Bosnien und Herzegowina
Experte zur Lage in Südosteuropa

Friede auf dem Balkan erneut in Gefahr?

Sarajevo/Wien  ‐ Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina, wirbt ziemlich unverhohlen für eine staatliche Vereinigung aller Serben. Experten sehen in einer solchen Agenda eine tickende Zeitbombe.

Erstellt: 07.11.2023
Aktualisiert: 25.07.2024
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Selten sorgt für Schlagzeilen, wenn eine Regierungs-Website eine neue Adresse erhält. Anders auf dem Balkan. Dort sind die Behörden des überwiegend serbisch bevölkerten Teils von Bosnien und Herzegowina seit Anfang November unter serbischer Domain erreichbar. Ein böses Vorzeichen, vermuten manche Beobachter. Schließlich hat Milorad Dodik, der nationalistische Präsident der Republika Srpska, erst vor wenigen Tagen eine Abspaltung von Bosnien angedroht. Sein Ziel sei, „einen einzigen Staat“ mit Serbien und Montenegro zu formen, heißt es. Der historische Traum eines Großserbien besteht weiter – und er schürt Sorge unter Experten.

Es seien schreckliche Aussagen, mit denen Dodik erneut seine politische Gesinnung offenbart habe, sagt Nedim Ademovic, Jurist und Verfassungsexperte in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. „Sie untergraben nicht nur Bosnien und Herzegowina, sondern die gesamte Region.“ Vergangene Woche hatte Dodik mit der Aussage aufhorchen lassen, ethnisch serbische Balkan-Länder und -territorien wiedervereinen zu wollen – „nicht durch einen erzwungenen Zusammenschluss, sondern durch den freien Willen der Bürger“, so Dodik. Seine Republik Srpska, seit dem Ende des Bosnienkriegs 1995 eine der beiden politischen Entitäten Bosnien-Herzegowinas, solle Teil des neuen Serbenstaates werden.

Verhältnis weiter angespannt

In vielen Ländern des Westbalkans herrscht infolge der Jugoslawien-Kriege bis heute ein gespanntes Verhältnis zwischen den Volksgruppen und Religionen. Bei den Auseinandersetzungen der 90er Jahre, die im Zerfall Jugoslawiens endeten, kam es zu ethnisch motivierten Massakern mit mehr als 140.000 Toten. Den Großteil der Opfer forderten die Kämpfe zwischen serbischen, bosnischen und kroatischen Armeen in Bosnien-Herzegowina.

Dass Dodik nun den Finger in offene Wunden legt, verurteilt neben einigen Balkan-Regierungen vor allem der Westen. Der bosnische Serbenführer habe wenig Rücksicht für andere, gefährde den Frieden der Region und erpresse durch seine Politik sowohl die bosnische Regierung als auch die internationale Gemeinschaft, kritisierte diese Woche der US-Botschafter in Sarajevo, Michael Murphy.

Neu aufgeflammt ist auch der Streit zwischen Dodik und dem Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen im Land: Christian Schmidts Aufgabe ist die Wahrung des Dayton-Abkommens, das vor drei Jahrzehnten den Krieg beendete. Dodik hingegen sieht in dem deutschen UN-Diplomaten einen „ausländischen Diktator“.

Nachdem Schmidt dieses Jahr bereits Parlamentsentscheidungen der Serbenrepublik aufgehoben und indirekt für Dodiks Anklage vor einem bosnischen Gericht gesorgt hatte, unterstellte er Dodik jetzt einen „beispiellosen Angriff“ auf das Friedensabkommen. Dodiks „spalterische und hetzerische Rhetorik“ habe außerdem erneut zu Spannungen zwischen den Ethnien geführt.

Schwierige Versöhnung

Bereits vor vier Jahren, als der Papst das damalige Mitglied des drei Mitglieder umfassenden Staatspräsidiums im Vatikan empfing, war der Besuch überschattet von Streit. Dodik reise nicht im Namen der Regierung, behauptete damals sein bosnischer Amtskollege. Das Thema Versöhnung zwischen Serben, Bosniaken, Kroaten und anderen Ethnien Bosniens gestaltet sich sehr schwierig.

Unterdessen warnt der Verfassungsexperte Ademovic in Sarajevo: „Dodik sollte nicht als gewöhnlicher ‚Bluffer‘ und Populist betrachtet werden.“ Zwar distanzierten sich sowohl Montenegros neue pro-europäische Regierung als auch Serbiens Machthaber von Dodiks Vision eines Serbenstaates. Doch Entwarnung könne laut Ademovic noch nicht gegeben werden: „Serbiens historische Ansprüche und großserbische Ideen sind auf dem Balkan stark präsent und warten wie eine ‚Zeitbombe‘. Das müssen die EU und die USA wissen.“

Bosnien-Herzegowina ist Verbündeter der Nato und EU-Beitrittskandidat. Für beide Bündnisse stellt Dodiks Politik eine Gefahr dar; nicht zuletzt wegen seiner Freundschaft zu Russland. Um den Frieden in der Region zu sichern, fordert Jurist Ademovic daher eine schnellere Demokratisierung des Balkans und eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit.

Von Markus Schönherr (KNA)

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