Frage: Zweitens?
Grill: ... mag es ja zutreffen, dass im Einzelfall der Erhalt von Objekten durch eine Rückgabe gefährdet ist. Aber es handelt sich nun mal um koloniales Raubgut. Was die rechtmäßigen Besitzer damit anstellen, ist allein ihre Sache.
Frage: Der Streit um Kolonialobjekte begleitet auch die Arbeiten zum Humboldt-Forum in Berlin.
Grill: Es fängt schon damit an, dass ausgerechnet in einem wieder errichteten Repräsentationsbau von Preußentum und Kaiserzeit, dem Berliner Schloss, deutsche Geschichte präsentiert werden soll. Ich sehe sehr wohl Ansätze, die Idee eines geteilten Kulturerbes mit dem Humboldt-Forum zu verknüpfen. Aber zugleich scheint eine verklärende Selbstdarstellung der Deutschen und ihrer Geschichte im Vordergrund zu stehen. Man will eine Nation ohne Schatten sein.
Frage: Im ganzen Land tragen immer noch Straßen den Namen von Kolonialverbrechern; Denkmäler oder Gräber kommen ohne erläuternde Hinweise aus. Was ist zu tun?
Grill: Die Umbenennung der Straßennamen ist überfällig. Allerdings muss man aufpassen, dass man dabei nicht über das Ziel hinausschießt.
Frage: Das heißt?
Grill: Im Fall der Berliner Petersallee, benannt nach dem Menschenschinder Carl Peters, kursierte etwa der Vorschlag, die Straße nach Nzinga von Matamba umzubenennen, einer angolanischen Herrscherin im 17. Jahrhundert.
Frage: Klingt politisch korrekt.
Grill: Ist aber eher peinlich – weil Nzinga nicht nur als Freiheitsheldin verehrt wird, sondern auch am Sklavenhandel mitverdiente.
Frage: Unser Afrikabild, so schreiben Sie, bestehe neben Halb- und Unwissen vielfach aus Klischees und Zerrbildern. Wie kann man dem entkommen?
Grill: Das ist eine Generationenaufgabe. Wie stereotyp die Wahrnehmung ist, zeigt die Migrationsdebatte. Da ist gern die Rede von bis zu 200 Millionen Afrikanern, die über Europa herfallen. Migranten und Flüchtlinge werden als anonyme Masse entmenschlicht und lösen Überfremdungsängste aus. Ein klassischer kolonialer Abwehrreflex.
Frage: Gibt es solche Reflexe auch unter denen, die helfen wollen – zum Beispiel bei Kirchen und ihren Entwicklungsorganisationen?
Grill: Auch sie laufen mitunter Gefahr, Afrikaner ausschließlich als Opfer zu sehen, denen wir aus moralischer Verpflichtung heraus helfen müssen. Andererseits kenne ich gerade aus dem kirchlichen Bereich viele Entwicklungsprojekte, die gut funktionieren, weil sie auf einem gemeinsamen Glaubens- und Wertesystem basieren.
Frage: Entwicklungsminister Gerd Müller spricht von Afrika als „Chancenkontinent“. Eine Phrase oder ein Zeichen für einen neuen Blick auf Afrika?
Grill: Ich halte Müller für den aktivsten Afrikapolitiker in Deutschland. Er lehnt sich weit aus dem Fenster und prangert zum Beispiel Hunger als Mord an. Außerdem erkennt und benennt er die Widersprüche in der Handelspolitik der Europäer. So zerstören die subventionierten Agrarexporte aus der EU die Märkte in Afrika. Da wäre ein radikaler Kurswechsel dringend geboten.
Von Joachim Heinz (KNA)
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