Erzbischof Heße lobt Äthiopiens Engagement für Flüchtlinge
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Erzbischof Heße lobt Äthiopiens Engagement für Flüchtlinge

Flucht und Asyl ‐ Der Flüchtlingsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (52), besucht derzeit Äthiopien. Mit etwa einer Million Menschen hat das Land in Afrika die zweitmeisten Flüchtlinge aufgenommen. Ein Interview.

Erstellt: 23.05.2019
Aktualisiert: 23.05.2019
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Der Flüchtlingsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (52), besucht derzeit Äthiopien. Mit etwa einer Million Menschen hat das Land in Afrika die zweitmeisten Flüchtlinge aufgenommen und ist zudem mit rund drei Millionen Binnenvertriebenen konfrontiert. Im Interview sprach Heße darüber, wie Äthiopien diese Herausforderung bewältigt, aber auch über die internationale Verantwortung beim Thema Migration.

Frage: Herr Erzbischof, in Ihrer Funktion als Flüchtlingsbischof halten Sie sich derzeit in Äthiopien auf – was hat Sie dazu bewogen, nach Afrika zu reisen?

Heße: Die Flüchtlingsfrage ist eine globale Frage. Für uns Europäer ist es wichtig zu schauen, was in Afrika geschieht. Beim Thema Flucht und Migration gibt es verschiedene Wechselwirkungen zwischen beiden Kontinenten. Ich bin davon überzeugt, dass uns beide Themen auch in Zukunft weiter beschäftigen werden. Deswegen tun wir gut daran, nach Lösungen zu suchen.

Frage: Vor welchen Herausforderungen steht Äthiopien in der Migrations- und Flüchtlingspolitik?

Heße: Durch die Situation an Äthiopiens Grenzen gibt es große Flüchtlingsbewegungen aus den benachbarten Staaten, etwa aus dem Südsudan, Somalia oder Eritrea, insgesamt etwa eine Million Menschen. Zudem sind infolge von Konflikten etwa drei Millionen Äthiopier im eigenen Land auf der Flucht. Diese hohe Zahl von Flüchtlingen ist eine riesige Herausforderung für das Land, das selbst auch mit Armut und Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat.

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„Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Mauern und Zäunen dieses Problems nicht Herr werden.“

—  Zitat: Erzbischof Stefan Heße, Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz

Frage: Etwa 27 Prozent der Bevölkerung leben in bitterer Armut, ihnen fehlt es am Nötigsten. Wie gehen die Menschen in Äthiopien vor diesem Hintergrund mit der großen Zahl von Flüchtlingen um?

Heße: Das ist hier im Land kein einfaches Thema. Von unseren Gesprächspartnern haben wir erfahren, dass die einheimische Bevölkerung teilweise mit Neid auf die Flüchtlinge schaut, weil die Lebensbedingungen in den Camps mancherorts besser sind als ihre eigenen. Die schwierige Situation wird auch deutlich, wenn man sich die Zahlen anschaut. In der Stadt Gambella im Westen des Landes an der Grenze zum Südsudan leben etwa 40.000 Einwohner, im nahegelegenen Jewi Refugee Camp mehr als 60.000 Flüchtlinge; insgesamt hat Äthiopien etwa 400.000 südsudanesische Schutzsuchende aufgenommen. Da ist es wichtig, sich für Verständnis und ein gutes Miteinander einzusetzen – das ist auch Aufgabe der Kirchen.

Frage: Wie begegnet die äthiopische Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed diesen Herausforderungen? Bei seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr waren die Erwartungen hoch.

Heße: Äthiopien ist eines der ersten Länder weltweit, das den sogenannten „Umfassenden Rahmenplan für Flüchtlingshilfemaßnahmen“ des Ende 2018 von den Vereinten Nationen beschlossenen Globalen Flüchtlingspakts umsetzt. Wir haben unter anderem ein von der Regierung und dem UNHCR betriebenes Flüchtlingslager besucht, das Jewi Refugee Camp in Gambella. Natürlich gibt es dort auch Probleme, teilweise ist die Versorgungslage schwierig, aber vieles läuft auch sehr gut, etwa im Bildungsbereich – das Niveau der dort entwickelten Programme liegt etwa auf dem hiesiger Schulen. Die Regierung tut einerseits also beeindruckend viel. Andererseits hat sie uns aber auch deutlich gemacht, dass sie sich mehr Hilfe von Europa erhofft.

Frage: Trotz der vielen Flüchtlinge bleiben in Äthiopien derzeit die Grenzen weitgehend offen. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund das teils strikte Vorgehen in Europa und die aufgeheizten Debatten in Deutschland?

Heße: Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Mauern und Zäunen dieses Problems nicht Herr werden. Es braucht andere Wege, die eine geordnete und sichere Migration ermöglichen. Wir dürfen das Thema nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, sondern müssen weltweit, besonders aber auch in Europa, zu einer klaren Ausrichtung gelangen. Niemand darf sich aus dieser Aufgabe heraushalten. Migration und Flucht gehen uns alle an.

Frage: Welchen Beitrag kann die katholische Kirche leisten?

Heße: Die katholische Kirche hat den großen Vorteil, dass sie Weltkirche ist und überall Partner und Netzwerke hat und ihr Augenmerk vor Ort direkt auf die Menschen richten kann. In Äthiopien sind nur etwa 0,7 Prozent der Bevölkerung katholisch – die meisten Christen, etwa 43 Prozent, sind äthiopisch-orthodox. Trotzdem spielen die katholische und auch die protestantische Kirche, der etwa 18 Prozent der Bevölkerung angehören, bei der sozialen Arbeit im Land eine große Rolle. Und natürlich bemühen wir uns auch, konkrete Unterstützung über unsere Hilfswerke zu leisten.

Frage: Was hat Sie bei Ihrem Besuch besonders beeindruckt?

Heße: In den Flüchtlingscamps ist deutlich geworden, dass es einerseits darum geht, den Geflüchteten eine Bleibe zu geben, Nahrung und Bildung. Aber darüber hinaus spielt auch die Würde der Menschen eine Rolle. Traumata oder Missbrauch werden angesprochen und aufgearbeitet, die Menschen werden gestärkt. Und stark sind sie auch in ihrer Persönlichkeit, sie haben oft Schlimmes erlebt und strahlen trotzdem eine beeindruckende Positivität aus.