Zwei Frauen sitzen an einem Computer und schauen Berichte an
Tagung "Mut zur Transparenz III"

Mut zur Transparenz

Bad Boll ‐ Auf einer Tagung in Bad Boll wir die Korruptionsbekämpfung in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit thematisiert.

Erstellt: 23.01.2015
Aktualisiert: 27.09.2022
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Niemals hätte der Jesuit Klaus Mertes gedacht, dass er mit einem einzelnen Brief eine solche Lawine auslösen würde. Mit einem Schreiben an 600 ehemalige Schüler brachte der ehemalige Rektor des Berliner Canisius-Kollegs die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland ins Rollen. Heute, fünf Jahre später, ist der Jesuitenpater als Redner auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll in der Nähe von Stuttgart geladen. Es geht um Korruptionsbekämpfung in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit.

Mertes reflektiert darüber, wie Widerspruch aus Loyalität geht und was auf dem Spiel steht: Das Selbstbild der Kirche, der Respekt des Widersprechenden vor sich selbst und das Evangelium, dem die Kirche als einzigem verpflichtet ist. Sich richtig zu entscheiden bedarf Mut, Aufklärung und erzeugt Schmerz.

Um Ähnliches geht es bei kirchlichen Hilfswerken, wenn Korruption auftritt. Lange war es tabu, überhaupt über deren Existenz zu reden. Denn es ist beschämend, wenn zum Beispiel Geld in Lateinamerika nicht für das verwendet wird, wofür es gespendet wurde, sondern für private Anliegen. Zudem ist der Imageschaden immens, wenn Korruptionsfälle publik werden. Sie können Mitarbeiter, Projektpartner und Spender der Hilfswerke in eine tiefe Vertrauenskrise stürzen – so wie es zahlreichen Bischöfen, Priestern und Laien durch den Missbrauchsskandal widerfuhr.

Doch in den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Seit sieben Jahren tauschen sich die kirchlichen Missionswerke und Entwicklungsorganisationen intensiv aus, verabreden Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption, verfeinern und systematisieren ihre Instrumente der Prävention. „In hausinternen Schulungsmaßnahmen werden Werte vermittelt, die die Integrität der Mitarbeiter stärken. Risiken werden gezielt angesprochen und dokumentiert und Kontrollsysteme entwickelt, um Korruption zu verhindern“, listet Hartwig Euler von Transparency International Deutschland e.V. (TI) die zahlreichen Maßnahmen der kirchlichen Korruptionsprävention und -bekämpfung auf.

Das Risiko bleibt

Trotz dieser hohen Standards bleiben jedoch immer noch Risiken der Veruntreuung und Korruption bestehen, unterstreicht der Leiter der Arbeitsstelle Qualitätsmanagement und Controlling bei Caritas international, Volker Gerdesmeier. Daher ist es inzwischen schon die dritte Fachtagung, die unter dem Motto „Mut zur Transparenz“ in diesen Tagen in Bad Boll stattfindet. Sie verspricht unter anderem Informationen über innovative Ansätze zur Korruptionsvermeidung und fragt nach der Verantwortung von Führungskräften.

Die Resonanz zur Veranstaltung ist positiv. „Die große Zahl von mehr als 80 Mitwirkenden und Teilnehmenden zeigt, dass diese Thematik für die Arbeit der kirchlichen Hilfswerke in beiden Kirchen sehr bedeutsam geworden ist“, betont Barbara Pauli, Leiterin der Auslandsabteilung des Internationalen Katholischen Missionswerks Missio in München.

„Der Titel der Tagung ‚Mut zur Transparenz‘ ist hier Programm: Die verschiedenen Vertreter der teilnehmenden Organisationen zeigen genau diesen Mut.“

—  Zitat: Martin Hilgers, Leiter des Projektteams Don Bosco Mission Bonn

„Wir erleben deutlich, dass sich die Atmosphäre in dem Prozess der drei Fachtagungen mehr und mehr geöffnet hat“, beschreibt Sonja Grolig die Entwicklung hin zu mehr Transparenz. Als Leiterin der Arbeitsgruppe „kirchliche Entwicklungszusammenarbeit“ von TI richtet sie die Tagung mit aus. Die Tabuisierung des Themas sei überwunden. „Der Titel der Tagung ‚Mut zur Transparenz‘ ist hier Programm: Die verschiedenen Vertreter der teilnehmenden Organisationen zeigen genau diesen Mut“, unterstreicht Martin Hilgers von der Don Bosco Mission in Bonn die offene Atmosphäre. „Manche staunen über die Offenheit und das Vertrauen, die auf der Tagung herrschen. Mir hat der Blick auf das, was im Kontext von Intransparenz und Korruption in Menschen vorgeht, geholfen“, ergänzt Thomas Wieland, Leiter der Projektabteilung beim Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.

Vertrauen in der Projektarbeit

Dass Korruptionsprävention und -bekämpfung nicht nur auf organisatorischer sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene eine Herausforderung ist, zeigt sich besonders in der direkten Zusammenarbeit mit den Projektpartnern vor Ort. Laut Grolig sei die persönliche Übernahme von Verantwortung bei der Bekämpfung von Missständen entscheidend. „Der ‚institutionellen Bekehrung‘ geht die des Einzelnen voraus und das hat seinen Preis, weil die Loyalität zu den Grundzielen einer Organisation oft als Illoyalität umgedeutet wird, wenn sie sich in Kritik an der eigenen Einrichtung äußert“, beschreibt die Transparenz-Expertin die Problematik.

Der Grat zwischen Kontrolle und Vertrauen ist schmal. Wie schafft man es, dass der Projektpartner vor Ort die Frage nach Rechenschaftslegung nicht als Misstrauen interpretiert? Wie kann offen und ehrlich über die Gefahr von Korruption oder gar über konkrete Verdachtsfälle geredet werden, ohne dass die partnerschaftliche Beziehung beschädigt wird? Mögliche Risiken mit und bei Kooperationspartnern müssten offen angesprochen werden, betont Hartwig Euler. Zu den Aufgaben der Hilfswerke gehöre auch, den internationalen Partnern Orientierung bei der Bekämpfung von Korruption zu geben. Aus Sicht des Sozialethikers Christoph Stückelberger, Leiter des globalen Ethiknetzwerks Globethics.net, besteht hier eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft. Zurzeit bestehe noch eine starke Konzentration auf die Regelungen und Standards für die eigenen Programme der „Nordpartner“. Die kirchlichen Organisationen des Südens hätten hier im Durchschnitt weiterhin Entwicklungsbedarf.

Dem Geschäftsführer des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, Gerhard Albert, legt der offene Austausch der Werke über Transparenz und Vertrauen in der Partnerschaftsarbeit nahe, „auch enge Partnerbeziehungen, die viel gegenseitiges Vertrauen schaffen, immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, ob sie den berechtigten Erwartungen der Geldgeber an eine regelkonforme Mittelverwendung weiterhin entsprechen.“

Eine Frage der Führung

Laut Gabriele Klug, Vorstandsmitglied von TI, müssten insbesondere die Führungskräfte in den Hilfs- und Missionswerken mit gutem Beispiel vorangehen. Es gelte das, was in den Anti-Korruptions-Leitlinien festgehalten sei, mit hohem Anspruch vorzuleben und dabei jeden Mitarbeiter mitzunehmen. Gleichzeitig dürfe es bei der Korruptionsvermeidung niemals darum gehen, nur nach außen „gut auszusehen“.

Auch Pauli von Missio in München hebt das Mitwirken aller Zielgruppen in allen Phasen der Projektdurchführung hervor. Nur wenn alle Beteiligten an einem Strang zögen, sei eine Kontrolle und Mitwirkung „von unten“ möglich, so Pauli. Damit seien auch diejenigen gemeint, „die am Ende von den Projektgeldern profitieren und nicht nur der einzelnen Projektpartner“, fügt Thomas Wieland von Adveniat hinzu.

Die Tagung in Bad Boll hat gezeigt: über Korruption offen zu sprechen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen erfordert Mut. Auf dem Spiel steht das Bild der Organisation in der Öffentlichkeit, die Verpflichtung gegenüber dem Spender und dem öffentlichen Geldgeber und es geht um das Wohl derer, denen das Hilfswerk verpflichtet ist: der Armen.

In Analogie zur „Mut“-Kampagne von Misereor fasst Michael Hippler, Leiter der katholischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe, zusammen: „Mut ist ... Vertrauen in unsere weltweiten Partner zu investieren und trotzdem die Augen nicht zu verschließen, um gemeinsam konsequent gegen Korruption vorzugehen und dafür einzustehen.“

Von Lena Kretschmann

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Zur Tagung

Die Fachtagung „Mut zur Transparenz III“ wurde gemeinsam von der Arbeitsgruppe Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit bei Transparency International (TI) und der Evangelischen Akademie Bad Boll organisiert. Kooperationspartner waren die Hilfswerke Misereor, Brot für die Welt, das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ und die Kindernothilfe. TI hatte vor sieben Jahren das erste Treffen dieser Art angeregt.