Adveniat-Expertin: „Perus Elite hat unterschätzt, wie sehr sich die Armen mit dem Ex-Präsidenten identifizieren“
Die Demonstrierenden in dem südamerikanischen Land fordern sofortige Neuwahlen, das Parlament lehnt das bislang ab.
Aktualisiert: 16.03.2023
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„Perus Elite hat vollkommen unterschätzt, wie sehr sich die Armen mit ‚ihrem‘ Präsidenten identifizieren.“ Davon ist die Peru-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Martina Fornet Ponse überzeugt. Menschenrechts- und Indigenen-Initiativen organisieren inzwischen eine zweite Protestwelle in der Hauptstadt Lima für Neuwahlen und gegen die Absetzung des 2021 gewählten Präsidenten Pedro Castillo. Und erneut reagiert die Polizei mit teils brutaler Gewalt, wie Journalisten vor Ort berichten. 18 Schwerverletzte allein am vergangenen Wochenende. Die Gesamtbilanz der Polizeigewalt gegen die bereits zwei Monate andauernden Proteste der Bevölkerung ist verheerend: 50 Tote, 200 vorübergehende Festnahmen, fast 1.000 registrierte Verletzte. Die Menschenrechtsorganisation „Coordinadora nacional de Derechos Humanos“ wirft der Polizei Folter und sexualisierte Gewalt gegenüber Demonstrierenden und Journalisten vor. Castillos Nachfolgerin, Präsidentin Dina Boluarte, wurde am Dienstag, 7. März, von der Staatsanwaltschaft zur Gewalt gegen die Protestierenden befragt. „Der Protest der verarmten und politisch machtlosen Bevölkerungsmehrheit wird im Interesse der wirtschaftlich und politisch Mächtigen niedergeknüppelt“, kritisiert Adveniat-Expertin Fornet Ponse.
Die Adveniat-Projektpartnerin Schwester Birgit Weiler, die seit mehr als 30 Jahren in Peru lebt und arbeitet, verweist auf die lange Geschichte der extremen wirtschaftlichen, ethnischen, kulturellen und sozialen Ungleichheit in der peruanischen Gesellschaft: „Die politischen Eliten insbesondere in Lima haben die Forderungen nach Gleichheit und Anerkennung großer Bevölkerungsgruppen wie den indigenen Völkern, der Landbevölkerung, den Nachfahren von Sklavinnen und Sklaven immer wieder auch mit Gewalt zurückgewiesen.“ Für diese Menschen sei Castillo mit seiner Herkunft, Geschichte, Sprache und Kleidung einer von ihnen gewesen, erläutert die Dozentin an der Katholischen Universität in Lima, die in verschiedenen Projekten mit den indigenen Völkern der Wampi und Awajun arbeitet. Triumphierende Gesten und Aussagen von Kongressmitgliedern nach der Absetzung von Castillo in den sozialen Netzwerken hätten wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. „Das Konfliktmanagement der Übergangspräsidentin Dina Boluarte und ihrer Regierung war unzureichend. Indem sie mit Härte und unverhältnismäßiger Gewalt auf die Proteste reagiert hat, hat sie die Polarisierung in der Gesellschaft verstärkt“, kritisiert Birgit Weiler.
Die Forderung der Demonstrierenden ist klar. Sie wollen noch in diesem Jahr Neuwahlen. Die bisherige Entscheidung des Parlamentes, Wahlen erst im April 2024 abzuhalten, habe nur zur weiteren Eskalation beigetragen, so Birgit Weiler. Eine der wenigen Institutionen, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen, ist die katholische Kirche, was auch dringend notwendig ist. „Denn die Zeit drängt, bevor die Gesellschaft Perus an den Spannungen und Gegensätzen zu zerbrechen droht“, warnt die Adveniat-Projektpartnerin.
Die Adveniat-Expertin Martina Fornet Ponse spricht angesichts der zugespitzten Situation in Peru von einer „Staatskrise, die keine Rücksicht auf die Menschen nimmt. Die bisherige Ablehnung von Neuwahlen zeigt, dass die Kongressabgeordneten ihre Eigeninteressen über die der Menschen stellen, die sie gewählt haben.“ Das Lateinamerika-Hilfswerk fördere deshalb ganz gezielt auch Projekte im Bereich der politischen Bildung sowie der Demokratie- und Menschenrechtsarbeit. Um die benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu stärken, unterstützt Adveniat beispielsweise Projekte zur landwirtschaftlichen Entwicklung für Kleinbauern und indigene Gemeinschaften.
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