„Wir haben ein ‚heiliges Problem‘“
Helsinki/Paderborn ‐ Im dünn besiedelten Finnland leben die Katholiken sehr verstreut. Im Interview spricht Raimo Goyarrola, Bischof von Helsinki, über die Herausforderungen in Finnland, die dortige Ökumene – und den Glauben in schwierigen Zeiten.
Aktualisiert: 04.11.2024
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Frage: Im November 2023 wurden Sie zum Bischof von Helsinki geweiht. Was waren und sind für Sie die größten Herausforderungen als Bischof?
Goyarrola: Finnland ist ein großes Land, und im ganzen Land gibt es nur acht Gemeinden. Um Gläubige zu treffen, muss ich – wie all unsere Priester – weite Strecken zurücklegen. Im Winter kann das Wetter äußerst herausfordernd sein. Doch halte ich es für sehr wichtig, dass der Hirte dort ist, wo auch seine Schafe sind! Dafür brauchen wir mehr Priester, mehr Kirchen, eigentlich mehr von allem, denn die katholische Kirche in Finnland wächst. Ich wiederhole gerne diesen Satz: Wir haben ein „heiliges Problem“. Unsere Kirchen sind sonntags überfüllt.
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Frage: Was sind die Schwerpunkte der pastoralen Arbeit im Bistum Helsinki?
Goyarrola: Katholiken leben in Finnland weit voneinander entfernt und oft auch weit von ihrer eigenen Gemeinde. Wir können nicht erwarten, dass sich die Kirchen an gewöhnlichen Wochentagen füllen. Deshalb betone ich, dass die Hirten zu ihren Schafen (oder Rentieren) gehen müssen, dorthin, wo die Menschen sind. Es ist auch klar, dass sich die Arbeit der Kirche in einer solchen Situation auf das Wesentliche konzentrieren muss: Darauf, dass die Menschen zur Messe kommen können, die Möglichkeit zur Beichte besteht, Zeit für Taufen und Ehevorbereitung eingeräumt wird. Es muss immer auch Zeit geben, die Kranken und Sterbenden zu besuchen. Wir dürfen diese grundlegenden Aufgaben nicht vernachlässigen! Es ist offensichtlich, dass wir in all dem die Hilfe von freiwilligen Laien brauchen. Ihr Einsatz ist unersetzlich, in vielen Aufgaben, in Räten, in der Katechese, in der Liturgie. Die meisten Projekte werden von Laien geleitet, und so soll es auch sein. Sie haben das Fachwissen und – glücklicherweise – viel Willen, der Kirche zu helfen. Auf diese Weise können sich die Priester besser auf ihre eigenen wesentlichen Aufgaben konzentrieren.
Frage: Im September hat die katholische Kirche in Finnland eine große ökumenische Prozession durch Helsinki gehalten. Ein Sinnbild für die gute Zusammenarbeit der Kirchen?
Goyarrola: In Finnland hat die Ökumene eine lange und sehr gute Tradition. Unsere Kirche war wohl die erste katholische Ortskirche weltweit, die Vollmitglied im nationalen ökumenischen Rat wurde. Da wir so wenige eigene Räumlichkeiten haben, brauchen wir die Hilfe unserer Brüder und Schwestern, um Messen zu feiern und Gläubige an verschiedenen Orten zu treffen. Regelmäßig werden Messen in etwa 25 lutherischen oder orthodoxen Kirchen gefeiert.
Im September haben wir zusammen mit den Orthodoxen eine gemeinsame Prozession im Zentrum von Helsinki organisiert, um den uns so geliebten Geburtstag der Jungfrau Maria zu feiern. Die Prozession begann in der orthodoxen Kathedrale und endete in unserer eigenen St.-Heinrich-Kathedrale. Etwa 400 Christen nahmen betend und singend an dieser Veranstaltung teil. Die Teilnehmer empfanden eine große Gemeinschaft und religiöse Nähe. In gewisser Weise überrascht mich das nicht – die Nähe zu den Orthodoxen ist sehr real, und wir freuen uns sehr darüber. Die Prozession war wirklich ein Beispiel für gute, praktische Ökumene.
„Wir haben ein „heiliges Problem“. Unsere Kirchen sind sonntags überfüllt.“
Frage: Das Bonifatiuswerk unterstützt seit 50 Jahren Projekte im Bistum Helsinki. Wie wichtig ist diese Hilfe für die Katholikinnen und Katholiken vor Ort?
Goyarrola: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie unsere kleine Kirche damals ohne die Unterstützung unserer deutschen Wohltäter hätte überleben können. Und das gilt auch heute noch. Ich bin mir nicht sicher, ob viele Bauprojekte oder andere Pläne ohne die Hilfe, die über das Bonifatiuswerk geleitet wird, hätten umgesetzt werden können. Obwohl wir eine kleine Kirche in einem reichen westlichen Land sind, sind wir dennoch kein typischer Querschnitt der finnischen Gesellschaft. Die Mehrheit unserer Mitglieder stammt aus über hundert verschiedenen Ländern. Viele sind Geflüchtete, einkommensschwach oder arm. Dennoch wollen sie ihre Kirche unterstützen. Für größere Projekte reicht das jedoch nicht immer aus. Deshalb schätzen wir die Hilfe des Bonifatiuswerkes und des Diaspora-Kommissariats so sehr.
Frage: Das Leitwort der diesjährigen Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerkes lautet „Erzähle, worauf du vertraust.“ Wie kann der Glaube die Menschen durch schwierige Zeiten begleiten?
Goyarrola: Der Glaube variiert natürlich von Mensch zu Mensch, von Zeit zu Zeit und von Situation zu Situation. Doch die Erfahrung zeigt, dass gerade in schwierigen Zeiten der Glaube uns oft über Wasser hält, uns vor völliger Verzweiflung bewahrt. Vielleicht gibt der Glaube uns tief in unserem Inneren den Funken der Hoffnung, das Vertrauen, dass wir dies überstehen werden, dass Gott uns niemals allein lässt. Vielleicht erweitert der Glaube auch unseren Horizont: Unser Blick richtet sich nicht mehr nur auf das Problem, sondern wir können Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen, in einem Zusammenhang, in dem es auch positive Aspekte gibt, Quellen der Freude, Bausteine für die Zukunft.
Frage: Worauf vertrauen Sie persönlich?
Goyarrola: Für mich ist das Kreuz Christi eine große Quelle der Freude und Hoffnung. Warum sollten wir traurig sein in dieser schönen Welt, die Gott uns geschenkt hat? Das Leben ist ein Geschenk, wir müssen es nur im Lichte von Gottes Liebe sehen und Gott etwas zurückgeben: unsere Liebe zu ihm und all seinen Gaben, zu jedem Mitmenschen. Deshalb lautet mein bischöfliches Motto: „Dient dem Herrn mit Freude“ (Servite Domino in laetitia).
Frage: Das Bonifatiuswerk ermöglicht mit dem „Praktikum im Norden“, einem Internationalen Jugendfreiwilligendienst, die Diasporakirche Nordeuropas und des Baltikums kennenzulernen. Zwei junge Frauen sind zum Beispiel im Gästehaus der Birgittaschwestern sowie in der Gemeinde im finnischen Turku. Und eine finnische Income-Freiwillige arbeitet im Bonifatiuswerk in Paderborn. Wie profitieren Beteiligte von diesen Programmen?
Goyarrola: Ebenso wie bei der Zusammenarbeit mit den Orthodoxen oder generell mit anderen Christen geht es dabei um Begegnung und darum, voneinander zu lernen. In Turku hat man sich viele Jahre lang über die Hilfe von jungen Deutschen gefreut, und durch sie haben wir Einblicke in eine andere nationale und kirchliche Kultur erhalten. Hoffentlich kann jetzt auch unsere finnische „Botschafterin“ durch ihr Vorbild und das Erzählen von Finnland dazu beitragen, Wissen und Verständnis in Deutschland zu fördern. Es ist schön, dass wir nicht immer nur Empfänger sind, sondern endlich auch etwas zurückgeben können. So funktioniert und lebt die Kirche. Gerade darin sehen wir die Kraft der katholischen Kirche. Dank sei Gott.
Bonifatiuswerk