Papst: „Tut mir leid, dass ich nicht mehr tun kann“

Wie junge Leute aus der Ukraine den Weltjugendtag erleben

Lissabon  ‐ Singen, beten, lachen und weinen: Es ist ein Wechselbad der Gefühle für Ukrainerinnen und Ukrainer beim Weltjugendtag in Lissabon. Sie treffen sich in der Stadt und kommen aus aller Herren Länder.

Erstellt: 06.08.2023
Aktualisiert: 28.08.2023
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Von Clara Engelien und Julia Rosner (KNA)

„Hier zu sein, fühlt sich an wie ein Film“, sagt die 16-jährige Ukrainerin Anastasiia. „Zu Hause hören wir Explosionen – hier hören wir nichts. Alle genießen das Leben, als ob nichts passieren würde. Es ist surreal.“ Es ist das erste Mal in Anastasiias Leben, dass sie die Ukraine verlässt. Jetzt steht sie vor einer Kirche in Lissabon, in der soeben knapp 300 Ukrainerinnen und Ukrainer zum Glaubensgespräch und zur Messe zusammengekommen sind.

Anastasiia lebt in der Nähe von Kramatorsk, einer Kleinstadt, die immer wieder unter Beschuss ist. Viele ihrer Freunde sind als Soldaten an der Front und kämpfen. Erst vor einem Monat starben dort mindestens zehn Menschen, darunter drei Kinder, als eine Rakete in ein Restaurant einschlug. Mit ihrer Glaubensgemeinschaft ist Anastasiia Teil der deutschen Delegation von über 500 ukrainischen Jugendlichen und Geistlichen beim Weltjugendtag (WJT).

Eine kleine Gruppe, zu der auch Anastasiia gehörte, traf gestern Papst Franziskus. Es wurde gesprochen, gemeinsam gebetet und geweint. „Er hat uns gesagt: Tut mir leid, dass ich nicht mehr für euch tun kann“, berichtet die Jugendliche. Sie sei noch dabei, das Treffen zu verarbeiten, sagt Anastasiia – und lacht.

In Lissabon kommen ukrainische Jugendliche zusammen, die seit Kriegsbeginn in aller Herren Länder leben: USA, Niederlande, Deutschland, England, Italien. Das Kloster Graca, wunderschön und mit weiter Aussicht auf einem Hügel im Herzen der Stadt gelegen, hat ihnen für tägliche Zusammenkünfte und Gottesdienste seine Kirche zur Verfügung gestellt.

Am Morgen macht man sich zusammen warm, mit einem lauten „Slava Ukraini“ und Aufwärmübungen, angeleitet von Pater Roman Demush, der sich genüsslich zum Affen macht. Arme in die Luft, pantomimisch Kopf und Achseln schrubben - die Stimmung ist munter.

Wenig später, auf den Holzbänken der Kirche, gelten die ersten Lieder und Worte dann aber doch dem Krieg. Zart und mehrstimmig singen die Anwesenden ein Gebet für die alten Menschen in ihrem Land, die gegen den Krieg sind, aber nicht weg können. Keine einzige Person ist zu entdecken, die nicht mitsingt. So manche Hand wischt sich ein paar Tränen von der Wange.

Die Anwesenden sind orthodox, römisch-katholisch und griechisch-katholisch. Konfessionen sind hier aber zweitrangig. Bevor Bischof Bohdan Dzyurakh seine Predigt beginnt, macht er noch ein bisschen Quatsch: Er läuft durch den Mittelgang, hält Jugendlichen das Mikro unter die Nase. Er empfiehlt, nach einer „guten Beichte“ erstmal ein Eis essen zu gehen. Alle lachen.

Beten für den Frieden

Das Tagesthema dieser Glaubensgespräche beim WJT, die über die Stadt verteilt stattfinden, lautet „Mercy“, also: Barmherzigkeit, Gnade. Bischof Bohdan bittet darum, Eltern zu unterstützen, die ihre Kinder im Krieg verloren haben. Fordert auf zu beten für eine Frau, deren Mann im Krieg gefallen ist. Äußert Dankbarkeit für Freiwillige aus anderen Ländern, die Ukrainer unterstützten. Und: „Er sagt, es sei wichtig, selbst den Feinden zu vergeben und auch für sie zu beten“, sagt Anton (18), der ohne seine Familie in England ist, dort studiert und übersetzt.

In einer Pause, in der einige beichten, zeigt Andriana (20) aus Lemberg auf ihrem Handy ein Foto ihrer Familie - aufgenommen, als ihr Vater kürzlich von der Front zurückkehrte. „Aber er ist nicht mehr derselbe“, sagt sie. Der Mann auf dem Bild trägt Militärmontur und sieht erschöpft aus. Vor seiner Frau und seinen beiden Töchtern kniet er, zeigt mit einer Hand das Peace-Zeichen, mit der anderen hält er seinen kleinen Sohn. „Als er in den Krieg musste, war mein Bruder drei. Er hat ständig gefragt, wo Papa ist.“ Ihr kommen die Tränen.

Von Kummer und Trauer bis Lachen und Lebensfreude – in den mehr als drei Stunden in der Kirche fühlen die Ukrainerinnen und Ukrainer gemeinsam die ganze Bandbreite.

Khrystyna (24) sagt: „Wir respektieren und lieben Papa Franzisko sehr für all seine Hilfe für die Bedürftigen.“ Länder im Krieg zum Frieden aufzurufen, sei seine Pflicht als Papst. „Aber in unserer Situation beten wir besser zu Gott für Veränderungen in der russischen Politik, in den russischen Köpfen und Herzen.“

Khrystyna und einige Sitznachbarinnen bedanken sich immer wieder für das Interesse an ihrem Schicksal und die Unterstützung für ihr Land. Es sei eine große Chance für sie, beim Weltjugendtag zu sein. „Es gibt uns viel Kraft, die Solidarität aus anderen Ländern zu spüren. Wir werden viel angesprochen, es ist so eine Verbindung da“, erzählen sie. Sie seien hergekommen, um Menschen in aller Welt an den Krieg zu erinnern. „Er dauert schon so lange. Wir hoffen, dass die Menschen uns nicht vergessen.“

Nach einer langen Liturgie geht es weiter zum Park. Eine Gruppe größtenteils ukrainischer junger Frauen und Mädchen hat einen Trauermarsch für alle in der Ukraine gestorbenen Kinder organisiert. Sie tragen dazu T-Shirts mit Gesichtern und Namen von Kindern. Ein ukrainischer Geistlicher erklärt: „Wir sind hierhergekommen, um mit dem Heiligen Vater für den Frieden in unserem Land zu beten. Wir wollen zeigen, dass wir Christus in jedem Menschen wiederfinden können.“ Dem Trauermarsch durch den Park schließen sich auch viele Nichtukrainerinnen und -ukrainer an.

KNA

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