Luftbild Tblisi/Tiflis, Hauptstadt von Georgien
Renovabis-Chef: Proteste erinnern an Maidan

Georgiens Gesetz gegen ausländischen Einfluss sorgt für Kritik

Tblissi/Freising ‐ Das georgische Parlament billigt ein Gesetz zur rigiden Kontrolle bestimmter Nichtregierungsorganisationen. Auch die katholische Kirche ist betroffen. Vereinte Nationen, EU und Bundesregierung sind besorgt.

Erstellt: 15.05.2024
Aktualisiert: 23.05.2024
Lesedauer: 

Ungeachtet wochenlanger Proteste hat das EU-Bewerberland Georgien ein Gesetz für „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ beschlossen. Das Parlament in der Hauptstadt Tiflis verabschiedete es am Dienstag in letzter Lesung auf Betreiben der Regierungspartei Georgischer Traum mit 84 Ja-Stimmen bei 30 Gegenstimmen. Vertreter der Vereinten Nationen, der EU und der Bundesregierung kritisierten das Votum, das sich gegen die Zivilgesellschaft richte.

Ein Handgemenge überschattete die emotionale Debatte im Parlament vor der Abstimmung. Das angenommene Gesetz verpflichtet Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Gelder aus dem Ausland bekommen, sich als Vertreter „ausländischer Interessen“ zu registrieren. Die Opposition, die EU und die USA befürchten eine Stigmatisierung und staatliche Unterdrückung pro-westlicher Kräfte in der Südkaukasus-Republik, die vielfach finanzielle Unterstützung aus anderen Ländern erhalten.

Seit Wochen gingen in Tiflis fast jeden Tag Tausende Menschen gegen das Gesetz auf die Straße und kritisierten es als „russisch“. Denn es ziele - ähnlich wie das Ausländische-Agenten-Gesetz im Nachbarland Russland - auf zivilgesellschaftliche Initiativen. Am Samstag protestierten in der Hauptstadt laut Schätzungen mehr als 150.000 Georgierinnen und Georgier.

Kaukasus. Georgien, Armenien, Aserbaischan.
Bild: © Peter Hermes Furian/stock.adobe.com

Die Vertretung der Vereinten Nationen in Georgien bedauerte auf der Online-Plattform X die Verabschiedung des Gesetzes, „das eine Bedrohung für die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit darstellt und die Arbeit der Zivilgesellschaft und der Medien als Grundpfeiler der georgischen Demokratie behindern könnte“. Ähnlich äußerte sich die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, erklärte: „Tiflis, wir hören dich! Wir sehen euch! Die Georgier auf den Straßen träumen von Europa.“ Das Europäische Parlament stehe an der Seite der Menschen in Georgien, versicherte Metsola.

Der Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem südlichen Kaukasus, Robin Wagener (Grüne), nannte das Parlamentsvotum einen fundamentalen Fehler. Das Gesetz richte sich gegen Georgiens Weg in die EU. Die Regierung in Tiflis habe nicht nur ihr Versprechen von 2023 gebrochen, das Gesetz nicht zu verabschieden, „sondern auch den Willen der großen Mehrheit der georgischen Bevölkerung, die ihr Land als EU-Mitgliedstaat sehen möchte, völlig ignoriert“.

Die EU hatte Georgien im Dezember den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt. Die pro-europäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili kündigte bereits vor Tagen ihr Veto gegen das Gesetz an. Die Regierungspartei verfügt aber über genügend Abgeordnete, um es zu überstimmen. Surabischwili verurteilte am Sonntag das Vorgehen des Georgischen Traums sowie Polizeigewalt gegen Demonstranten als ebenso „russisch“ wie den Gesetzentwurf.

Renovabis: Georgien am Scheideweg

Der georgisch-orthodoxe Patriarch Ilia II. rief das Land zu Gebeten, Frieden und Einheit auf. „Derzeit befindet sich unser Land in einer der schwierigsten Phasen seiner Entwicklung“, sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntag. „Wir alle wollen Frieden; aber es fällt uns oft schwer, ihn zu erreichen, weil wir uns nicht richtig verhalten.“ Das Patriarchat betonte, es sei falsch, Ilias Worte politisch zu interpretieren. Kritiker werfen der Kirche in dem mehrheitlich orthodoxen Land vor, aufseiten der Regierung zu stehen.

Das katholische Osteuropahilfswerk Renovabis sieht den EU-Beitrittskandidaten Georgien am Scheideweg. Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz bekundete am Montag in Freising Sympathie für die Demonstrierenden in der georgischen Hauptstadt Tiflis (Tbilissi). „Diese Sehnsucht nach Europa erinnert mich an den Maidan in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw vor zehn Jahren“, sagte Schwartz.

Zugleich äußerte er die Sorge, dass der Streit um das geplante „Gesetz zur Verhinderung ausländischer Einflussnahme“ in Gewalt in dem Kaukasus-Land umschlagen könnte. Dabei verwies er auch auf russische Truppen in den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien.

Der Renovabis-Chef sagte, die Demonstrationen zeigten deutlich, dass sich das georgische Volk den Weg in die Europäische Union nicht von der eigenen Regierung verbauen lassen wolle. Viele Menschen durchschauten das Gesetzvorhaben. Sie betrachteten es als Kontrollinstrument, um die Zivilgesellschaft zu schwächen.

Eine Gefahr bestehe auch für die Arbeit von Renovabis, fügte Schwartz hinzu. „Die katholische Kirche in Georgien ist eine kleine Minderheit und kann ohne Unterstützung aus dem Ausland nicht überleben.“

Caritas Georgien kritisiert Gesetz gegen ausländischen Einfluss

Der umstrittene Beschluss eines Gesetzes für „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ in Georgien hat auch bei der Caritas in dem Land für Kritik gesorgt. „Im Moment machen wir uns am meisten Gedanken über eine Stigmatisierung unserer Arbeit in der Bevölkerung“, sagte die Direktorin der Caritas Georgien, Anahit Mkhoyan, im Interview des kirchlichen Kölner Internetportals domradio.de (Samstag). „Der Beschluss wird als ‘Ausländische-Agenten-Gesetz’ bezeichnet. Hier geht es nicht um Agenten, sondern um finanzielle Hilfen aus dem Ausland. Hilfen, die den Bürgern unseres Landes zugutekommen.“

Seit 30 Jahren arbeite die georgische Caritas mit ausländischen Partnern zusammen. „Das gesamte internationale Caritas-Netzwerk hat das Ziel, die Schwächsten in der Gesellschaft zu unterstützen. Diese Hilfen als Arbeit ‘ausländischer Agenten’ zu bezeichnen, ist eine ziemliche Beleidigung“, sagte Mkhoyan. Für die Caritas spiele die Zusammenarbeit mit örtlichen Partnern eine sehr große Rolle. „Wenn wir die Möglichkeit hätten, unser gesamtes Budget innerhalb des Landes aufzubringen, würden wir das sofort tun. Die Realität sieht nun aber anders aus.“

Dass das Gesetz im EU-Bewerberland Georgien beschlossen wurde, sei problematisch für ein Land, das sich als Demokratie verstehen wolle, gab Mkhoyan zu bedenken. „Unsere größte Sorge im Moment ist nicht das Gesetz an sich, sondern die Art und Weise, wie es angewendet werden soll. Im eigentlichen Gesetzestext ist das alles noch sehr vage.“ Caritas Georgien erwarte wegen des Gesetzes vor allem mehr Aufwand im Verwaltungsbereich – „Papierkram“.

Von Oliver Hinz (KNA)

21:05.2023: Caritas Georgien hinzugefügt

Mehr zum Thema