Dr. Klemens Büscher, Ukraine-Referent, Anne Wunden, Geschäftsführerin, Dr. Volodymyr Vijtyshyn, Erzbischof Erzdiözese Ivano-Frankivsk, P. Bingener, Präsident, Dr. Michael Klapkiv, Bischofsvikar Ivano-Frankivsk
Besuch in Aachen

Ukrainischer Erzbischof: Wollen Frieden – ohne Freiheit zu opfern

Aachen ‐ Der Krieg verursacht große Wunden, insbesondere bei Kindern. Bei einem Gespräch mit dem Kindermissionswerk in Aachen haben ukrainische Sternsinger-Partner über das Leid der Menschen im Krieg berichtet. Dabei ging es auch um den Bedarf an Nothilfe.

Erstellt: 19.04.2024
Aktualisiert: 19.04.2024
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Bei ihrem Besuch im Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ in Aachen haben Dr. Volodymyr Vijtyshyn, Erzbischof der Erzdiözese Ivano-Frankivsk, und Dr. Michael Klapkiv, Bischofsvikar der Erzdiözese, über die Situation der Kinder in der Ukraine und ihre Arbeit vor Ort berichtet. Der Sternsinger-Partner im Westen der Ukraine leistet mit Unterstützung des Kindermissionswerks Hilfen für vom Krieg betroffene Mädchen und Jungen und deren Familien. „Unser Motto ist: ‚Die Wunden des Krieges heilen‘. Das wird ein langer Prozess, auch wenn der Krieg vorbei ist. Wir müssen gemeinsam die harten Zeiten für unser Land, für unser Volk überstehen“, sagte Erzbischof Vijtyshyn und betonte: „Wir Ukrainer wollen Frieden, aber wir wollen auch nicht unsere Freiheit opfern und in einer Diktatur leben müssen. Wir müssen tapfer sein, zusammenhalten und für unsere Freiheit kämpfen. Wir teilen die demokratischen Werte Europas und wollen ein Teil dessen sein. Wir kämpfen auch für die Freiheit Europas.“ 

Stimme einer Mutter aus Cherson

„Das Leben vor der Invasion in unserer Heimatstadt war sehr ruhig und stabil. Erwachsene arbeiteten, Kinder gingen zur Schule und in die Kindergärten. Viele hatten Pläne für die Zukunft, doch von einem auf den anderen Moment wurde das Leben zur Hölle. Unsere Familie war bis zur Befreiung unserer Stadt Cherson die ganze Zeit unter russischer Besatzung.

Nachts, während die russischen Soldaten durch die Stadt patrouillierten, fuhren die Eindringlinge oft entlang unserer Hauptstraße. Die Kinder hatten große Angst. Die Besatzer schossen in die Häuser der Menschen und flößten ihnen Angst ein. Dieser Horror wird allen noch lange in Erinnerung bleiben. (...) Aber wir sind nicht zusammengebrochen, wir haben weitergelebt.

Nachdem die ukrainische Armee uns von den Besatzern befreit hatte, begannen die Ukrainer frei zu atmen. Bis die Russen im Rahmen der Provokation anfingen, uns zu beschießen. Das Leben wurde unerträglich. Um die Kinder zu retten, musste ich Cherson mit dem Evakuierungszug verlassen.

Meine Verwandten, die die Stadt vor langer Zeit verlassen hatten, kamen durch ihre Bekannten an einen guten Ort in Ivano-Frankivsk. Nachdem wir von diesem Ort erfahren hatten, machten wir uns ohne zu zögern auf den Weg und retteten so das Leben unserer Kinder. Dieser Ort liegt im Gebirge und ist sehr ruhig und vor allem sicher. Großer Respekt und Dank an alle, die uns helfen.“

Nach eigenen Angaben hat das Kindermissionswerk allein die Erzdiözese Ivano-Frankivsk seit Kriegsausbruch mit insgesamt rund 720.000 Euro unterstützt. Aktuell fördert das Sternsinger-Hilfswerk dort eine Kinderambulanz sowie die Unterbringung und Versorgung von Binnenflüchtlingen in einem Jugendzentrum im Karpatengebirge. „Unsere Region ist vom Krieg verschont und wir sind ein sicherer Hafen für Tausende von Binnenflüchtlingen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass diese Flüchtlinge bei uns bleiben, damit unser Land eine Zukunft hat. Es wäre eine Katastrophe, wenn alle Menschen das Land verlassen würden“, machte Bischofsvikar Klapkiv deutlich.

Mehr als 3,9 Millionen Euro für Nothilfen

Das Kindermissionswerk arbeitet mit rund 25 Partnerorganisationen in der gesamten Ukraine zusammen. In verschiedenen Landesteilen leisten Sternsinger-Partner Nothilfe. Seit Ausbruch des Krieges hat das Kindermissionswerk mehr als 3,9 Millionen Euro für Nothilfen bereitgestellt. Mehr als 80 Nothilfe-Anträge wurden seitdem bewilligt. Dr. Klemens Büscher, Ukraine-Länderreferent im Kindermissionswerk, betonte: „Viele ukrainische Mädchen und Jungen leben seit mehr als zwei Jahren in ständiger Angst. Einige haben bereits Elternteile im Krieg verloren oder wissen nicht, ob sie den Vater, der als Soldat an der Front kämpft, jemals lebend wiedersehen. Viele sind von den Kriegserlebnissen traumatisiert.“ Daher seien die psychologische Betreuung, die Trauma-Bewältigung und Rehabilitations-Programme ein wichtiger Teil der Hilfen des Kindermissionswerks.   

Stimme einer Mutter aus Chervone (Region Saporischschja)

„Am 5. März 2022 drangen russische Truppen in das Dorf ein. Russische Panzer wurden in der Nähe des Clubs, der Kirche und der Schule aufgestellt. Sie ließen sich in den leeren Häusern von Menschen nieder. Sie gingen zu Häusern und nahmen Telefone, Laptops und Computer mit. Wir durften das Haus morgens zwischen sechs und neun Uhr verlassen.

Wir haben Kinder versteckt, weil sie Mädchen vergewaltigt haben. Seit dem 1. März 2022 gab es kein Licht, kein Wasser, keine Nahrung. Alles drumherum war vermint. Bauernhöfe wurden zerstört und die Tiere durchstreiften das Land: Pferde, Schweine, Kühe, Schafe. Wir lebten unter ständigem Beschuss, Fenster und Türen wurden gesprengt.

Wir alle (neun Personen) versammelten uns in einem Haus und versuchten zu überleben. Am 25. März haben unsere Soldaten die Russen aus dem Dorf geworfen. Am 26. März haben sie unsere Straßen entmint und uns Zeit gegeben, uns zu versammeln. Danach fuhren wir mit 13 Personen in einem Auto los. Wir hatten fünf Kinder bei uns. Unser Haus ist weg, das Dorf ist weg, alles ist weg.“

Im Februar 2022 startete der russische Präsident Wladimir Putin mit einem Angriff auf den bis dahin nicht russisch besetzten Teil der Ukraine den anhaltenden Krieg gegen das Nachbarland. Immer wieder werden dabei auch zivile Ziele ins Visier genommen. Die Ukraine wehrt sich und versucht, die russisch besetzten Gebiete zurück zu erobern.

Hilfswerk

Kindermissionswerk „Die Sternsinger“

Das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ ist das Kinderhilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland mit Sitz in Aachen. Seit 1959 organisiert es in Deutschland die „Aktion Dreikönigssingen“, seit 1961 zusammen mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).

Kinder helfen Kindern ...
Wir schlagen eine Brücke von Deutschland nach Asien, Ozeanien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa. Die Brücke heißt „Kinder helfen Kindern“. Sie ist keine Einbahnstraße: Kinder hierzulande helfen mit vielfältigen Aktionen und ermöglichen dadurch dringende Kinder-Hilfsprojekte.

Gezielt und wirkungsvoll ...
Im Blick haben wir besonders Kinder in Not: Waisenkinder, Kinder mit Behinderungen, Kinder von Indigenen, Kinder in Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern, Straßenkinder, HIV-Infizierte und aidskranke Kinder, Opfer von Naturkatastrophen. Unsere Hilfsaktionen und Projekte verstärken die Eigeninitiative vor Ort und zielen darauf, „dass Kinder heute und morgen leben können“.

Partnerschaftliche Hilfe
Unsere Partner in Übersee sind vor allem die Ortskirchen in Asien, Ozeanien und Lateinamerika. Hier in Deutschland initiieren, begleiten und bündeln wir die vielen Aktivitäten von Gruppen, Schulen und Gemeinden. Wir vermitteln dazu gerne Projekte und leiten die Spenden zügig und unbürokratisch weiter. Gemeinsam mit Fachleuten aus den anderen katholischen Hilfswerken, verantworten wir die wirksame und gerechte Verteilung der Sternsingergaben.

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