migration als Ursache für die Missstände vorgeschoben werde, anstatt in die soziale Infrastruktur zu investieren.

Eine Europäische Union, in der Geflüchtete kein Schutzgesuch mehr stellen könnten, wäre ein entsolidarisierter Ort. Wenn ein Leben in Frieden und Freiheit etwa durch Kriege, Vertreibung und terroristische Angriffe nicht mehr im angestammten Land möglich sei, hätten diese Menschen das Recht, zu fliehen und in geregelten Verfahren ihren Anspruch auf Schutz geltend zu machen.

Der auch verfassungsrechtlich verbriefte Schutzanspruch von Geflüchteten dürfe weder infrage gestellt noch ausgelagert werden. Fluchtmigration sei ein Symptom dafür, dass die Welt aufgrund von Kriegen und der dreifachen planetaren Krise – der Klimakrise, des Verlusts der biologischen Vielfalt und der Verschmutzung der Umwelt – vielerorts einen lebensgefährlichen Ort darstelle. Global massiv steigende Flüchtlingszahlen wiesen darauf hin, wie weit die Weltgemeinschaft von einer nachhaltigen, friedlichen und gerechten Erde entfernt sei, so das ZdK.

Immer wieder sei es in den vergangenen Jahren zu Fällen gekommen, in denen Straftäterinnen und Straftäter ein Asylgesuch gestellt hatten und dann auch hierzulande straffällig wurden. Zudem gebe es Asylsuchende, die sich in Deutschland radikalisierten und dann extremistisch motivierte Gewalttaten begingen. Abschiebungen dürften in einem Föderalstaat nicht an unklaren Zuständigkeiten und engen Fristen scheitern. Man wehre sich jedoch entschieden gegen eine Engführung, Migration und Kriminalität in einem Atemzug zu nennen und rassistische Vorurteile zu bedienen, so das Laiengremium. „Wir plädieren für differenzierte und wirksame Konzepte im Umgang mit Erwerbsmigration, Fluchtmigration und Extremismusbekämpfung.“

Migrationspolitische Leitplanken

Vor dem Hintergrund dieser Überzeugungen formuliert das ZdK migrationspolitische Leitplanken für das Bundestagswahljahr 2025.

(1) Fortschritte gibt es nur europäisch

Wesentliche Fortschritte, Migration menschenwürdig zu organisieren, sind aus unserer Sicht jenseits der Nationalgrenzen in einem vereinten Europa zu finden. Wir bekennen uns zum Schengen-
Raum als Errungenschaft der Europäischen Integration. Wir kritisieren, dass Deutschland diese untergräbt, indem es an allen Grenzen dauerhafte Grenzkontrollen durchführt. Es ist befremdlich, dass die Nachbarländer von der Einführung dieser Grenzkontrollen überrascht wurden. Nationale Alleingänge schaden dem europäischen Zusammenhalt. Die EU-Grundrechtecharta, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention sind und bleiben unverzichtbare rechtliche Anker für Schutzsuchende in der Europäischen Union. Wir sprechen uns dafür aus, den Zugang zu individuellem Flüchtlingsschutz in der EU zu gewährleisten.

(2) Europäische Asylrechtsreform menschenrechtskonform umsetzen

Die im Frühjahr 2024 beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hat in den Mitgliedstaaten der EU starke Reaktionen ausgelöst. Während die einen die damit erwiesene
Kompromissfähigkeit der EU hervorhoben, kritisierten die anderen die beschlossenen Verschärfungen als Teil einer Abschottungspolitik, die Scheinlösungen verspricht. In der Implementierungsphase mahnt das ZdK an, das neue System unter Achtung der universellen Menschenrechte einzuführen und in der Debatte darauf zu verzichten, die Spirale immer restriktiverer Forderungen weiterzudrehen. Das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem bedarf im Zuge der Einführung und in der Praxis eines stetigen Monitorings. Ein Ausbau der solidarischen Verteilung der Geflüchteten bleibt unverzichtbar, um die Verantwortung für die Schutzsuchenden gemeinsam wahrzunehmen, keinen Staat zu überfordern und das dysfunktionale Dublin-System schrittweise zu reformieren.

(3) Pushbacks an den Außengrenzen beenden

Wir kritisieren das unerträgliche Leid und das Sterben an den Außengrenzen der Europäischen Union. Was dort geschieht, widerspricht dem Prinzip der Nicht-Zurückweisung und den europäischen Werten. Diese Zustände ergeben sich aus einer Missachtung des Rechts und der Würde der betroffenen Menschen einerseits und einer unzureichenden bzw. ausbleibenden Sanktionierung der verantwortlichen Mitgliedstaaten andererseits. 

Migration kann nur dann verlässlich und menschenwürdig gestaltet werden, wenn der gesetzliche Rahmen eingehalten wird. Die EU-Kommission steht als Hüterin der Verträge in der Pflicht, die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der erzielten Kompromisse zu bewegen und notfalls Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Wir fordern, Unrecht zu verfolgen und zu sanktionieren, Recht konsequent durchzusetzen und die oftmals tödlichen Pushbacks zu beenden.

Um das Leid und das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, braucht es mehr legale und sichere Zugänge in die Europäische Union. Menschen, die Geflüchtete aus Seenot retten, dürfen nicht kriminalisiert werden.

(4) Keine Auslagerung: Migrationsabkommen nur auf Augenhöhe

Die Bestimmung von sogenannten sicheren Drittstaaten darf nur im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention vorgenommen werden. Wir plädieren dafür, dass auch künftig nur Personen auf
einen sicheren Drittstaat verwiesen werden sollen, die zu diesem Drittstaat eine wirkliche, beispielsweise familiäre, Verbindung haben. Eine Abschaffung dieses Verbindungselements lehnen wir ab.

Internationalen Migrationspartnerschaften, von denen alle beteiligten Staaten sowie die betroffenen Menschen profitieren, stehen wir offen gegenüber. Hinter den derzeit diskutierten Drittstaatenmodellen verbergen sich allerdings menschenunwürdige, intransparente, ineffektive und teure Ansätze. Sie dienen letztlich der Auslagerung von Asylverfahren, deren menschenrechtskonforme Durchführung die EU aber nicht kontrollieren kann. Das Scheitern des von der früheren britischen Regierung ersonnenen „Ruanda-Modells“ unterstreicht, wie groß die Fallhöhe und wie klein das Lösungspotenzial solcher Versprechen sind.

(5) Menschenwürde statt Segregation 

Einzelne politische Parteien gehen unverfroren mit Forderungen nach massenhafter Vertreibung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte auf Stimmenfang. Rechtsstaatlich durchgeführte Ausreisen von Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, gehören zur Asylpolitik. Die selbständige geförderte Ausreise ist der Abschiebung als Ultima Ratio vorzuziehen. Wir widersprechen
aber deutlich, wenn Abschiebungen zum Baustein schriller Forderungen und völkischer Umsiedlungsfantasien werden. Eine solche Unkultur der Segregation kann niemals christlich sein. Im parteipolitischen Wettbieten um die härtesten Lösungsvorschläge geraten die Menschen mit ihrer Würde und ihren Rechten aus dem Blick. Die oftmals simplifizierenden und nicht umsetzbaren Forderungen schüren hohe Erwartungen und konterkarieren die mühsame und vielschichtige migrationspolitische Wirklichkeit.

Zu einer menschenwürdigen Gesellschaft gehört für uns, dass Familien zusammenleben dürfen. Deshalb fordern wir weiterhin, die beliebig gesetzte Obergrenze für den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten abzuschaffen sowie nicht nur minderjährigen Kindern, sondern auch deren Geschwistern einen Nachzug zu ermöglichen. Wir setzen uns dafür ein, im Aufenthaltsgesetz einen
Rechtsanspruch auf Geschwisternachzug zu verankern. Um Hürden für den Geschwisternachzug und somit die gemeinsame legale Einreise von Eltern und Geschwistern zu senken, plädieren wir dafür, die minderjährigen Geschwister der als Flüchtling anerkannten minderjährigen Person oder subsidiär Schutzberechtigten als privilegiert nachzugsberechtigte Personen einzustufen. Wir fordern darüber hinaus eine einheitliche Regelung zur Bestimmung der Minderjährigkeit. Die Feststellung des Alters sollte grundsätzlich an den Zeitpunkt der Antragstellung geknüpft werden.

Arbeit schafft Teilhabe. Wir sprechen uns dafür aus, Beschäftigungsverbote abzuschaffen und Schutzsuchende dazu zu ermutigen, ihre Fähigkeiten auszubauen und in abgesicherten Arbeitsverhältnissen einzubringen. Dazu braucht es den Abbau von Bürokratie,um die Anerkennung ausländischer Ausbildungen zu vereinfachen. Betriebe, die Geflüchtete einstellen wollen, sollten dabei keine hohen Hürden nehmen müssen.

Gleichzeitig lehnen wir es ab, Menschen maßgeblich nach ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit zu bewerten und öffentlich „Rentabilitätserwartungen“ zu schüren, die enttäuscht werden können. Dadurch werden letztlich Vertrauen in politisches Handeln beschädigt und Ressentiments gegenüber Geflüchteten verstärkt. Der Schutz anerkannter Flüchtlinge ist in erster Linie eine humanitäre Verpflichtung.

(6) Soziale Infrastruktur als Basis gesellschaftlichen Zusammenhalts

Um die Gesellschaft zusammenzuhalten, gilt es, Chancen sowohl für die Aufgenommenen als auch für die Aufnehmenden zu vergrößern. Lösungsansätze werden seit Jahren von Wissenschaft und Zivilgesellschaft erarbeitet. Ein Beispiel dafür ist etwa der Umgang mit der Wohnsitzauflage: Die Entfristung der Wohnsitzauflage für Geflüchtete hat deren Integration gehemmt. Geflüchtete sollten stattdessen im Sinne eines Matchings mit ihren Bedürfnissen und Kompetenzen passend auf die Kommunen und die dortigen unterschiedlichen Lebensbedingungen und Arbeitsperspektiven verteilt werden. Es sind die Kommunen, welche die lokalen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Geflüchteten und die aufnehmende Gesellschaft gut zusammenleben können. Regelmäßige Konsultationen zwischen der kommunalen Ebene und dem Bundesministerium des Innern und für Heimat können dazu beitragen, die lokalen Perspektiven und Bedarfe kontinuierlich bundespolitisch zu berücksichtigen. Es braucht erhebliche Investitionen in Unterbringungskapazitäten, in die Asylverfahrensberatung sowie in Integrationskurse, sondern auch grundsätzlich in den Wohnungsbau, in Kindertagesstätten und Bildungseinrichtungen. Davon profitieren wir alle. Bund, Länder und Kommunen müssen sich auf ein Finanzierungsmodell verständigen, das den Realitäten und Bedarfen dauerhaft gerecht wird. Wir wollen mehr Zusammenhalt in der deutschen Einwanderungsgesellschaft.

KNA/ZdK

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