Frage: Auf der politischen Ebene sehen wir in Brasilien einen Präsidenten, der stark verwurzelt ist in der Pfingstkirche. Seine politischen Maßnahmen sind wirtschaftsliberal und im konservativen bis rechten Spektrum zu verorten. Gleichzeitig plant die katholische Kirche eine Amazonas-Synode, die noch stark aus der Befreiungstheologie schöpft. Tut sich da ein neues Spannungsfeld auf?
Huhn: Die Konflikte gibt es. Das war auch schon massiv der Fall, als das Lager von Bolsonaro noch nicht an der Macht war, im Kongress aber bereits eine große Rolle spielte. Es gab in Brasilien schon lange die „Bancada evangelica“, die „evangelikale Bank“. Es war eine nicht formelle Gruppe von Abgeordneten, von denen man wusste, dass sie in bestimmten Fragen gemeinsam abstimmen werden – unabhängig von den Parteigrenzen. Dann stellten sie Forderungen wie die Verteidigung des Grundbesitzes, weniger Umweltschutz und kleinere Spielräume für die Indigenen. Da dienten und dienen die evangelikalen Abgeordneten politischen Interessen. Sie lassen sich auch – völlig losgelöst von dem, was sie sonst predigen, für ihre Abstimmung gut mit Spenden entlohnen. Seit Bolsonaro Präsident ist, setzt er diese Forderungen in die Tat um. Die Absetzung des Leiters der Indigenenbehörde ist nur eines von vielen Beispielen.
Frage: Und was macht die katholische Kirche?
Huhn: Die katholische Kirche wehrt sich da entschieden und auch zu Recht. Wer den Lebensraum der Indigenen und die Schöpfung im Amazonas verteidigen will, muss sich dieser Politik von Bolsonaro und seinem Lager entgegenstellen. Es ist gut, dass die brasilianische Kirche sich da sehr deutlich äußert. Meine Sorge ist nur, dass die Wirkung des katholischen Protestes längst nicht mehr so ist wie zu Zeiten von Helder Camara, als das Land sozusagen stillstand, um zu hören, was er sagte. Die katholische Kirche hat zum einen, weil so viele Mitglieder abgewandert sind, zum anderen, weil Brasilien sich als moderne Gesellschaft stark differenziert hat, nicht mehr die große Autorität in ihren Stellungnahmen. Aber das heißt nicht, dass sie sich nicht weiter äußern muss.
Das Interview führte Claudia Zeisel.
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