Wie sich die Kirchen um Urlauber an Nord- und Ostsee kümmern
Dahme ‐ Während immer mehr Menschen die Kirchen verlassen, sorgt ein Pater am Ostseestrand für Aufsehen. Statt klassisch im Gotteshaus bietet er Seelsorge im Strandkorb. Eine von vielen kirchlichen Aktionen für Küstenurlauber.
Aktualisiert: 20.08.2024
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Die Wellen rauschen, die Möwen kreischen, Fahnen flattern im Wind. Auf der Strandpromenade des Ostseebads Dahme in der Lübecker Bucht flanieren an diesem Sommertag viele Urlauber. Gegenüber von einem Eiscafe und einem Dönerladen steht ein Strandkorb, der mit zwei blauen Fähnchen dekoriert ist. „Zuhör-Korb“ ist auf einem Banner am Dach zu lesen. Drinnen sitzt Pater Ralf Winterberg und wartet auf „Kundschaft“.
Während immer mehr Menschen aus den Kirchen austreten, will der neue katholische Tourismusseelsorger in Ostholstein attraktive Angebote schaffen. Seit Juni sitzt der 61-Jährige jeden Mittwochvormittag für drei Stunden in dem Strandkorb in Dahme, um Gästen zuzuhören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Die ungewöhnliche Installation zieht manchen Blick auf sich. „So wie die Leute mit einer gewissen Neugierde zu den Geschäften und zur Eisdiele gucken, so gucken sie auch mal zum Strandkorb und kommen ins Nachdenken“, sagt Pater Ralf. „Manche laufen vier, fünfmal hier vorbei, bevor sie dann auf mich zukommen und ein Gespräch suchen.“
Statt Mönchskutte trägt der hochgewachsene Ordensmann blaues T-Shirt und blaue Kappe mit der Aufschrift „Urlaub Seelsorge Ostholstein“. Rund um den Strandkorb machen mehrere Werbebanner auf das Angebot aufmerksam.
Manchmal hält der Geistliche nur Smalltalk mit den Gästen. Eine Frau erzählte ihm kürzlich: „Ich habe mein Sweatshirt verloren und wiedergefunden. Freuen Sie sich mit mir!“ Ein Mann fragte: „Und dafür werden Sie bezahlt?“.
Dann gebe es aber auch Menschen, die an Punkte der Veränderung in ihrem Leben gekommen seien, und Rat suchten oder ihr Herz ausschütten wollten, so der Pater. Eine 60-Jährige berichtete etwa über eine ganze Kette schlechter Erfahrungen: Trennung vom Partner, Verlust der Wohnung, Tod der Eltern, Streit mit den Geschwistern. Sie sagte: „Ich habe nur noch Verluste.“ Der Seelsorger und Sozialpädagoge versuchte zu beraten. „Gemeinsam haben wir eine Perspektive entwickelt.“
Zuhören steht im Vordergrund
Er wolle nicht übergriffig sein, betont Pater Ralf. „Jeder ist selbst Besitzer seines Lebens.“ Das Zuhören stehe im Vordergrund. „Aber wenn die Person eine Frage hat, dann antworte ich auch“, sagt er mit tiefer Stimme und rheinischem Akzent.
Der gebürtige Kölner ist mit 17 Jahren in den Orden der Amigonianer eingetreten, der sich vor allem um Kinder und Jugendliche kümmert. Er arbeitete mit Straßenkindern in Manila, war in sozialen Brennpunkten in Köln tätig. Bis heute ist er in der Jugendarbeit in Gelsenkirchen aktiv, der ärmsten Stadt Deutschlands.
Als Tourismusseelsorger hat Pater Ralf schon Erfahrung gesammelt. Seit mehr als 15 Jahren nimmt er im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz regelmäßig an Kreuzfahrten teil und ist Ansprechpartner für Gäste und Crewmitglieder. „Das ist ein Hobby, aus dem jetzt ein Beruf wurde.“
DBK-Infobroschüre Freizeit & Tourismus
Einmal die Woche sitzt der Ordensmann auch am Strand im benachbarten Grömitz. Er bietet Pilgerwanderungen, Gesprächsabende und Open-Air-Gottesdienste an. „Wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollen, müssen wir eine dienende Kirche sein“, zeigt sich Pater Ralf überzeugt.
Ähnliche Angebote machen die Kirchen in vielen Urlaubsorten an Nord- und Ostsee. Zuhör-Strandkörbe stehen beispielsweise auch im niedersächsischen Norddeich und im mecklenburgischen Kühlungsborn. Auf der Insel Wangerooge leitet ein Pfarrer spirituelle Wattführungen. Am Strand des Ostseebads Eckernförde werden ökumenische Gottesdienste in einem umgebauten Schäferwagen gefeiert. Im Nordseeort Sankt-Peter-Ording finden Gebete zum Sonnenuntergang am Meer statt.
In Dahme beäugt eine Urlauberin im Badeanzug den Zuhör-Korb. „Ich finde das eine schöne Sache“, sagt die 54 Jahre alte Katholikin aus Bremen. „Alle haben ein bisschen das Päckchen Corona zu tragen. Da gibt's vielleicht die ein oder andere kneifende Stelle“, meint sie. „Dass man sich einfach mal nett im Plausch an der Ostsee in schöner Atmosphäre mit Sand unter den Füßen darüber unterhalten kann und nicht gleich das Gefühl hat, in der Kirche oder im Beichtstuhl zu sitzen, ist toll.“
KNA