Drei Religionen unter einem Dach
Haifa/Tiflis ‐ In Tiflis entsteht eine interreligiöse „Friedenskathedrale“. Treibende Kraft auf jüdischer Seite ist der Reformrabbiner Golan Ben-Chorin aus Haifa. Er wirbt für ein „Feiern der Unterschiede“.
Aktualisiert: 24.03.2023
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Golan Ben-Chorin mag keine Wände. „Sie schaffen Barrieren und halten Menschen fern“, sagt der Rabbiner aus Haifa. Manchmal aber reißen neue Konstruktionen Mauern in den Köpfen ein. Dann steht Ben-Chorin in der ersten Reihe. Wie bei der „Friedenskathedrale“ in der georgischen Hauptstadt Tiflis.
Das Partnerprojekt des Berliner interreligiösen „House of One“, dessen Botschafter Ben-Chorin ist, soll Juden, Christen und Muslimen in dem multireligiösen Land ein gemeinsames Dach „ganz ohne versteckte Agenda“ bieten. Ende Mai, zum jüdischen Wochenfest Schawuot und dem christlichen Pfingstfest werden eine Friedensmoschee und eine Friedenssynagoge eingeweiht, die mit der baptistischen Kirche den Komplex der „Friedenskathedrale“ bilden.
Golan Ben-Chorin ist israelischer Reformrabbiner in dritter Generation. „Opa Schalom“ reichte, wie er es formuliert, in den 50er Jahren als Pionier der deutschen Gesellschaft die Hand, indem er den Jugendaustausch mit Israel vorantrieb. Vater Tovia, der vor einem Jahr starb, war ebenfalls ein wichtiger Vertreter des Reformjudentums. Er wirkte als jüdischer Akteur bei der Gründung des „House of One“. Mutter Adina hielt unterdessen die Türen für alle Glaubensrichtungen und Konfessionen offen, während sie zugleich die tiefe Verwurzelung der Familie im Judentum bewahrte. Dialog und Engagement, ob innerhalb oder zwischen den Religionen, waren Sohn Golan also in die Wiege gelegt.
Raum zum voneinander Lernen
Ben-Chorins Partner in Tiflis heißt Malkhaz Songhulashvili. Früher war der gebürtige Georgier Erzbischof der baptistischen Kirche in Georgien, bis er 2013 wegen seiner Unterstützung für Homo-, Bi- und Transsexuelle sowie marginalisierte muslimische Gemeinschaften zurücktreten musste. Fortan zum Bischof von Tiflis degradiert, hat er seine Kirche weit geöffnet: für Arme, Flüchtlinge, sexuelle Minderheiten. Bischof Malkhaz blieb auch dann nicht still, als in Georgien Fälle von Islamophobie und Antisemitismus zunahmen. Seine Antwort: eine Friedensmoschee und eine Friedenssynagoge - unter einem gemeinsamen Dach mit der Kirche.
Die Idee der „Friedenskathedrale“ war geboren, ein „Ausdruck der Schönheit gegen die Hässlichkeit des Hasses“, so der Geistliche. Ein einladender Raum zum gemeinsamen Lernen voneinander – mit ein paar überraschenden Regeln. Um die interreligiöse Interaktion zu fördern, durften Mitglieder einer Religionsgemeinschaft nicht für ihr eigenes Gotteshaus spenden, Juden nicht für die Synagoge, Muslime nicht für die Moschee. Und so kam es, dass die israelische Botschaft in Georgien für die „Friedenskathedrale“ und ihre Moschee spendete. Die Wiederverwendung von altem Baumaterial, etwa Steine aus verschiedenen Dörfern, ist für Bischof Malkhaz Teil einer Theologie des Raums. Er solle unfertig aussehen – so wie „die Arbeit der Liebe und des Friedens nie endet und von jeder Generation ihren Beitrag fordert“.
Nächstes Projekt bereits in Planung
Für den Rabbiner aus Haifa verfolgt die „Friedenskathedrale“ wie auch andere Partnerprojekte des „House of One“ einen Ansatz, der sie von anderen interreligiösen Vorhaben unterscheidet: „Viele im interreligiösen Dialog suchen nach dem gemeinsamen Nenner. Ich feiere die Unterschiede.“ Nach dem Finden einer gemeinsamen Basis, die für das Vertrauen entscheidend sei, gehe es darum, eine gemeinsame Sprache zu finden für eine „Einheit jenseits der Uniformität“.
Pluralismus sei der „Wert im Herzen meiner Arbeit“, Judentum seine Sprache, sagt Ben-Chorin. „Ich habe mich so vielen Systemen ausgesetzt wie möglich und dabei gelernt, dass Judentum meine Wahrheit ist.“ Dies sei nicht die einzige Wahrheit für alle. Aber ohne eigene Wahrheit könne er kein Pluralist sein. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in seinem Werdegang wider: Ordiniert in der israelischen reformjüdischen Bewegung, machte er sein Doktorat in Bildungsphilosophie an einer konservativen US-Universität und arbeitete mit betont progressiven Synagogen zusammen.
Für Israel plant Ben-Chorin einen weiteren physischen Raum der interreligiösen Begegnung. „Garden of One“ heißt das Projekt des Rabbiners in seiner Heimatstadt Haifa – ein Garten ganz ohne Mauern, dafür mit abstrakten symbolischen Darstellungen der verschiedenen Religionen: Bahai, Drusen, Muslime, Christen und Juden. Zudem soll es einen sechsten Bereich geben, der die Menschheit als Ganzes repräsentiert – ein „Raum der spirituellen Erhebung ohne Einschränkungen“. Ein Granatapfelbaum im Garten der „Friedenskathedrale“ steht seit einigen Monaten symbolisch für die Verbindung zwischen Haifa und Tiflis.
KNA