Kritik an Taliban-Forderung zu Frauen bei Hilfsorganisationen
Berlin ‐ Die Taliban-Regierung in Afghanistan hat nationale und internationale Hilfsorganisationen sowie Hochschulen dazu aufgerufen, keine Frauen mehr zu beschäftigen.
Aktualisiert: 15.02.2023
Lesedauer:
Die Forderung der Taliban in Afghanistan, Frauen bei der Arbeit von Hilfsorganisationen in dem Land auszuschließen, stößt auch in Deutschland auf scharfe Kritik. Mehrere Organisationen kündigten als Reaktion darauf an, ihre Unterstützung zumindest vorübergehend auszusetzen. Auch aus der Politik wurden Verurteilungen laut.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Forderung der Taliban in Afghanistan verurteilt, Frauen bei der Arbeit von Hilfsorganisationen in dem Land auszuschließen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sprach am Montag von einem „unverantwortlichen Schlag gegen die Hilfe für das afghanische Volk“. Sie kündigte an, dass angesichts der Lage nun über die weitere Unterstützung beratschlagt werde müsse. Mehrere Nichtregierungsorganisationen hatten am Sonntag angekündigt, ihre Hilfsprogramme in Afghanistan zunächst einzustellen.
Die Taliban-Regierung, die im August 2021 die Macht wiedererobert hatte, hatte in einem Schreiben an alle nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen verlangt, keine Frauen mehr zu beschäftigen. Kurz zuvor hatten die Taliban Frauen von Hochschulen ausgeschlossen.
Baerbock erklärte auf Twitter: „Wir werden nicht akzeptieren, dass die Taliban die humanitäre Hilfe zum Spielball ihrer Frauenverachtung machen.“ Sie raubten damit der Hälfte der Bevölkerung ein weiteres Grundrecht, brächen humanitäre Prinzipien und gefährdeten lebenswichtige Versorgung von Menschen.
„Wer Frauen und Mädchen von Arbeit, Bildung und öffentlichem Leben ausschließt, ruiniert nicht nur sein Land. Geschlechtsbezogene Verfolgung kann auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein“, so die Außenministerin.
Schulze betonte: „Ohne weibliche Beschäftigte können Organisationen ihre Arbeit in vielen Bereichen für die Hälfte der Bevölkerung nicht fortführen.“ Damit sei „eine völlig neue Situation entstanden“. Sie sprach sich dafür aus, die aktuelle Unterstützung, „die wir mit anderen leisten“, zunächst zu suspendieren. Das Ministerium werde mit der Weltbank zu einem Treffen des Afghanistan Reconstruction Trust Fund einladen. Dabei solle beraten werden, ob und wie in der von den Taliban geschaffenen Lage die Unterstützung für die Menschen in Afghanistan fortgeführt werden kann.
„Riesengroßes Dilemma“
Die Hilfsorganisationen Care, Save The Children und die Norwegische Flüchtlingshilfe teilten in einer gemeinsamen Erklärung mit, sie könnten Notleidende in Afghanistan nicht ohne die Hilfe ihrer Mitarbeiterinnen erreichen. Die Anweisung der Taliban werde nicht nur lebensrettende Hilfen für Tausende Menschen unmöglich machen, sondern auch Tausende Arbeitsplätze in einer Gesellschaft in einer großen wirtschaftliche Krise gefährden. Die Hilfsorganisationen kündigten an, ihre Programme vorläufig zu stoppen, bis Klarheit über die Forderungen bestehe.
Der Leiter von Caritas international in Kabul, Stefan Recker, sagte dem WDR, dass auch die Caritas ihre Arbeit vorübergehend einstelle. Es sei für Nichtregierungsorganisationen ein „riesengroßes Dilemma“: Tausende Hilfsbedürftige seien dadurch erst einmal von Basisleistungen abgeschottet. Man müsse aber jetzt auch „dringend“ eine Botschaft senden. Auch die „Aktion gegen den Hunger“ kündigte an, als Reaktion vorübergehend alle Aktivitäten auszusetzen – mit Ausnahme lebenswichtiger medizinischer Maßnahmen für Kinder.
Caritas hofft auf Fortführung humanitärer Hilfe in Afghanistan
Die Entscheidung des Taliban-Regimes, Frauen die Mitarbeit in Hilfsorganisationen zu verbieten, wird das Leiden und die Not der Menschen in Afghanistan nach Einschätzung von Caritas international weiter vergrößern. „Mehr als 20 Millionen Afghaninnen und Afghanen sind von Hunger bedroht. Das Land braucht humanitäre Hilfe, um zu überleben“, sagte Caritas-international-Chef Oliver Müller am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freiburg. Die Not sei „exorbitant hoch“.
Nach der Ankündigung der Taliban sei es für Caritas international genauso wie für viele andere Nichtregierungsorganisationen (NGO) aber unausweichlich gewesen, die Arbeit bis auf weiteres zu unterbrechen. Müller sprach von einer sehr schweren Entscheidung. „Aber ohne unsere Mitarbeiterinnen können wir Frauen und ihre Kinder bei unseren Projekten nicht erreichen. Und gerade sie sind die Bedürftigsten und am stärksten bedroht in Afghanistan“, so Müller.
Die Lage für Frauen habe sich systematisch verschlechtert, nicht zuletzt durch das Verbot zu studieren, sagte der Caritas-Leiter. „Leider sehe ich auch keine Perspektive, dass sich für die Afghaninnen bald etwas zum Besseren ändern könnte.“ Dennoch rechne er damit, dass die internationale Hilfe mittelfristig weitergehen kann.
„Die Afghaninnen und Afghanen registrieren genau, warum die Hilfen nun gestoppt wurden“, so Müllers Einschätzung; und er hoffe, dass der Druck der Bevölkerung auf die Taliban steigen wird, „wieder auf die internationalen Helfer zuzugehen, um einen Kompromiss zu finden“. Offiziell begründeten die Taliban das Helferinnenverbot damit, dass sich Frauen nicht ausreichend verschleiert hätten und die Geschlechtertrennung bei Hilfsprojekten nicht eingehalten worden sei.
Auch der Caritas-Büroleiter in Kabul, Stefan Recker, zeigte sich vorsichtig optimistisch. „Es erinnert ein wenig an die Strategie beim ersten Taliban-Regime in den 1990ern, wo zunächst extreme Ansagen nach einiger Zeit in einen Kompromiss mündeten“, sagte Recker der KNA. Eine Brücke könne sein, wenn sich die NGOs förmlich verpflichteten, dass ihre Mitarbeiterinnen die Kleidungsvorschriften einhalten. Bislang habe das zuständige Wirtschaftsministerium aber noch nicht reagiert.
Recker sagte, dass aktuell noch drei Caritas-Projekte im Gesundheitsbereich mit den dort bei Partnerorganisationen beschäftigten Medizinerinnen weiterlaufen: für Leprahilfe, die Anpassung von Prothesen und für Mutter-Kind-Gesundheit. Auch beim UN-Ernährungsprogramm FAO gingen die Hilfen weiter, etwa die Verteilung von Saatgut. „Zum einen betrifft das Mitarbeiterinnenverbot nur nichtstaatliche NGOs. Zum anderen wäre es nicht zu verantworten, Tausende Tonnen Saatgut nicht zu verteilen“, sagte Recker.
Caritas international ist seit 1984 in Afghanistan engagiert, einem der ärmsten Länder weltweit. In Kabul gibt es ein Caritas-Büro, das die verschiedenen landesweiten Projekte koordiniert. Vor Ort sind - zumeist über lokale Partnerorganisationen - afghanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Außer in humanitärer Nothilfe engagiert sich Caritas international etwa im Gesundheitsbereich.
Etwa die Hälfte der rund 40 Millionen Afghanen ist laut UN-Angaben von Hunger bedroht; etwa drei Millionen Menschen sind innerhalb des Landes geflohen. Geschätzte drei Millionen Kleinkinder unter fünf Jahren sind mangelernährt. (Hasenauer/KNA)
KNA