„Das ist wie ein Krieg oder ein Erdbeben“

„Das ist wie ein Krieg oder ein Erdbeben“

Klemens Ochel ist Tropenmediziner und im Auftrag von Misereor als medizinischer Berater in Liberia tätig. Dort hilft er, die medizinische Infrastruktur am Laufen zu halten, die zum Teil auch von der katholischen Kirche aus organisiert wird. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach der Mitarbeiter des Missionsärztlichen Instituts in Würzburg über das lange Warten auf internationale Hilfen und die psychologischen Konsequenzen der Epidemie für die Bevölkerung.

Erstellt: 08.10.2014
Aktualisiert: 26.04.2023
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Frage: Herr Ochel, wie sieht die Hilfe für die Ebola-Infizierten in Monrovia aus?

Ochel: Misereor versucht in erster Linie, die Gesundheitszentren seiner Partner am Laufen zu halten. Von zwei Krankenhäusern musste eines geschlossen werden, weil der Direktor, der Kaplan und eine Schwester an den Folgen von Ebola gestorben sind. Zwei weitere Ärzte, die die Infektion überlebt haben, engagieren sich nun für die Wiedereröffnung. Dann gibt es 15 katholische Gesundheitszentren, von denen ebenfalls zwei oder drei geschlossen werden mussten. Es ist erstaunlich, dass die meisten am Laufen geblieben sind. Zudem versuchen wir, mit Ausbildungsprogrammen die Menschen für die Ansteckungsgefahren zu sensibilisieren und Materialien zum Infektionsschutz und Medikamente zu verteilen.

Frage: Wie werden Sie von internationaler Seite und der Regierung bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung unterstützt?

Bild: © Missionsärztliches Institut

Ochel: Die internationalen Hilfen, die wir vor einem Monat angefragt haben, kommen jetzt erst an. Es ist mir unbegreiflich, warum das so lange gedauert hat. Die Regierung wiederum hat lange gar nicht zur Kenntnis genommen, dass die meisten Gesundheitsdienste der Kirche während der gesamten Epidemie nicht geschlossen wurden. Mittlerweile kommt die Hilfe langsam in Gang. Materialien zum Infektionsschutz sind zumindest anvisiert. Wir haben aber eine alternative Bestellung über Misereor laufen lassen, weil wir uns nicht darauf verlassen wollten, dass diese Lieferung auch wirklich kommt. Gleichzeitig hoffen wir, dass die Regierung Personal zur Überwachung der Sicherheitssysteme stellt und eine Station zur Erstbehandlung von Patienten für das katholische Krankenhaus baut.

Frage: Wie wird die Krankheit von der Bevölkerung aufgenommen? Haben die Menschen die Gefahr erkannt?

Ochel: Sicher, die Menschen überreagieren sogar oft; sie haben Panik. Man muss sich natürlich schützen, aber hier in Liberia geben die Menschen einem noch nicht mal mehr die Hand. Wenn jemand fiebrig aussieht, schlagen sie gleich Alarm und rufen in den Gesundheitszentren an. Allerdings gibt es auch Imame und andere Religionsführer, die kontraproduktive Ratschläge geben. So sollen etwa Muslime ihre Verstorbenen weiterhin nach ihrem Ritus eigenhändig waschen, was eine hohe Ansteckungsgefahr birgt.

Frage: Was sagt die katholische Kirche?

Ochel: Die Bischofskonferenz hat klare Anweisungen an Priester gegeben, etwa für das Aussparen des Friedensgrußes, beim Austeilen der Kommunion oder der Erteilung von Sakramenten an Verstorbene. Das entspricht der weit verbreiteten „No touch“-Politik, bei der die Menschen Berührungen zu vermeiden versuchen. Viele Priester haben natürlich Angst, weil ihnen das komplexe medizinische Wissen fehlt. Deshalb organisieren wir Ausbildungsprogramme.

Bild: © Missionsärztliches Institut

Frage: Glauben Sie, dass sich durch diese Epidemie langfristig ein besseres Gesundheitssystem im Land etabliert?

Ochel: Derzeit kommt überhaupt erst mal erkennbar Hilfe an. Es ist aber noch nichts wieder aufgebaut, und die Maßnahmen sind noch nicht flächendeckend umgesetzt. Das wird schon noch zwei, drei Wochen dauern. Und es wird noch Wochen und Monate dauern bis die Krankheit unter Kontrolle ist. Wichtig wird in der Phase nach der Eindämmung vor allem die psychologische Aufarbeitung. Die Ebola-Epidemie ist mit einem Krieg oder einem Erdbeben vergleichbar. Zwar gibt es hier keine materiellen Schäden, doch die Menschen sind total traumatisiert. Stets sind sie begleitet von Todesangst, die Kinder sind wochenlang im Haus eingesperrt und dürfen mit niemandem spielen. Landesweit gibt es drei Psychologen – die Traumaarbeit wird aber demnächst besonders wichtig sein, neben Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung und der Wiedereröffnung der Schulen.

Frage: Eine persönliche Frage: Hatten Sie nicht Angst, in ein Land zu fliegen, in dem Ebola grassiert?

Ochel: Ich weiß, dass ich, wenn ich Körperkontakt vermeide, kein Risiko eingehe. Das Land braucht neben materiellen und finanziellen Hilfen auch Menschen, die mitarbeiten. Ich möchte durch meine Anwesenheit hier zeigen, dass man hier sicher von Ebola arbeiten kann. Da appelliere ich auch an die Bereitschaft von Freiwilligen in Deutschland. Sicher ist Ebola ein Risiko – aber man kann sich mit etwas medizinischem Hintergrundwissen gut hier aufhalten. Ich habe keine Angst.

Das Interview führte Claudia Zeisel.

weltkirche.de

26.04.2023: Fehlerhafte Links entfernt (dr)

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