Luftbild Tblisi/Tiflis, Hauptstadt von Georgien
Überraschung aus Moskau vor georgischer Parlamentswahl

Macht Russland Georgien ein Versöhnungsangebot?

Russland unternimmt einen Vorstoß, um zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zu vermitteln. Die Regierung in Tiflis reagiert erfreut, doch Kritiker wittern ein vergiftetes Angebot.

Erstellt: 22.10.2024
Aktualisiert: 22.10.2024
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Von Bernhard Clasen (KNA)

Mitten in den georgischen Parlamentswahlkampf vor dem Urnengang am 26. Oktober platzt ein überraschendes Angebot aus Moskau: Demnach will Russland die verfeindeten Republiken Südossetien, Abchasien und Georgien miteinander versöhnen. Konflikte, die in den vergangenen Jahrzehnten Tausende Tote forderten, sollen so beigelegt werden.

Mit dem Vorschlag, den der russische Außenminister Sergej Lawrow am Rande der jüngsten UN-Generalversammlung unterbreitete, traf Moskau einen wunden Punkt in Georgiens Gesellschaft: Dort gibt es kaum eine Familie, die in den Kriegen gegen die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien keinen Angehörigen verloren hat. Beide Gebiete stehen unter russischem Schutz.

Die georgische Regierung reagiert daher erfreut auf das Angebot. „Dass Russland eine Versöhnung begrüßt und selbst dazu beitragen will, ist sicherlich positiv. Ich würde aber sagen, dass es nach diesen Erklärungen gut wäre, jetzt auch effektive Schritte zu unternehmen“, sagt etwa der Bürgermeister von Tiflis, Kacha Kaladse. Er ist zugleich Generalsekretär der Regierungspartei „Georgischer Traum“.

Kritisch reagiert indes Paata Zakareishvili. Der Politiker ist seit Jahrzehnten in der Dialog- und Versöhnungsarbeit mit Abchasen und Südosseten engagiert. Während des Georgisch-Abchasischen Krieges (1992-1993) war er im Auftrag der georgischen Regierung für den Gefangenenaustausch und Evakuierungen verantwortlich. Danach organisierte er regelmäßige Kontakte und Seminare zwischen Georgiern, Abchasen und Südosseten auf neutralem Boden. Als Minister für Versöhnung und Gleichberechtigung (2012-2016) koordinierte er die Verbindungen der georgischen Regierung zu den seit den frühen 90er Jahren de facto unabhängigen Regionen.

Russland hält mehrere Gebiete besetzt

Noch nie sei die Wahrscheinlichkeit einer Wahlniederlage der Regierungspartei „Georgischer Traum“ so hoch gewesen wie diesmal, sagt Zakareishvili gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das Versöhnungsangebot sei in erster Linie ein Geschenk für die schwächelnde Partei, die sich mehr an Moskau als an Brüssel orientiere. Erst nach den Wahlen werde sich zeigen, ob Moskau langfristig an einer Versöhnung interessiert sei. Solange Russland Truppen in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien stationiert halte, könne es nicht neutral vermitteln.

Zakareishvili missfällt überdies, dass der russische Außenminister Georgien, Abchasien und Südossetien ausdrücklich als „Staaten“ bezeichnete. „Abchasien und Südossetien sind aber keine anerkannten Staaten. Nur Venezuela, Syrien, Nauru und Nicaragua haben diese Entitäten anerkannt“, so der Einwand. „Sollte Georgien dieses Angebot annehmen, würde es auch die russische Annexion dieser Gebiete akzeptieren.“

Moskau sei als Vermittler ohnehin nicht überzeugend, gibt der Ex-Minister zu bedenken und verweist auf das aggressive Agieren im postsowjetischen Raum. Die Kriege in Tschetschenien, Berg-Karabach, der Ukraine und auf georgischem Gebiet hätten gezeigt, dass Russlands Einmischung destabilisierend wirke. Die Europäische Union hingegen habe bisher noch keinen einzigen Krieg zwischen ihren Mitgliedstaaten erlebt. Gerade deshalb würde eine EU-Mitgliedschaft stabilisierend auf Georgien wirken, meint Zakareishvili. Voraussetzung sei die Zusage der georgischen Regierung, die Konflikte mit Abchasien und Südossetien gewaltfrei zu lösen.

„Ich habe die Hoffnung, dass wir eine Aussöhnung mit der abchasischen und südossetischen Seite erreichen“, so Zakareishvili. Und zwar ohne Moskau. Dies werde dadurch erleichtert, dass Abchasen und Osseten keine Slawen seien - und daher keine engen kulturellen oder sprachlichen Verbindungen zu Russland hätten. Die Wahl am 26. Oktober ist laut dem früheren Regierungsmitglied eine Richtungsentscheidung: Letztlich gehe es darum, ob sich Georgien in Zukunft der EU oder Russland zuwende.

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