Wie Caritas die junge Generation in Montenegro halten will
Bar ‐ Montenegro gilt – noch – als Geheimtipp für Reisende; jenes Land auf dem südlichen Balkan, das auf baldigen EU-Beitritt hofft. Während der Tourismus dort Hoffnungen weckt, sorgt Abwanderung für soziale Herausforderungen.
Aktualisiert: 20.08.2024
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Wer in diesen Tagen die Kleinstadt Bar an der Küste Montenegros besucht, wird kaum noch einen freien Flecken Sandstrand finden: Touristen, wohin man blickt, aus den Nachbarländern Albanien und Serbien ebenso wie aus Deutschland und der Schweiz. Der zunehmende Sommertourismus ist Sinnbild für den Aufstieg des kleinen Balkanlandes, das bis 2028 in die EU will.
Bis es soweit ist und Montenegro sich auch wirtschaftlich mit EU-Mitgliedern messen kann, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Etwa jeder Fünfte hier in lebt Armut, berichtet Marko Djelovic, Direktor der Caritas Montenegro. „Das trifft vor allem die älteren Bürger, Menschen mit Behinderung, ehemalige Flüchtlinge, die vor den Kriegen in Bosnien-Herzegowina und Kosovo flohen und hier Fuß fassten, und in einigen Teilen Montenegros auch Roma-Gemeinden.“
Generell habe Montenegro – wie andere Balkan-Staaten - mit hoher Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen. Dagegen will die Caritas mit ihrem Regionalprogramm „Your Job“ vorgehen. Gemeinsam mit Partnern wie Renovabis in Deutschland hat man dadurch bereits Jobchancen in Bosnien, Albanien, Kosovo und Serbien geschaffen. Seit dem vergangenen November gibt es das Programm auch in Montenegro. „Es ist so, dass die Schulbildung nicht wirklich auf den Jobmarkt zugeschnitten ist“, berichtet Djelovic. „Die Anforderungen des Marktes ändern sich viel schneller als der Stoff, den junge Leute in der Schule lernen. Zwischen diesen zwei Realitäten herrscht eine große Lücke.“
Ziel von „Your Job“ ist es, junge Montenegriner fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Die Caritas vermittelt Jugendliche in Ausbildungsbetriebe und Praktika, kommt zum Teil für deren Gehalt und die Kosten für die Ausbildung auf. Kellner, Köche, Touristiker werden in staatlich anerkannten Workshops aus- und fortgebildet. Daneben werden „soft skills“ vermittelt, etwa Konfliktlösung oder Kommunikation. Unterstützt werden zudem potenzielle Jungunternehmer, die eine vielversprechende Geschäftsidee haben. In der Anfangsphase des Projekts seien derzeit mehr als 230 junge Montenegriner und 26 Unternehmen involviert.
Montenegro ist eine 600.000-Einwohner-Nation im Umbruch. Ein Dauerthema ist Abwanderung. Während genaue Zahlen fehlen, ist der Trend laut Djelovic für jeden sichtbar: „Viele junge Leute gehen für ihre Ausbildung nach Italien, Österreich, Kroatien oder Slowenien und bleiben dort.“ Der Arbeitskräftemangel, der sich daraus ergibt, sei in einigen Sektoren bereits spürbar. Etwa in Pflegeheimen, die händeringend Personal suchten.
Land mit Potenzial
Doch längst nicht jeder wolle weg, betont Djelovic – und verweist auf einen weiteren Bevölkerungstrend: Viele Europäer hätten Montenegro im vergangenen Jahrzehnt zu ihrem Zweitwohnsitz erkoren. Sie schätzen die Sonnenstunden, die Jobchancen im Tourismussektor und die günstigen Preise.
Schätzungen gehen von etwa 100.000 Ausländern aus, die das ganze Jahr oder zumindest die Sommermonate in Montenegro verbringen, sagt Djelovic. Dabei sei die Rede nicht nur von wohlhabenden Rentnern: „In Bar leben auch einige deutsche Familien. Eine Grundschule in der Nähe zählt etliche deutsche Kinder zu ihren Schülern.“ Daneben haben auch etliche Ukrainer hier ein neues Leben begonnen; auf „UA“-Nummernschilder trifft man an der Strandpromenade laufend.
Noch gilt Montenegro als Geheimtipp unter westeuropäischen Urlaubern und Expatriates. Wie lange das so bleibt, dürfte auch von dem lang ersehnten EU-Beitritt abhängen. Während der Euro längst offizielles Zahlungsmittel Montenegros ist, verlaufen die Beitrittsverhandlungen schleppend. „Leider haben die Regierungen der vergangenen Jahre sie nicht immer mit höchster Priorität behandelt“, sagt Djelovic. Daneben sieht er auch Versäumnisse in Brüssel. Einige Kritiker werfen der EU schon länger „Erweiterungsmüdigkeit“ vor.
Daliborka Uljarevic, Politologin in der Hauptstadt Podgorica, blickt eher düster auf den EU-Beitritt ihres Heimatlandes. Nicht, weil es keine Perspektive gebe. Im Gegenteil. Eher, weil die EU – verzweifelt bemüht um eine „Erfolgsgeschichte am Westbalkan“ – zuletzt versuchte, Montenegro um jeden Preis in die Gemeinschaft aufzunehmen. Dabei habe sich die Lebensqualität der Montenegriner kaum verbessert, ebenso wenig die Rechtsstaatlichkeit.
Sorge bereitet ihr darüber hinaus das Erstarken pro-serbischer und pro-russischer Kräfte in der Regierung von Ministerpräsident Milojko Spajic. Er war 2023 unter dem Motto „Evropa sad!“ („Europa jetzt!“) an die Regierung gekommen. Seiner Nation versprach er einen schnellen EU-Beitritt.
Für Montenegros Politik gilt ähnliches wie für seine Sandstrände. So meint Caritas-Direktor Djelovic: „Montenegro ist ein Land mit enormem Potenzial. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie wir es nutzen.“