„Es liegt noch viel Arbeit vor Pax Christi“
Bonn ‐ Vor 75 Jahren wurde die deutsche Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi gegründet. Über aktuelle Herausforderungen mit Blick auf den Ukraine-Krieg und Friedensperspektiven spricht Christine Hoffmann, Generalsekretärin von Pax Christi, im Interview.
Aktualisiert: 28.03.2023
Lesedauer:
Frage: Frau Hoffmann, die deutsche Sektion von Pax Christi wurde in einer Zeit gegründet, als es den breiten Konsens gab: Nie wieder Krieg! Ist Pax Christi mit Blick auf den Überfall Russlands auf die Ukraine mit seinem gewaltlosen Ansatz gescheitert?
Hoffmann: Jeder Krieg ist eine Niederlage der Menschheit, nicht nur der Pazifisten. Das zeigt uns aber, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, um im Sinne der jesuanischen Feindesliebe und auch der Charta der Vereinten Nationen künftige Generationen von der Geißel des Krieges zu befreien.
Scheitern wäre für mich, wenn wir uns nicht mehr für Friedensbildung und zivile Konfliktbearbeitung stark machen und uns nicht mehr solidarisch an die Seite der Kriegsdienstverweigerer und der Kriegsopfer stellen würden.
Frage: Wie gehen Sie mit dem Dilemma um, dass gewaltloser Widerstand und Gespräche mit Putin derzeit nicht möglich scheinen?
Hoffmann: Bitte vergessen Sie nicht, dass die Lage noch schlimmer wäre, wenn nicht Menschen auch im Krieg mutig ihre gewaltfreien Möglichkeiten zum Einsatz brächten. De facto spricht Bundeskanzler Scholz regelmäßig telefonisch mit Putin, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung sind. Auch das Getreideabkommen wurde verhandelt.
Gewaltfreien Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine gibt es sowohl in der Ukraine selbst als auch in Belarus und Russland. Eine Studie des Friedensforschers Filip Daza Sierra beispielsweise hat in der Ukraine 235 gewaltfreie Aktionen im Zeitraum von Februar bis Juni 2022 identifiziert.
Frage: Wie könnte aus Ihrer Sicht der Konflikt gewaltfrei gelöst werden?
Hoffmann: Das weiß zurzeit niemand, sonst wäre es längst geschehen. Aber wir müssen die öffentliche Debatte aus der militärischen Engführung herausholen und auch die vielfachen Möglichkeiten gewaltfreien und deeskalierenden Handelns ganz konkret in Erwägung ziehen. Es geht um Verhandlungen über Waffenstillstand, aber nicht nur. Ein Erfolg der Diplomatie - also gewaltfreier Vorgehensweise - ist beispielsweise, dass Indien und China gegenüber Putin offenbar deutlich gemacht haben, dass der Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine nicht akzeptabel ist.
Es wird längst allerorten verhandelt und nach Lösungen gesucht. Wichtig ist, diese Suche wertzuschätzen. Ein Weg ist auch die Stärkung der Vereinten Nationen darin, das Verbrechen des Angriffskrieges anzuklagen und zu stoppen. Damit käme man vor allem den afrikanischen und südamerikanischen Ländern entgegen, die das Mandat des Internationalen Gerichtshofs dazu viel stärker ausstatten wollten als der sogenannte Westen. Darunter sind Länder, die sich bei den Resolutionen der Vereinten Nationen zum Krieg gegen die Ukraine enthalten haben. Es lohnt sich, sie zu gewinnen. Denn je mehr Putin für den Krieg gegen die Ukraine isoliert wird, desto höher die Chancen für das Ende des Krieges.
Frage: Unter welchen Bedingungen halten Sie Waffenlieferungen für ethisch vertretbar?
Hoffmann: Mich beschäftigt mehr die Frage nach den Folgen der Waffenlieferungen an die Ukraine für die Rüstungsexportpolitik. Die Unterstützung der Ukraine erfolgt legal auf der Basis des Selbstverteidigungsrechtes, in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Es ist nur im Interesse der Rüstungsindustrie, dies als Export in ein Kriegs- und Krisengebiet zu diskutieren, weil dieses weiter bestehende Ausschlusskriterium für deutsche Kriegswaffen- und Rüstungsexporte ihre Geschäfte einschränkt.
Aber wir dürfen diesen Sonderfall nicht dazu missbrauchen lassen, die Rüstungsexportkontrolle generell aufzuweichen. Deshalb setzt sich Pax Christi weiterhin für ein scharfes Rüstungsexportkontrollgesetz ein.
Frage: Der Kongress zum 75-jährigen Bestehen von Pax Christi Deutschland beleuchtet im Mai friedensethische und friedenspraktische Zukunftsperspektiven. Sehen die anders aus als zur Zeit der Gründung?
Hoffmann: Viel von dem, was damals wichtig war, ist es heute immer noch: die internationale Zusammenarbeit, das gemeinsame Gebet, die ökumenische Zusammenarbeit, das Erlernen des Friedens. Denn auch wenn wir in Deutschland glücklich auf 75 Jahre in Frieden zurückschauen, so war das längst nicht für ganz Europa der Fall und erst recht nicht weltweit. Deshalb wirbt Pax Christi heute mit der Kampagne „Gewaltfrei wirkt“ dafür, sich mehr über Methoden und Hintergründe gewaltfreien Handelns zu informieren und hat dazu die Webseite aktivgewaltfrei.de geschaffen.
Die Fragen stellte Angelika Prauß (KNA)
KNA